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USA oder China: Wer gewinnt den Kampf um die…

USA oder China: Wer gewinnt den Kampf um die…

Der Kampf um die technologische Vorherrschaft läuft auf Hochtouren. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehen China und die USA. Experten warnen vor dem Ende der Globalisierung.

Kanada will künftig chinesischen Elektroautos mit Einfuhrzöllen von 100 Prozent den Weg auf den Markt versperren. Damit fährt das nordamerikanische Land einen ähnlichen Kurs wie die USA, die bereits vor wenigen Wochen hohe Importzölle ankündigten. „Akteure wie China haben sich dazu entschieden, sich auf dem globalen Markt einen unfairen Vorteil zu verschaffen“, sagte Premierminister Justin Trudeau auf der Kabinettsklausur Mitte der Woche in Halifax. Doch dabei soll es nicht bleiben.

Wie die Vizepremierministerin Chrystia Freeland ankündigte, stehen auch Zölle auf chinesische Batterien, Batterieteile, Halbleiter, wichtige Bodenschätze wie Seltene Erden und Solarpaneele zur Diskussion. Ein ähnliches Vorgehen zeichnet sich auch in der EU ab, wenn auch weniger drastisch. Die Kommission will künftig Ausgleichszölle für chinesische Elektroautos in Höhe von 36,3 Prozent erheben. Während die USA, Kanada und die EU versuchen, China auf Abstand zu halten, warnen Experten, darunter auch der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Holger Bonin, vor den Konsequenzen einer Deglobalisierung und bezeichnet das aktuelle Vorgehen als ­Rattenrennen: „Egal wie schnell die Staaten laufen: Am Ende gewinnt kei­ner, aber alle verlieren an Wohlstand.“

Aufstieg und Fall. Und von der Globalisierung hat der Westen besonders seit dem Fall des Eisernen Vorhangs in den vergangenen Jahrzehnten massiv profitiert. Dabei ist sie beinahe so alt wie die Menschheit selbst. Manche sehen in der Seidenstraße in China ihren Anfang, andere wiederum im Beginn der Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert und manche sehen sie erst im 19. Jahrhundert mit der Öffnung der First Transcontinental Railroad im Mai 1869, der Öffnung des Suezkanals im November 1869 und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Januar 1871. Unabhängig von der Frage des Zeitpunkts bezeichnet Globalisierung im Grunde nur eine Vernetzung über Grenzen hinweg; politisch wie wirtschaftlich. Und diese gibt es, seit Menschen reisen und handeln. Tatsächlich markieren die 1990er-Jahre einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte. Eine neue, florierende Phase entstand. Die wirtschaftlichen und politischen Interessen waren plötzlich eng miteinander verknüpft und der Wettstreit der Systeme ging zugunsten des Westens aus. Als China 2001 in die Welthandelsorganisation WTO eintrat, schien die multilaterale Ordnung in die Schwellenländer vorzudringen. Die Annahme, dass Demokratisierung und Marktwirtschaft zu einer kulturellen Angleichung nicht westlicher Gesellschaften zum Westen führen würde, seien falsch gewesen, schreibt Michael Hüther, Wirtschaftswissenschaftler und Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft in der Abhandlung „Die Zukunft des Westens in der Deglobalisierung – Gestaltungspotenziale trotz Abhängigkeit?“.

Dieser Anspruch habe besonders zwischen 1990 und bis zur Finanzkrise 2007/2008 in vielen westlichen Ländern zu Naivität und Arroganz geführt. Einerseits gab es, so Hüther, kein Bewusstsein dafür, dass Abhängigkeiten als politische Waffe eingesetzt werden können und andererseits sah man sich allzu oft als moralische Autorität. Das Zusammenspiel von Demokratie und Marktwirtschaft spielt im Westen eine zentrale Rolle, doch finde sie Hüther zufolge nicht überall Verbreitung und schon gar nicht würde sich dieses naturgesetzlich durchsetzen.

Fest steht: In den vergangenen Jahrzehnten ist der Welthandel immer komplexer geworden und eng miteinander verflochten. Dennoch haben es sich immer mehr Staaten zur Aufgabe gemacht, diesen gordischen Knoten zu lösen. Als Auslöser werden dafür die Pandemie und der Ukraine-Krieg gesehen. Zwar haben die immer komplexer gewordenen Lieferketten mehr Effizienz gebracht, sie haben aber auch die Abhängigkeiten aufgezeigt. So führten Lockdowns von Produktions- oder Hafenanlagen in China dazu, dass ganze Wertschöpfungsketten und Produktionsanlagen im Rest der Welt zum Erliegen kamen.

Zur Veranschaulichung: Der Audi ­e-tron wird in Brüssel gefertigt und besteht einer „Spiegel“-Reportage zufolge aus insgesamt 6000 Teilen. Allein 149 davon kommen direkt aus China und in vielen anderen Komponenten anderer Zulieferer steckt ebenfalls chinesische Fertigung. Audi verlässt sich bei der Produktion auf immerhin 300 verschiedene Zulieferer aus 37 Ländern. Dabei handelt es sich vielfach um die verbaute Elektronik und die Batterie sowie auch den Elektromotor. Mit den Lieferengpässen ist es daher nicht überraschend, dass hier ein Umdenken stattfindet. Audi will unabhängiger sein, resilienter werden. Deswegen sollen Teile der Produktion wieder zurück nach Deutschland wandern. Andere Unternehmen erwägen, die Produktion in benachbarte Länder zu verlagern, um so die Lieferwege zu verkürzen. Dieses sogenannte Konzept des Reshoring und Nearshoring ist nicht neu.

EU setzt wichtige Schritte. Doch die Entkopplung von Handelsverflechtungen birgt unabhängig von den politischen Auswirkungen auch große wirtschaftliche Risiken, wie eine Simulation des Instituts für Wirtschaftsforschung ifo in München zeigt. In beiden Fällen wäre von negativen Auswirkungen auf Deutschland und die EU auszugehen. So würde „das deutsche reale BIP-Niveau im neuen Gleichgewicht durch Reshoring und Nearshoring langfristig um 9,7 bzw. 4,2 Prozent sinken“, kommen die Autoren zum Schluss. Lediglich beim sogenannten Friendshoring, also der Abkehr von der Zusammenarbeit mit Unternehmen in autokratischen Staaten und das Verlagern der Produktion zu befreundeten Staaten, welche nicht zwingend geografisch nahe sein müssen, prognostiziert das ifo einen Rückgang des BIP um 1,7 Prozent. Zudem wäre die Entkopplung ein Prozess, der nicht von heute auf morgen möglich ist. Ein solcher Prozess würde Jahre in Anspruch nehmen und wäre Berechnungen zufolge auch nicht kosteneffizient. Hinzu kommt, dass der Aufbau neuer Lieferketten mit Kosten verbunden ist, die letztlich von den Verbrauchern zu tragen sind. Sei es durch höhere Preise oder indirekt durch die über Steuern finanzierten Subventionen. Andere Lösungen sind gefragt. Stichwort: technologische Souveränität.

Unternehmen sind darin gefordert, Strategien je nach Ausmaß der internationalen Verstrickungen und der geografischen Präsenz zu entwickeln, um auf die geopolitischen Änderungen reagieren zu können. Dem Beratungsunternehmen EY zufolge sind hier vor allem entscheidend der Ausbau der Widerstandsfähigkeit der Lieferketten und die Anpassung der Nachhaltigkeitskriterien. Parallel dazu treibt der politische Wunsch nach größtmöglicher Unabhängigkeit einen weltweiten Subventionswettlauf, der sich vor allem in den Bereichen Wasserstoff, Batterien, künstlicher Intelligenz und Quantencomputing zeigt. In Europa zählt dazu die Plattform Strategische Technologien für Europa, kurz Step. Damit wurden die Weichen gestellt, neue innovative Wege zu fördern, die es sich zur Aufgabe machen, grundlegende Probleme in den Feldern Biotechnologie und umweltschonende Technologien zu lösen. In den kommenden Jahren sollen hier bis zu 160 Milliarden Euro an Investitionen getätigt werden. Zudem hat die EU-Kommission den „European Chips Act“ auf den Weg gebracht, der mit rund 45 Milliarden Euro den Ausbau einer eigenen europäischen Chip-Produktion ermöglichen soll.

In den USA wurde durch den Chips-and-Science-Act 2022, der 53 Milliarden Dollar für die Branche umfasste, der Bau von mehr als einem Dutzend neuer Chipfabriken angekündigt. Zudem gibt es steuerliche Anreize für die Schaffung einer amerikanischen Recycling-Industrie. Prognosen gehen davon aus, dass sich anhand dieser Maßnahmen die Kapazitäten bis 2030 versechsfachen. Als entscheidend wird auch die Abstimmung über den Inflation Reduction Act angesehen. Das Reindustrialisierungsprogramm sieht die Wiederherstellung von Industriearbeitsplätzen in den USA vor, während zugleich die Förderung grüner sowie strategischer Technologien geplant ist. Dieser ist mit dem Next-Generation-EU-Fonds vergleichbar und sollte laut Hüther weiter forciert werden und zu einem permanenten Instrument werden.

Huawei orientiert sich um. Die Beziehungen zwischen den USA und China sind angespannt. Der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängte Handelsbann gegen Huawei hat nicht zur Entspannung beigetragen. Dem Konzern wird eine zu große Nähe zur Volksrepublik nachgesagt. Die Vorwürfe reichen von Überwachung, Spionage bis hin zu einem Szenario, in dem Huawei auf Geheiß Chinas das Mobilfunknetz im Rest der Welt lahmlegen könnte. Belege dafür gibt es bis dato nicht. Huawei selbst weist die Vorwürfe seit Jahren von sich.

Dennoch: Der Mobilfunkausrüster ist in vielen Ländern vom 5G-Ausbau ausgesperrt. In einigen Ländern, darunter Großbritannien, flammt unabhängig von der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit trotzdem regelmäßig die Diskussion darüber auf, ob bestehende Huawei-Technologie aus dem Mobilfunknetz entfernt werden soll.

Doch nicht nur diese Sparte ist zumindest im westlichen Teil dieser Welt zum Erliegen gekommen. Das weitaus lukrativere Smartphone-Geschäft ist nahezu nicht mehr existent, nachdem der US-Riese Google die entscheidende Smartphone-Software Android nicht mehr an Huawei ausliefern darf. ­Jegliche Versuche, dieses Problem anderweitig zu lösen, erwiesen sich beim Endkunden als zu kompliziert und aufwendig. Ein eigenes Betriebssystem wurde innerhalb von vier Jahren nicht realisiert. Der einst größte Telekommunikationsausrüster muss sich umorientieren und hat, wie es scheint, ein neues Betätigungsfeld gefunden: die Entwicklung eines High-End-Chips für ­künstliche Intelligenz. Keine guten Nachrichten für den Branchenprimus Nvidia.

Lukratives Halbleitergeschäft. Nvidia ist aktuell eine der Lieblingsaktien von Anlegern. Nicht sonderlich überraschend, wenn man bedenkt, dass der Konzern das fünfte Quartal in Folge prozentual dreistellig gewachsen ist. Die am Donnerstag präsentierten Zahlen bestätigen den Höhenflug des Unternehmens. Der Nettogewinn stieg um 168 Prozent auf 16,6 Milliarden Dollar. Trotz dieser Traumzahlen stürzte die Aktie nachbörslich um fast sieben Prozent ab. Grund dafür scheint der leichte Rückgang der Bruttomarge im Vergleich zum vorangegangenen Quartal zu sein. Denn diese sank von 79 auf knapp 76 Prozent. Zudem wurde angedeutet, dass der neue leistungsstarke Blackwell-Chip sich verzögern könnte. Ein schlechter Zeitpunkt, wenn man den Berichten chinesischer Internetunternehmen und Telekommunikationsbetreibern Glau­ben schenken möchte. Denn diese konnten den neuesten Huawei-Prozessor „Ascend 910C“ testen. Und dieser soll es mit den Nvidia-Produkten aufnehmen können. Dass Huawei in der Lage ist, so schnell aufzuholen, überrascht nicht. Immerhin ­beschäftigt der Konzern allein 114.000 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung und betreibt weltweit 16 R&D-Cluster.

Bei der Entwicklung eines eigenen Betriebssystems ist Huawei vorerst gescheitert, wohl auch an der Dominanz von Apple und Google. Aber die Chinesen blicken auf jahrelange Erfahrung bei der Entwicklung von Prozessoren und Halbleitern zurück. Die entsprechende Infrastruktur sowie die notwendigen Ressourcen (Stichwort: Seltene Erden) sind ebenfalls vorhanden. Daher überrascht es nicht, wenn Huawei bis zu 70.000 Chips im Wert von knapp zwei Milliarden Dollar ab Oktober ausliefern will. Denn nicht nur die USA und Europa wollen sich unabhängig machen. Auch China sucht die Autarkie. Die Volksrepublik ist längst nicht mehr die Werkbank für die Welt, in der sich günstig Produkte für den Westen produzieren lassen. Das zeigt sich auch in dem konsequent verfolgten Fünf-Jahres-Plan in Bezug auf die Chipindustrie. Der nicht nur eine Autarkie vorsieht, sondern gar die globale Führung.

Es ist ein lukrativer Markt. Die Halbleiterindustrie erwirtschaftete 2023 einen Umsatz von knapp 526,8 Milliarden Dollar; Tendenz steigend. Immerhin stecken sie nicht nur im Computer oder Smartphone, sondern auch in Autos, Waschmaschinen, Kühlschränken und vielen anderen smarten Geräten. Besonders der Chipmarkt zeigt die gegenseitigen Abhängigkeiten, trotz Deglobalisierungstendenzen: die Lieferketten sind multinational und äußerst komplex. TSMC, Taiwans größter Halbleiterhersteller hatte 2022 einen Marktanteil von 55 Prozent und produzierte 90 Prozent der Halbleiter. Wobei die USA wiederum den vorgelagerten Teil der Lieferketten dominieren. An der Entwicklung des fortschrittlichen Chipdesigns tragen sie den größten Anteil. China trägt einen entscheidenden Anteil bei. Denn immerhin produzierte die Volksrepublik 2022 70 Prozent der dafür notwendigen Seltenen Erden. Die USA bezogen dabei knapp 74 Prozent der benötigten Seltenen Erden von China. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch in Europa ab. Dafür wurde 2020 die Europäische Rohstoffallianz (Erma) gegründet. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Partnerschaften zwischen Unternehmen, Wirtschaftsverbänden und Regierungen sollen den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern. Nicht nur über die Erhöhung der eigenen Produktion, sondern einmal mehr über Recycling.

„Europa sollte die Chance nutzen, sich als fairer und attraktiver Partner zu positionieren, um gemeinsam für einen nachhaltigen Weg eines globalen Miteinanders einzutreten“, schreibt das ifo abschließend über die Gefahren der Deglobalisierung. Hüther geht darüber hinaus und fordert Europa dazu auf, sich als Anwältin für eine internationale Arbeitsteilung zu positionieren, „denn nur so kann Wohlstand nachhaltig gesichert werden“. Dafür bedürfe es nicht weniger, sondern neuer geostrategischer Partnerschaften.

Dabei sollte auf jene Länder zugegangen werden, die ebenfalls von der Globalisierung profitiert haben und ähnliche demokratische Werte teilen. Hier nennt der Wirtschaftswissenschaftler Brasilien, Indonesien und Indien. Zudem sollten alte Partnerschaften wie jene mit Japan gestärkt werden. Nur so könne den „protektionistischen Tendenzen wie hegemonialen Ansprüchen Chinas“ etwas entgegengesetzt werden.

»Egal wie schnell die Staaten laufen: Am Ende gewinnt keiner, aber alle verlieren an Wohlstand.«

Holger Bonin

Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS)

In Zahlen

1 Prozent so gering war der Anteil des deutschen Güterhandels mit China 1990.

9,5 Prozent machte dieser knapp 30 Jahre später aus.

9,7 Prozent um so viel würde das reale BIP allein in Deutschlands sinken, würde die Produktion wieder vollständig ins eigene Land geholt werden.

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