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The Dark Pictures: Directive 8020

The Dark Pictures: Directive 8020

Dieser Tage ist das britische Studio Supermassive Games schwer beschäftigt: Momentan entwickeln sie Little Nightmares III, eine Fortsetzung der cinematischen Gruselplattformer. Mit The Casting of Frank Stone steht ein Singleplayer-Spinoff des Dead By Daylight-Universums kurz vor dem Release, und ihr Teenie-Slasher-Klassiker Until Dawn bekommt ebenso ein umfassendes Remaster mit neuen Szenen, wenn auch von einem anderem Studio. Kommendes Jahr wird zudem eine Marke fortgesetzt, die bisher auf geteiltes Echo stieß:

Mit Directive 8020 startet die zweite Staffel der The Dark Pictures Anthology, einer Sammlung interaktiver Filme, bei der jede Episode nur lose miteinander verbunden ist und ansonsten inhaltlich völlig für sich steht. Kritisiert wurden die Spiele wegen ihrer manchmal etwas holprigen Inszenierung, einigen Bugs und den faden Mini-Spielchen zwischendurch. “Drücke X um nicht zu atmen” – naja, man hat schon spannenderes gespielt.

Trotzdem mag ich die Reihe persönlich sehr, weil sie sich mit jeder Folge einem Subgenre aus dem Horrorbereich annimmt, selbst wenn (oder weil) es dadurch ein wenig obskur wird. House of Ashes zum Beispiel beginnt als Kriegshorror und nimmt eine Wendung, auf die die Autoren der TV-Serie Outer Limits stolz gewesen wären. Oder The Devil in Me: Es verwebt den Torture Porn aus den 2000ern mit dem Charme der 1960er. Animatronics, seltsame Masken, Vintage-Technik und stilvolle Architektur, vermengt in ein Todesspiel voll bizarrer Fallen. What`s not to like?

Astronomische Erwartungen

Tradition bei der The Dark Pictures Anthology sind die kleinen Teaser auf den nächsten Teil der Reihe, der nach den Credits abgespielt wird. Als ich jenen von Directive 8020 erblickte, habe ich damals Luftsprünge gemacht: Ein Cockpit eines Raumschiffs, ein zerstörter Helm und Blut in der Schwerelosigkeit, während durch das Fenster ein widerlich-lila-rötlich-leuchtender Planet zu sehen ist, der ganz und gar nicht bewohnbar aussieht. Aus dem Off unheilvolle Funksprüche mit Hilferufen. Yup, Directive 8020 nimmt sich dem Sci-Fi-Horror an. Ein Genre, von dem ich nicht genug bekommen kann! Let’s goooo!

Irgendwann in der weiten Zukunft hat die Menschheit die Erde endgültig dahingerafft und ist mit Kolonieschiffen auf der Suche nach einem neuem Zuhause. Eines dieser Schiffe ist die Cassiopeia, dass auf dem Planeten “Tau Ceti f” bruchlandet. Blöd: Das ist 12 Lichtjahre von der Erde entfernt. Doppelt blöd: Dabei macht die Crew unangenehme Bekanntschaft mit einer organischen Masse, die andere Lebensformen übernimmt, und daraufhin imitieren oder mutieren kann. Das klingt wie John Carpenters Fassung von The Thing, und daraus macht Supermassive Games auch keinen Hehl: In ihrer Präsentation auf der Gamescom 2024 zeigen Director Will Doyle und Executive Producer Dan McDonald drei prominente Filmposter: Alien, Event Horizon und The Thing.

Das ist Tau Ceti f. Aber ganz ehrlich: Wenn ein Planet so unheilvolle Farben von sich gibt, ist das kein gutes Zeichen!

The alien event with the thing

Da sitze ich also, freue mich wie ein Honigkuchenpferd, und bekomme zusammen mit einigen anderen Journalist*innen einen ersten Eindruck anhand von rund 10-Minuten-Gameplay aus einem späteren Abschnitt des Spiels – und bin danach unsicher, ob Supermassive Games für den Ersteindruck das richtige Material gewählt hat. Warum? Weil sie hier nichts vorgeführt haben, was wir in ähnlicher Form nicht schon in etlichen anderen Spielen dieser Art gesehen haben. Als Astronautin Brianna Young schleichen wir uns geduckt durch schlecht beleuchtete Gänge, die überwuchert sind mit fleischigem Alien-Gekröse. Erstmals in der Serie setzen die Entwickler*innen hier während des Spielgeschehens auf eine klassische 3rd-Person-Kamera, während die gewohnte filmartige Darstellung nur in Quick-Time-Events oder Dialogen zum Einsatz kommt. Das raubt Directive 8020 einem wichtigen Alleinstellungsmerkmal und rückt es in die Nähe von Dead Space und Callisto Protocol, zumindest vom visuellem Spielgefühl her.

Das gilt auch für die Kreatur, die uns verfolgt: Anscheinend war das hier einmal ein Mensch, doch jetzt ist es ein eher ein entfernt humanoid wirkender Fleischhaufen mit einem kosmischen Glühen im Gesicht, anstelle eines zu haben. Ganz nett, vor allem weil dieses Ding einfach mit dem Gewächs an den Wänden verschmelzen und es als Transportmittel nutzen kann. Man weiß also nie, wo und wann es auftauchen wird. Doch sowohl im Gameplay, als auch im Horrorkonzept haben wir das gleiche noch diesen Sommer im hervorragenden Still Wakes the Deep gesehen. Die “Ästhetik” geht hier jedoch eher in Richtung Geschwülst-Blubberblasen und Wurstpelle. Als hätte man auf einer heißen Herdplatte gepennt. Schön ekelig.

Die Alien-Auswucherungen kennt man war schon in allen Varianten aus ähnlichen Werken, aber sie sehen trotzdem verdammt ekelig und beeindruckend aus. Mir gefällt’s.

Schleichen? Gähn.

»Eine Schleichversion von Dead Space also,« denke ich mir, als ich etwas underwhelmed das Gameplay betrachte. Im Vorgänger The Devil in Me gab es auch schon Schleichpassagen, aber die Beschränkten sich auf ein Minimum. In Directive 8020 soll es mehr geben, erklärt Doyle während der Vorführung. Mein Seufzen geht zum Glück bei dem bassigen Monstergegrunze unter. Immerhin: Mit einer Art Elektroschocker hat man eine Trumpfkarte für den Notfall in der Hand, falls einem das Wurstpellen-Monster (so nenne ich es ab jetzt!) doch erwischt. Ausgerechnet von den Aspekten, die Supermassive Games in der Industrie und vor allem von allen anderen Horrorspielen abhebt, sehen wir in der Präsentation wenig bis gar nichts.

Beim anschließendem Q&A versichert Doyle allerdings, dass wir wieder viele Entscheidungen fällen müssen. Das Überleben der anderen Astronaut*innen ist davon abhängig, und sie können wieder relativ früh sterben, so dass sich vor allem ab der zweiten Hälfte des Spiels viele Szenen verändern können. Und ja, auch der Multiplayer kommt wieder zurück, sogar für bis zu 5 Personen! Ins Detail geht man während der Präsentation jedoch nicht. Schade, denn gerade hier sehe ich noch viel Potential: Wenn die außerirdische Lebensform Menschen imitieren kann, kann man sich dann im Multiplayer sicher sein, dass am anderem Ende der Leitung wirklich ein Mensch sitzt? Das könnte die Paranoia richtig in die Höhe treiben! Was ist, wenn man das merkwürdige Verhalten eines Menschen falsch einschätzt und diesen versehentlich tötet? Oder umgekehrt: Vielleicht ist die Imitation so gut, dass wir in der nächsten Szene völlig überrumpelt sind, wenn sich jemand in das Wurstpellen-Monster verwandelt.

Die Beleuchtung des Spiels gefällt mir sehr gut. Dunkel ist auch tatsächlich dunkel, und die wenigen Lampen haben schon fast expressionistische Farben.

Sam Fisher für Anfänger*innen

Meine Gedankenspiele sind inspiriert von dem, was ich in den vorherigen Episoden der Dark Pictures Anthology erleben durfte, und ich kratze mich am Kopf, warum uns McDonald und Doyle stattdessen 0815-Schleichpassagen zeigen. Vielleicht wegen der Gadgets, auf die Astronautin Young zurückgreifen kann: Mit einem Scanner kann man Wärmesignaturen und somit auch Feinde durch Wände hindurch ausmachen. Ebenfalls nützlich ist die Fernbedienung, mit der man zum Beispiel Monitore einschalten kann. Dadurch sind die assimilierten Menschen für einen kurzen Moment abgelenkt. Das wirkte in der Gameplay-Demo zwar kompetent umgesetzt, aber auch schrecklich üblich und bekannt für Schleichspiele. Gerade im Horrorgenre kann man so wundervoll experimentieren, wie es vor Jahren zum Beispiel schon die Forbidden Siren-Reihe getan hat – mit ungewöhnlichen Perspektiven, Spielmechaniken und grotesken Situationen. Mein Eindruck in der Präsenation ist aber: Sam Fisher mit Wurstpellen-Monster, ohne die Akrobatik und die Waffen: “Stealth for Beginners”. Fast schon wünsche ich mir die cinematisch inszenierten Szenen der Vorgänger zurück, wo ich mit der Taste X dem Atem anhalte, um nicht entdeckt zu werden. Das sah wenigstens oft cool aus.

Erinnert ein bisschen an The Color Out of Space, oder?

Audiovisuell (bisher) rund

Von einem Aspekt bin ich aber ab der ersten Sekunde überzeugt gewesen: Die audiovisuelle Präsentation ist richtig nice! Vor allem der dröhnende Soundtrack von Jason Graves ballert sofort. Dieser hochtalentierte Komponist war bereits für die Musik der originalen Dead Space-Titel verantwortlich (ja, wo damals vermutlich etliche Streichinstrumente zu Bruch gegangen sein müssen) und hat dieses Jahr auch an Still Wakes the Deep gearbeitet. Ich habe sofort Gänsehaut bekommen, als seine Klänge durch den (Welt)raum schallten. Seine Instrumentalisierung hat immer etwas an sich, was die Nackenhaare zu Berge stehen lässt.

Ebenfalls talentiert ist Hauptdarstellerin Lashana Lynch, die die meisten von euch vermutlich als MI6 Agentin aus James Bond: No Time to Die kennen. Oder dem tollen historischen Abenteuerfilm The Woman King. Supermassive Games ist über die Jahre immer besser darin geworden die Gesichter und das Schauspiel seiner Darsteller*innen in Echtzeit-Grafiken einzufangen. In Directive 8020 erreichen sie ein neues, sehr hohes Niveau. Die Emotionen von Lynch sind sehr gut eingefangen. Das ist deshalb spannend, weil der Teaser bereits verrät: Sie darf hier auch eine böse Version von sich spielen! Astronautin Young wird offenbar ebenfalls von dem Organismus kopiert, so dass sich beide irgendwann gegenüberstehen werden.

Ein paar direkte Fragen an Doyle und McDonald

Nach der Präsentation habe ich noch ein kurzes Interview mit Doyle und McDonald. Meine erste Frage: Was ist eigentlich die Direktive 8020? »Diese gibt es tatsächlich auch in der Realität,« erklärt mir Doyle. »Das ist eine Richtlinie der NASA, die darauf abzielt, die biologische Kontamination im Zusammenhang mit der Erforschung des Weltraums zu verhindern.« Das gilt in beide Richtungen: Die Vorwärtskontamination soll verhindert werden, damit Menschen keine Organismen in einen fremden Lebensraum einschleppen. Und anders herum soll auch die Rückwärtskontamination verhindert werden, also die Einschleppung gefährlicher Organismen. Wenn ich mir das Wurstpellen-Monster so angucke, glaube ich nicht, dass irgendwas davon in der Handlung des Spiels geglückt ist.

Eine weitere Frage hat einen traurigen Hintergrund. Tony Pankhurst, der Darsteller des Kurators in der Dark Pictures Anthology, ist diesen Mai im Alter von 67 Jahren leider gestorben. Sein charismatischer Charakter im Spiel hat die Geschichten als übergeordneter Erzähler auf der Meta-Ebene zusammengehalten. Als ich seinen Namen nenne, merke ich sofort, wie es Doyle und McDonald betrübt. Es ist bekannt, dass Supermassive Games sehr gerne mit dem Darsteller zusammengearbeitet hat. Doch was geschieht nun mit der Rolle des Kurators? »Der Tod von Tony hat uns sehr getroffen,« erzählt McDonald. »Das hat selbstverständlich auch Einfluss auf die Figur des Kurators. Wie es mit dieser in der Reihe weitergeht, werden wir aber erst zu einem späteren Zeitpunkt verraten.«

Da bin ich gespannt und habe keinen Zweifel daran, dass hier eine respektvolle Entscheidung getroffen wird. Denn wenn man eines über Supermassive Games sagen kann, dann, dass ihnen ihre Darsteller*innen sehr wichtig sind.

So sieht die Cassiopeia später im Spiel aus. Man sieht also wenig von der Inneneinrichtung. Ich bin gespannt, wie das Raumschiff bei Licht vor der Katastrophe wirken wird.

Zwiegespaltener Ersteindruck

Eingangs habe ich erwähnt, mit wie vielen Projekten Supermassive Games derzeit beschäftigt ist. Das ist krass, weil das Studio erst dieses Jahr 90 Personen entlassen musste. Rückblickend sind Qualitätsschwankungen bei ihren Projekten auch nicht bestreitbar. The Devil in Me hatte zum Launch viele Bugs und den Railshooter Switchback VR empfand ich persönlich sogar als Frechheit. The Quarry aber? Allerfeinstes Teenie-Slasher-Werwolf-Mashup, bei der ich jede Sekunde geliebt habe! Deshalb kann mit den kommenden Supermassive-Projekten theoretisch alles geschehen, vom Flop bis hin zum Überraschungshit.

Bei Directive 8020 denke ich, dass es sich im Mittelfeld anordnen wird. Das Stealth-Gameplay hat mich schon nach den gezeigten 10-Minuten gelangweilt. Doch auch wenn das Sci-Fi-Horrorszenario altbekannt ist, finde ich’s trotzdem geil … weil’s eben altbekannt ist! Die Inszenierung und die Multiplayer-Komponente wird also darüber entscheiden, wie überzeugend die bewährten Genre-Zutaten rüberkommen. Wenn man ein großer Fan eines bestimmten Subgenres ist, ist es ja irgendwie auch gemütlich, sich in etwas „hineinzukuscheln“, was man bereits in ähnlicher Form kennt.