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Roche-Manager zur Schweiz: Sorgen um den Pharmastandort

Roche-Manager zur Schweiz: Sorgen um den Pharmastandort

Was ist der Stellenwert der Schweiz innerhalb eines Weltkonzerns wie Roche? Welche politischen Themen sind entscheidend? Antworten von Jörg-Michael Rupp, Leiter Pharma International von Roche und Präsident des Branchenverbands Interpharma.

«Nicht einmal für die EU sind wir ein besonders wichtiger Exportmarkt»: Jörg-Michael Rupp, Leiter Pharma International bei Roche und Präsident von Interpharma.

«Nicht einmal für die EU sind wir ein besonders wichtiger Exportmarkt»: Jörg-Michael Rupp, Leiter Pharma International bei Roche und Präsident von Interpharma.

Roland Schmid für NZZ

Das Schweizer Parlament spricht häufiger über die Landwirtschaft als über die Pharmaindustrie. Wie erklären Sie sich das, Herr Rupp?

Über die Bedeutung unserer Branche weiss man in der Region Basel gut Bescheid, weil wir hier sehr präsent sind. Darüber hinaus frage ich mich aber auch öfters, wie viel man in der Schweiz über die Pharmaindustrie weiss. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass unsere Industrie fast 10 Prozent zum Schweizer Bruttoinlandprodukt beiträgt und 40 Prozent aller Exporte ausmacht. Roche allein leistet mit 2,5 Prozent einen grösseren Beitrag zum BIP als Landwirtschaft, Hotellerie und Gastgewerbe zusammen. Unser Unternehmen investiert in der Schweiz jährlich rund 3,5 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung – das ist annähernd so viel wie das Budget des ganzen ETH-Bereichs. Ich sage dies nur, um die Relationen aufzuzeigen.

Sind sich Politik und Öffentlichkeit dessen bewusst?

Sicherlich würden wir uns manchmal mehr Aufmerksamkeit wünschen und gelegentlich auch mehr Verständnis. Roche ist seit der Gründung vor mehr als 125 Jahren tief in Basel und der Schweiz verwurzelt. Wir stehen zum Standort und investieren allein von 2010 bis 2030 in Basel und Kaiseraugst 5,8 Milliarden Franken. Gerade dies ist nicht selbstverständlich. Bei anderen Unternehmen – auch in unserer Branche – scheint es eher zu bröckeln. Wir gehen mit unseren Investitionen stets in Vorleistung, weil wir an die Stärken der Schweiz glauben. Aber genau diese müssen auch gepflegt werden.

Wie meinen Sie das?

Der beste Standort verliert, wenn er nicht ausreichend auf seine Stärken achtet. Mein Eindruck ist, dass wir das, was wir in der Schweiz haben, als gegeben annehmen und nicht mehr erkennen, dass wir darum immer wieder neu kämpfen müssen. In meiner Position bin ich neben der Schweiz auch für andere Länder und Regionen verantwortlich. Dort sehe ich, was anderenorts alles unternommen wird, um zuzulegen. Viele Staaten betreiben gezielte Industriepolitik, um Life-Science-Unternehmen mit grosser Wertschöpfung anzuwerben. Wir haben oft Besuch aus Singapur, den USA oder Indien. Letzte Woche war ein Minister aus Ungarn hier, um uns davon zu überzeugen, in seinem Land zu investieren. Andere Länder lobbyieren auf höchster Ebene. Ich sage nicht, dass die Schweiz das auch machen muss. Aber sie sollte es auch nicht übersehen.

Wo liegen denn die Probleme? Welche Faktoren geben den Ausschlag, wenn in einem Weltkonzern wie Roche diskutiert wird, wo man welche Investitionen tätigt?

Wir arbeiten mit einem Set von Kriterien, die wir nüchtern abwägen. Wichtig sind das Know-how der Hochschulen vor Ort, das Potenzial an Fachkräften, der rechtliche Rahmen, der Zugang zu grossen Exportmärkten wie der EU und die Steuern. Genau hier hapert es leider aus Schweizer Sicht: Die Steuerbelastung hat stark zugenommen, das Verhältnis zur EU ist infrage gestellt.

Sie sprechen die neue OECD-Mindeststeuer an. Hätte die Schweiz denn aus Ihrer Sicht international ausscheren sollen?

Wenn die grosse Mehrheit der Staaten die Steuer eingeführt hätte, würde ich diese Argumentation verstehen. Aber davon kann keine Rede sein. Heute wissen wir, dass viele Länder nicht daran denken, die Mindeststeuer einzuführen. Auch Staaten wie die USA, China oder Indien, die für unsere Branche von höchster Bedeutung sind, stehen abseits. Trotzdem hat der Bundesrat die Mindeststeuer überhastet eingeführt. Damit hat er einen der wichtigsten Standortfaktoren verschlechtert und die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz gemindert.

Wie stark hat Ihre Steuerbelastung zugenommen?

Zahlen nennen wir nicht, aber die Zunahme ist hoch. Das ist schmerzhaft für jedes Unternehmen. Wir anerkennen, dass der Kanton Basel-Stadt versucht, einen Teil der Gelder wieder in den Standort zu investieren. Aber damit lassen sich die Nachteile nur sehr beschränkt auffangen. Für uns bleibt unverständlich, wieso der Bundesrat die Mindeststeuer ohne Not so rasch eingeführt hat.

Sprechen wir über die Unklarheiten im Verhältnis zur EU. Gehen Sie davon aus, dass die laufenden Verhandlungen zum Erfolg führen?

Ja. Neue Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung die Problematik erkennt, den bilateralen Weg fortführen möchte und kompromissbereiter ist als früher. Das stimmt mich hoffnungsvoll.

Tatsächlich? In Bern dominiert Skepsis, von Zuversicht ist wenig zu spüren.

Das ist mir bekannt. Aber man muss wissen, was auf dem Spiel steht. Unsere Branche benötigt dringend eine Klärung mit der EU. Wenn die Schweiz nicht bald wieder voll in das Forschungsprogramm Horizon integriert wird, rechnen wir mit dauerhaften Nachteilen. Für ambitionierte Wissenschafter ist Horizon existenziell, es ist Teil ihrer Karriere, ihr Prestige hängt davon ab, dass sie EU-Projekte leiten können. Wer hier nur am Rande sitzt, hat verloren. Das wäre, wie wenn Marco Odermatt nur noch bei den Schweizer Meisterschaften statt im Weltcup fahren könnte. Selbst die Briten mit ihren vielen starken Universitäten haben umgehend dafür gesorgt, dass sie wieder vollständig bei Horizon mitmachen können.

Was geschieht, wenn die vollständige Assoziierung der Schweiz weiter verzögert wird?

Erste Forscher haben die Schweiz bereits verlassen, weitere würden folgen. Die Hochschulen würden Spitzenkräfte verlieren, das Land würde als Forschungsstandort zurückfallen. Wir bei Roche müssten feststellen, dass das Know-how an den Universitäten abnimmt und das akademische Netzwerk insgesamt schlechter wird – während die Schweiz in diesen Kategorien bei Investitionsentscheiden bis anhin einen grünen Punkt hat, wäre das künftig nicht mehr so klar.

Sprich: Roche würde Firmenteile auslagern.

Solche Prozesse finden nicht von heute auf morgen statt, das liefe schleichend. Aber wir möchten das nicht. Die Frage ist doch: Wann ist der Wendepunkt erreicht? Wann lässt sich eine negative Entwicklung nicht mehr stoppen? Ja, wenn die Qualität der Hochschulen sinkt und der Zugang zu exzellenter Forschung sich verschlechtert, kann das auch für ein hier verwurzeltes Unternehmen irgendwann Konsequenzen haben. Es gibt Faktoren, die sind so wichtig, dass man sie nicht kompensieren kann. Deswegen mache ich mir schon jetzt Sorgen um die Schweiz.

Eine grosse Streitfrage ist die Personenfreizügigkeit: Die Schweiz verlangt eine Schutzklausel, um bei starker Zuwanderung Grenzen setzen zu können. Was halten Sie davon?

Eine dauerhafte Einschränkung wäre für uns gravierend. Unsere Investitionen in Basel basieren darauf, dass wir hier ausreichend hochqualifiziertes Personal einstellen können. Das sind hochwertige Arbeitsplätze. Wir wollen weiterhin in der Schweiz produzieren – aber das muss man auch zulassen. Wir sind darauf angewiesen, dass die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland nicht begrenzt wird. Die Personenfreizügigkeit ist für uns zentral, die Hälfte unserer Angestellten am Standort Basel hat einen EU-Pass, viele sind Grenzgänger.

Aber die Skepsis wegen der Zuwanderung nimmt offenkundig zu. Haben Sie Verständnis für das Unbehagen?

Hier in Basel, wo ich lebe und arbeite, spüre ich davon nichts. Wir sehen das Thema pragmatisch: Wenn es statt der Freizügigkeit andere Lösungen gibt, passen wir uns an. Entscheidend bleibt, dass wir Planungssicherheit haben und ausreichend hochqualifiziertes Personal einstellen können. Und ich möchte betonen, dass wir von ausländischen Fachkräften sprechen, die in der Schweiz eine Wertschöpfung kreieren, die es sonst nicht gäbe.

Kritiker sagen, die Zuwanderung führe zu weiterer Zuwanderung, und es kämen bei weitem nicht nur Fachkräfte in die Schweiz.

Für Roche kann ich festhalten, dass wir ausschliesslich Fachkräfte rekrutieren. Für die Schweiz als Ganzes scheint mir klar, dass wir gerade der Personenfreizügigkeit grosse Wohlstandsgewinne verdanken.

«Dann werden wichtige Arbeitsplätze und Firmenteile verlagert, die Position der Schweiz innerhalb von Konzernen wird geschwächt. Wollen wir das wirklich?».

«Dann werden wichtige Arbeitsplätze und Firmenteile verlagert, die Position der Schweiz innerhalb von Konzernen wird geschwächt. Wollen wir das wirklich?».

Roland Schmid für NZZ

In den Verhandlungen mit der EU geht es auch um technische Handelshemmnisse, um die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen. Was ist hier der Stand?

Hier sind ebenfalls Schwierigkeiten zu erwarten. Die EU will 2025 ihre Arzneimittelgesetzgebung erneuern. Wenn sie danach die Anpassung des bilateralen Abkommens mit der Schweiz verweigert, droht uns ein riesiger Rückschritt: Wir müssten unsere Produkte in der EU separat zertifizieren und genehmigen lassen, vielleicht gäbe es sogar zusätzliche Zölle. Nach bisherigen Berechnungen könnte der Mehraufwand für unsere Branche eine halbe Milliarde Franken betragen.

Hand aufs Herz: Die Branche könnte sich damit arrangieren, die Medizinaltechnik ist bereits betroffen und hat das auch geschafft.

Aber die Schweiz als Firmenstandort würde weiter leiden. Die Unternehmen fänden zwar Lösungen, aber die sind teuer. Und vor allem bewirken sie, dass wichtige Arbeitsplätze und Firmenteile in andere Länder verlagert werden, dass also die Position der Schweiz innerhalb von Konzernen geschwächt wird. Wollen wir das wirklich?

Gegenfrage: Welches andere Land ist eine echte Konkurrenz als Pharmastandort? Im Vergleich mit anderen Staaten ist die Schweiz doch immer noch enorm attraktiv.

Wenn die Schweiz in wichtigen Bereichen wie Steuern, Rekrutierung, Forschung und Marktzugang zurückfällt, holen andere auf. Um nur ein Beispiel zu nennen: Deutschland setzt seit kurzem ganz bewusst auf Industriepolitik im Bereich Pharma. Und das scheint zu funktionieren, in den letzten Monaten wurden mehrere grosse Investitionsprojekte internationaler Konzerne angekündigt.

Sie sind für Roche auf fast allen Kontinenten unterwegs: Was ist Ihre Sicht auf die Lage der Schweiz in Europa und auf der Welt?

Das Land spielt seit Jahrzehnten eine bewundernswerte Rolle. Der Erfolg ist beeindruckend, nicht nur wirtschaftlich. Heute aber muss sich die Schweiz mit globalen Verschiebungen arrangieren: Europa steht vor herausfordernden Jahren, China dürfte auf tieferem Niveau weiter wachsen, die USA schauen mehr auf sich, und aufstrebende Staaten wie Indien holen auf. Die Schweiz muss erkennen, dass sie für andere Länder nicht mehr zwingend wichtig ist. Nicht einmal für die EU sind wir ein besonders wichtiger Exportmarkt. In Brüssel schauen sie zuerst in die USA, nach China oder Indien.

Frei übersetzt: Die Schweiz sollte einsehen, dass die EU am längeren Hebel sitzt?

Ich sage nur, dass wir realistisch und aktiv sein sollten. Für die Schweizer Wirtschaft ist die EU als Exportmarkt wichtiger als umgekehrt. Das ergibt sich schon allein aus den Grössenverhältnissen.

Die Volkswirtschaften der USA, Chinas und Indiens wachsen viel stärker als die europäischen. Würde es nicht reichen, wenn sich die Schweizer Pharmaindustrie primär auf diese Märkte ausrichtete?

Nein. Die USA sind mit einem Anteil von 27 Prozent das grösste einzelne Abnehmerland für die Pharmaindustrie. Die EU insgesamt ist jedoch der wichtigste Absatzmarkt der Schweizer Pharmaindustrie. Im Jahr 2022 gingen rund 47 Prozent der Pharmaexporte in die EU, dahinter folgen China und Japan. Insgesamt ist die EU von absoluter Notwendigkeit, und daran wird sich auch in den nächsten Jahren nichts ändern. Allein wegen der Wirtschaftskraft der europäischen Länder und ihrer gut aufgestellten Gesundheitssysteme.

Die Schweiz hat vor kurzem ein Freihandelsabkommen mit Indien unterzeichnet. Ist Indien der nächste grosse Wachstumsmarkt für die Pharmabranche?

Indien bietet reizvolle Perspektiven für den einen oder anderen mittelständischen Anbieter. Aber man sollte nicht vergessen, dass der Ausbau des indischen Gesundheitssystems, in dem zurzeit nur eine Minderheit der Bevölkerung krankenversichert ist, noch Jahre in Anspruch nehmen wird.

Wegen der Probleme bei Horizon raten gewisse Kreise Schweizer Wissenschaftern, mehr Zusammenarbeit mit aussereuropäischen Partnern, beispielsweise in den USA oder Japan, zu suchen. Wäre das eine Option?

Die Wissenschaft kooperiert schon heute weltweit. Doch ein schlagkräftiges Netzwerk wie Horizon anderswo aufzubauen, würde viel Zeit beanspruchen. Apropos Japan: Das Land war einst für eine Reihe international erfolgreicher Pharmaunternehmen bekannt. Doch in den vergangenen zehn Jahren änderte die japanische Regierung die Rahmenbedingungen zum Schlechten. So wurden die Preise für Medikamente beschnitten. Mit der Konsequenz, dass zahlreiche Unternehmen das Land verliessen und japanische Patienten nur noch Zugang zu ungefähr halb so vielen innovativen Medikamenten haben wie Patienten in den USA und in Europa. Und nun versucht Japan seit sechs Monaten, diese Änderungen rückgängig zu machen und Firmen ins Land zurückzuholen.

In der Schweiz beklagen sich Pharmaunternehmen seit längerem, es gehe zu lange, ehe neue Produkte auf den Markt gebracht werden könnten. Riskiert die Schweiz ähnlich wie Japan, Hersteller innovativer Medikamente zu vertreiben?

Die Schweiz kennt ein zweistufiges Verfahren bei neuen Medikamenten. Die erste Phase, während der die Arzneimittelbehörde Swissmedic die Sicherheit und Wirksamkeit überprüft, funktioniert gut. Inakzeptable Verzögerungen gibt es in der zweiten Phase, bei den Preisverhandlungen, die das Bundesamt für Gesundheit mit den Herstellern führt.

Weshalb?

Im Gesetz steht, die Verhandlungen sollten maximal sechzig Tage dauern. In der Realität sind es jedoch rund dreihundert. Der Branchenverband Interpharma machte schon vor drei, vier Jahren Vorschläge, wie dieses Problem gelöst werden könnte, doch leider bewegt sich relativ wenig.

Wie könnten neue Therapien schneller zu den Patienten gelangen?

Wir schlagen vor, die Kosten für Medikamente vom ersten Tag an, nachdem sie von Swissmedic freigegeben worden sind, zu einem provisorischen Preis erstatten zu lassen. Danach würden die Verhandlungen mit dem BAG starten, und falls der endgültig festgesetzte Preis unter dem provisorischen läge, wären die Hersteller zur Rückerstattung der überschüssigen Einnahmen verpflichtet. Dieses System ist seit vielen Jahren in Deutschland erfolgreich.

Das BAG hält davon wenig. Es meint, es sei schwierig, provisorische Preise im Nachhinein nach unten zu verhandeln. Zudem liessen die Pharmafirmen mit ihren zunehmend exorbitanten Preisforderungen keine andere Wahl, als Verhandlungen mit aller Härte zu führen. Was sagen Sie dazu?

Man muss sich vor Augen führen, wie Medikamentenpreise zustande kommen. Bestehendes wird mit Neuem verglichen. Sind neue Therapien sicherer und wirksamer? Lassen sie sich einfacher verabreichen? Doch das ist nicht alles. Es geht auch darum, den Wert für die Patienten abzuschätzen. Können Patienten dank der neuen Therapie das Spital rascher verlassen? Ist ihre Chance auf Heilung grösser? Auch der Einfluss auf das Gesundheitssystem ist wichtig. Wenn Patienten nur eine statt zwei Wochen im Spital verbringen müssen, entlastet dies das System. All das kann man hochrechnen. So schauen es auch viele andere Länder an, wie beispielsweise Dänemark. Sie sehen moderne Medikamente als Investition und nicht bloss als Kostenfaktor. Die Schweiz ist noch nicht so weit.

Was erwarten Sie vom BAG?

Ich bin absolut der Meinung, dass eine Preisfindung, die sich nach dem Wert einer Behandlung ausrichtet, der richtige Ansatz ist. Dies gilt nicht für Angebote der Pharmaindustrie, sondern für jene im gesamten Gesundheitssystem. Zugleich sollte man sich vor Augen halten, dass der Anteil der Medikamente an den gesamten Schweizer Gesundheitskosten seit Jahren konstant bei 12 Prozent liegt.

Das hören wir oft, doch könnten sich Unternehmen wie Roche nicht auch mit etwas geringeren Gewinnmargen begnügen?

Mit dem, was wir machen, gehen wir mit hohen Summen in Vorleistung. Die Entwicklung eines neuen Medikaments kostet heute rund 4 Milliarden Franken, und niemand weiss im Voraus, ob es funktionieren wird. Im Gegenteil, im Durchschnitt scheitern neun von zehn Wirkstoffen in der Forschung und Entwicklung. Kostenintensive Spitzenforschung können wir daher nur unternehmen, wenn wir diese enormen Investitionen auch wieder zurückverdienen können. Bei der Preisfindung muss dies einfliessen, weil wir sonst unsere lebensrettenden Innovationen nicht dauerhaft sicherstellen können.

Kritiker werfen der Pharma vor, nationale Behörden wie das BAG zunehmend zur Geheimhaltung von Preisen zu zwingen. Hat die Öffentlichkeit nicht ein Recht darauf, zu erfahren, wie viel sie für Heilmittel bezahlen muss?

International gesehen, sind solche Vereinbarungen völlig üblich. Verschiedene Länder verlangen sie explizit. Die Schweiz ist ein relativ kleiner Markt. Wenn sie sich den internationalen Gegebenheiten nicht anschlösse, hätte das negative Konsequenzen für die Patienten.

Auf der Strecke bleibt die Transparenz. Kein Land weiss mehr, welchen Preis andere Staaten für das gleiche Medikament bezahlen.

Wie gesagt, sind vertrauliche Preismodelle international weit verbreitet. Dieser Weg bietet einen raschen, umfassenden Zugang zu medizinischen Innovationen. Preismodelle sind jedoch die Ausnahme und werden ausschliesslich bei hochspezialisierten Therapien angewandt. Sie betreffen zurzeit weniger als 2 Prozent der Medikamente und Therapien, die in der Spezialitätenliste aufgeführt sind. Davon sind weniger als die Hälfte vertraulich.

Roche erwirtschaftet mehr als die Hälfte des Umsatzes in den USA. Nun hat die Biden-Regierung erstmals durchgesetzt, dass die Preise für gewisse Medikamente auch in Amerika verhandelbar werden. Drohen Roche und der gesamten Pharmaindustrie empfindliche Mindereinnahmen?

Tatsächlich hatte Amerika bis anhin eine freie Preisfestsetzung. In den USA sind Preise, basierend auf der Höhe der Inflation, auch immer wieder nach oben angepasst worden – ganz anders als in der Schweiz, wo Medikamentenpreise nur eine Richtung, nämlich nach unten, kennen. Wir beobachten die Entwicklung mit gewissen Sorgen, auch wenn wir selbst von den Preissenkungen in Amerika bis 2030 kaum betroffen sein dürften.

In Basel höre man immer mehr Englisch, klagen manche Einheimische. Andere sagen, man finde kaum noch bezahlbaren Wohnraum. Schwindet in Basel die Toleranz für Zuzüger aus dem Ausland?

Ich habe Basel stets als offen und international empfunden. Samstags auf dem Markt hören Sie als Fremdsprachen neben Englisch auch Französisch, Italienisch und Spanisch. Roche unternimmt viel, um Zugezogene bei der Integration zu unterstützen. Wir halten das für sehr wichtig und offerieren unter anderem eine Reihe von Kursen. Dazu gehören auch Angebote im Vereinssport. Die Mitarbeitenden schätzen es und machen rege davon Gebrauch.

Und trotzdem gibt es wohl auch bei Roche Mitarbeiter, die zehn Jahre nach der Ankunft in der Schweiz noch immer kaum ein Wort Deutsch sprechen.

Das ist eine winzige Minderheit.

Weitgereister Manager

df. Jörg-Michael Rupp leitet den Bereich Pharma International des Medikamentenherstellers Roche. Damit trägt der Deutsche, der in Lörrach unweit von Basel aufwuchs und heute in Binningen (BL) lebt, die Verantwortung für die betriebliche Tätigkeit des Unternehmens in über hundert Ländern, einschliesslich der Schweiz. Wie viele Manager von Roche zeichnet ihn eine hohe Firmentreue aus. Rupp arbeitet seit fast vierzig Jahren für den Konzern, wobei ihn seine Tätigkeit in sieben Länder auf vier Kontinenten geführt hat. Seit März 2019 präsidiert er den Branchenverband Interpharma.