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„Bei Starkregen können Minuten entscheidend sein“

„Bei Starkregen können Minuten entscheidend sein“

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„Bei Starkregen können Minuten entscheidend sein“
Dr. Rainer Dambeck © Enrico Sauda

Geograph Dr. Rainer Dambeck spricht im Interview über die zu langsame Klimaanpassung und große und kleinteilige Schutz-Strategien.

Dass auch Frankfurt nicht für Starkregen und überlaufende Bäche gebaut ist, erfahren viele Bürger immer öfter leidvoll. Große Konzepte dagegen werden diskutiert, voran geht wenig. Gäbe es auch schnelle Lösungen? Auch darüber sprach Redakteur Mark Obert mit Dr. Rainer Dambeck vom Institut für Physische Geographie der Goethe-Universität.

Herr Dambeck, zur Katastrophe des Klimawandels gesellt sich die Katastrophe unserer Untätigkeit. Stimmt’s oder nicht?

Wir sind noch nicht schnell genug in der Klimaanpassung, das würde ich schon sagen. Die Überschwemmungen unlängst an der Donau und die Katastrophe im Ahrtal zeigen die Brisanz. Immer mehr Menschen sind von Unwettern betroffen, auch in Frankfurt. Häufig veranlasst erst Betroffenheit, etwas zu unternehmen.

Frankfurter Stadtteile an den Taunusbächen stehen oft im Hochwasser, in Sachsenhausen und am Frankfurter Berg laufen regelmäßig haufenweise Keller voll. Aber selbst die Grünen, die stets vor den Konsequenzen des Klimawandels gewarnt haben, sind im Magistrat eher passiv.

Na ja, es stimmt schon: Als Wissenschaftler ist es nicht immer nachvollziehbar, warum gezögert wird, das offensichtlich Notwendige zu tun. Man muss aber sagen: Versäumnisse von einst zu korrigieren, ist komplex. In der Summe brauchen wir dringend mehr Flächen, auf denen Wasser versickern kann, sogenannte Retentionsflächen. Wir müssen den Gewässern wieder den Raum geben, der ihnen genommen wurde, um beschleunigte Hochwasserspitzen zu verhindern. Dazu trägt die Versiegelung der Einzugsgebiete bei – auch dort, wo früher natürliche Auen waren. Das alles ist über lange Zeit oft nicht oder zu wenig in den Blick genommen worden. Das 100-wilde-Bäche-Programm und die europäische Wasserrichtlinie leisten nun dazu einen wichtigen Beitrag.

Worum geht es da?

Unter anderem um den Gewässerzustand: Bäche sollen renaturiert, das heißt, wo es geht, die natürlichen Gerinnestrukturen ohne künstliche Verbauungen wiederhergestellt werden. An der Nidda zum Beispiel werden die Wehre zurückgebaut.

Das Sossenheimer Wehr ist so ein Beispiel.

Genau. In Frankfurt ist die Problematik erkannt worden. Früher wurden Fließgewässer begradigt. Heute geht es darum, Retentionsräume zu schaffen.

Die Stadtentwässerung versucht händeringend, dafür Privatgrundstücke zu erwerben. Das geht zu langsam voran, heißt es.

Die Eigentumsverhältnisse sind zu berücksichtigen. Es ist zu wünschen, dass die Einsicht reift als Anrainer, einen Beitrag zu leisten, wenn die Möglichkeit besteht. Auch hier, denke ich, wächst die Einsicht in dem Maße, wie man selbst von Starkregen und Hochwasser betroffen ist.

Zur Mehrschichtigkeit des Problems gehören auch Rückhaltebecken. Auf die wollen Kommunen wegen des Naturschutzes nicht mehr bauen. Klug oder unklug?

Ich halte Rückhaltebecken nicht für falsch. An den Bau ist jedoch nicht die Erwartung zu knüpfen, dass dies dann ausreicht, weil das Stauvolumen schnell einmal ausgeschöpft sein kann, zumal in Zukunft mit häufigeren Starkregenereignissen zu rechnen ist. Es ist also Sorge zu tragen, dass auch diese Becken nur verzögert volllaufen. Das erreicht man am besten, indem man das Wasser schon dort zurückhält und versickern lässt, wo es herkommt, bestmöglich schon ab der Wasserscheide. Da gibt es sicher noch Nachholbedarf.

Im Falle der Taunusbäche also im Taunus.

Genau. Im Wald, an Hängen, auf landwirtschaftlichen Nutzflächen, in natürlichen Senken. Das ist nicht einfach, dafür braucht es umfassende Konzepte.

Und dafür brauchte es die Kooperation der Taunuskommunen mit Frankfurt. Die gab es bislang nicht.

Das kann ich nicht beurteilen. Aber man sieht: Der Klimawandel, die immer wärmere Luft, die mehr Wasser aufnehmen kann und so die Gefahr von Gewitterzellen erhöht, ist nur ein Teil des Problems. Wir lernen daraus, künftig in der Planung immer auch die Fließwege mitzudenken. Überkommunale Kooperation bietet die Möglichkeit, größere Gebiete zu überblicken und weitreichendere Maßnahmen zu entwickeln als es auf das Gebiet einer Kommune begrenzt der Fall wäre.

Zum Beispiel, wenn die Stadt ihr großes Neubaugebiet an der A5, die sogenannte Josefstadt, realisieren sollte. Den Niederurselern schwant Ungutes, wenn weitere Versickerungsfläche wegfällt.

Ich habe beim Starkregen Anfang Mai selbst beobachten können, wie schnell der Urselbach auf die Wassermassen reagiert hat und angeschwollen ist. Es braucht ein umfassendes Abflussmanagement. Das wird aber in heutiger Zeit mitgedacht.

Am Frankfurter Bogen, erbaut vor gut 20 Jahren, gab’s kein Abflussmanagement – mit heute schwerwiegenden Folgen. Haben Sie, hat Ihr Institut in früheren Jahren die Stadt mal auf all diese Problematiken aufmerksam gemacht? Auf Fließwege? Auf zu klein dimensionierte Kanäle?

Dafür braucht es andere Experten.

Die Stadt nutzt die Expertise Ihrer Uni-Wissenschaftler nicht?

Es gibt keinen systematischen Austausch, wenn Sie das meinen. Dafür braucht es auch Expertise und Kapazitäten, die wir Geographen so nicht haben. Ich denke, dass es bei der Stadt genügend Fachleute gibt, die das besser beurteilen können. Es ist ja schon vieles zum Positiven geschehen in den vergangenen Jahren. Nehmen Sie die Starkregengefahrenkarten, die im Geo-Portal der Stadt öffentlich zugänglich sind. Auf diesen Karten ist zu erkennen, wie bei Starkregen das Wasser fließt, wo es sich sammelt und wo es zu Überschwemmungen kommen kann. Bei Neubauvorhaben wird die Risikoanpassung in die Planung einbezogen. Im Bestand ist es natürlich schwieriger zu reagieren.

Ihr Institut an der Goethe-Uni hat sich ja bereits mit einem neuralgischen Stadtteil in Frankfurt befasst, dem Frankfurter Berg.

Unsere Studenten haben sich damit vor etwa vier Jahren beschäftigt.

Die Kanalisation ist überfordert, abschüssige Wege und Straßen werden zu reißenden Strömen.

Die Fließwege wurden damals im Rahmen einer studentischen Projektarbeit punktuell untersucht. Für die Studierenden war es sehr interessant, sich konkret im Gelände mit der Problematik zu beschäftigen. Das war erkenntnisreich und eine willkommene Abwechslung zur „grauen Theorie“. Es ist gut, dass die Stadt das Problem nun stadtweit im Auge hat, wie die Starkregengefahrenkarten zeigen.

Auch hier möchte ich Ihren Optimismus bremsen. Ihre Studenten haben Verbesserungsvorschläge erarbeitet: mögliche Retentionsflächen ausgemacht, ein oberirdisches Kanalsystem nach Schwarzwald-Vorbild. Geschehen ist nichts.

Das war lediglich eine Simulation, die Potenziale aufgezeigt hat. Die Ideen der Studierenden lieferten Impulse, wie zum Beispiel die Möglichkeit, tiefgelegene Bereiche eines vorhandenen Spielplatzes im Bedarfsfall als Retentionsraum zu nutzen. Das müsste natürlich erst eingehend auf die Realisierbarkeit geprüft werden. Was die erwähnten oberirdischen Kanäle betrifft, sogenannte Notwasserwege, ist die Sache deutlich schwieriger.

Warum?

Es werden private Eigentumsverhältnisse berührt. Die Grundstücke sind bebaut. In den Bestand kann man nicht einfach eingreifen.

Die Menschen am Frankfurter Berg sind verzweifelt, weil ihnen ständig die Keller volllaufen. Haben Sie damals mal einen Informationsabend gemacht und gefragt, wozu die bereit wären?

Das haben wir nicht angeboten. Es handelte sich um eine studentische Gruppenarbeit mit begrenzter Aussagefähigkeit. Allerdings wurden die Ergebnisse in einem Blog zusammengefasst und ins Internet gestellt.

Ich frage auch deshalb, weil die Betroffenen auf Konzepte warten, auf eine Strategie – auf entsprechende Expertenrunden und Bürgerversammlungen.

Das alles wäre wünschenswert. Es braucht nach meiner Überzeugung den Dialog mit den Bürgern, um die Frage der individuellen Bereitschaft, aber auch der Leistungsfähigkeit zu erörtern: Was können beziehungsweise sind die Menschen bereit beizutragen, um die Klimaanpassung für die Gemeinschaft zu stemmen. Vor allem auch Personen, die nicht direkt vor Ort betroffen sind.

Am in den 1990er Jahren entwickelten Riedberg, wo Ihr Institut sitzt, hört man kaum von vollgelaufenen Kellern.

Obwohl ich mit Blick aus meinem Bürofenster auch versiegelte Flächen sehe und teils kritische Fließwege erkennen kann. Manche Situationen würde ich als gefährdet einstufen: abschüssige Wege und Garageneinfahrten zum Beispiel.

Schwammstädte gelten doch als das Maß aller Dinge. Ist der Kätcheslachpark am Riedberg etwas in dieser Art?

Ich würde das nicht gleich als Beispiel für eine Schwammstadt bezeichnen. Aber es wurde vieles richtig gemacht: Der Park hat Auffangbecken und Retentionsmulden mit Baumbewuchs, die Niederschlagswasser aufnehmen und zurückhalten können. In den dicht bebauten Stadtteilen fehlt häufig dafür der Platz. Da geht es eher darum, partikulär und situationsbezogen zu denken und die Wirkung kleiner Maßnahmeneffekte in der Summe zu betrachten.

Helfen Entsiegelungen von Plätzen weiter – zum Beispiel am Gravensteiner Platz im Frankfurter Bogen?

Entsiegelungen und Begrünung sind wichtig fürs Klima, damit sich die Stadt nicht zu stark aufheizt. Ob diese Plätze auch als Versickerungsfläche dienen, hängt vom Standort und vor allem auch vom Belag ab. Wenn Freiflächen weit in der Senke liegen, ist noch nichts gewonnen, weil sich das Wasser sammeln kann und damit das Risiko von Überschwemmungen steigt. Nach Möglichkeit sollte die Wasserrückhaltung und die Fähigkeit zur Versickerung bereits an den höchsten Punkten rund um Stadtteile wie den Frankfurter Bogen gefördert werden.

Da greift dasselbe Prinzip wie bei den Taunusbächen?

Im Grunde ja, und das meinte ich mit kleinteilig. Man sollte gezielt nachdenken, wie sich zum Beispiel Gärten, Grünanlagen oder landwirtschaftliche Flächen so gestalten lassen, dass sie in der Summe möglichst viel Wasser aufnehmen können und allenfalls zeitverzögert in Richtung der Tiefenlinie abgeben. Zeitliche Verzögerung ist ein wesentlicher Faktor. Minuten können entscheidend sein, ob es zu geringeren Abflussspitzen kommt und zum Beispiel die Kanalisation überfordert ist oder nicht. Es ist übrigens hochinteressant, welche vermeintlich kleinen Umwelteinflüsse eine große Rolle spielen.

Was zum Beispiel?

Vor einigen Jahren konnte ich an meinem Wohnort im Taunus beobachten, wie ein Starkregen auf abgeernteten Feldern tief ausgespülte Rinnen verursacht hat und den Boden abschwemmte. Ein ähnliches Ereignis in diesem Frühsommer hinterließ kaum Spuren, weil das dicht bewachsene Getreidefeld das Wasser zurückhielt. Derartige Aspekte und die Anlage von Grünstreifen, sogenannte Erosionsschutzstreifen, die quer zur Abflussrichtung anzulegen sind, sollten allgemein stärker in Konzepte zur Wasserrückhaltung einfließen.

Lange Dürrephasen trocknen die Böden aus. Wie würden denn Frankfurts Böden reagieren, wenn dann Starkregen kommt? Können dann auch Versickerungsflächen so trocken sein, dass sie nichts mehr aufnehmen?

Insbesondere die Löss-Böden im Frankfurter Norden zeichnet eine hohe Wasserspeicherkapazität aus. Das heißt aber nicht, dass die positive Eigenschaft viel Wasser zu speichern immer zum Tragen kommt. Im ausgetrockneten Zustand kann das Wasser auch hier nicht ohne Weiteres versickern, sondern fließt dem Gefälle folgend oberflächlich ab.

Herr Dambeck, wenn Sie morgen ein Haus in Frankfurt kaufen würden, würden Sie auch das Thema Starkregen bedenken?

Ich würde mir die Starkregengefahrenkarten vorher genau anschauen. Man sieht sozusagen für jedes Haus, wo sich das Wasser ansammelt, jeder Kellerabgang, jeder zum Haus hin abschüssige Garten ist zu erkennen. Es lohnt sich für Hausbesitzer und potenzielle Käufer deshalb, sich zur Gefahrenabwehr damit zu beschäftigen. Grundsätzlich bleibt dennoch festzuhalten: Starkregenereignisse können zu Überschwemmungen führen. Dass der Fall tatsächlich eintritt, ist nicht gewiss. Andererseits ist auch klar: Den hundertprozentigen Schutz wird es nicht geben.

Zur Person:

Ein gutes Beispiel dafür, wie sich eine Stadt auf Starkregen vorbereiten kann, hat Dr. Rainer Dambeck vor der Haustür. In der Nähe seines Instituts für Physische Geographie der Goethe-Universität, wo er als Studienkoordinator fungiert, sitzt er hier an einem der Auffangbecken im Kätcheslachpark am Riedberg. Bedauerlicherweise sind andere neuere Stadtviertel wie etwa der Frankfurter Bogen ohne vergleichbare Versickerungsflächen und Auffangbecken entwickelt worden. Dabei dient alles, was Abflussgeschwindigkeiten bremst oder gar aufhält, dem Schutz. Dambeck, geboren 1964 in Wiesbaden, hat Physische Geographie studiert mit den Nebenfächern Geologie, Bodenkunde und Hydrologie. Der Wandel der Umwelt und die Konsequenzen: So kann man den roten Faden in Dambecks Forschung zusammenfassen. Rainer Dambeck ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Wenig überraschend, nennt er „Draußensein“ als eines seiner Hobbys, gerne auf Wanderwegen oder auf dem Fahrradsattel. mjo/ FOTO: enrico sauda