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Wie TTTech Auto das Software-Defined Vehicle gestaltet

Wie TTTech Auto das Software-Defined Vehicle gestaltet

TTTech Auto treibt die Zukunft der Mobilität mit revolutionären Sicherheitsarchitekturen voran. Ihr Software-Defined Vehicle kombiniert höchste Sicherheit mit fortschrittlicher Fahrzeugtechnologie und ebnet den Weg für autonomes Fahren.

Dr. Dirk Linzmeier, CEO bei TTTech Auto (links im Bild) im Interview mit Dr. Matthias Laasch

»Wir ermöglichen es unseren Kunden, sich auf das Fahrerlebnis zu konzentrieren, während unsere Lösungen Leistung, Sicherheit, Integration und Software-Updates optimieren.« Dr. Dirk Linzmeier, CEO bei TTTech Auto (links im Bild) (Bild: TTTech Auto)

Herr Dr. Linzmeier, wer ist TTTech Auto, und was ist Ihre Mission?

Dirk Linzmeier: TTTech Auto wurde 2018 als Spin-off von TTTech gegründet, getrieben durch unsere Vision, die Fahrzeugsicherheit zu verbessern und die Entwicklung hochautomatisierter Fahrfunktionen zu unterstützen. Unsere Schwerpunkte sind Fahrerassistenzsysteme und das automatisierte Fahren und unser Fokus liegt auf den Themen Middleware und Sicherheit. Wir ermöglichen es unseren Kunden, sich auf das Fahrerlebnis zu konzentrieren, während unsere Lösungen Performance, Sicherheit, Integration und Software-Updates optimieren.

Als ein relativ junges Unternehmen verweisen Sie dennoch auf Technologiekompetenz und einen Erfahrungsschatz. Welche Rolle spielen Ihre Wurzeln dabei?

Dirk Linzmeier: Die Geschichte von TTTech Auto ist eng verknüpft mit dem Werdegang von Dr. Stefan Poledna, der als Mitbegründer die Entwicklung der Firma technisch entscheidend geprägt hat. Stefan war ein aufstrebender Ingenieur, der in der Entwicklung von By-Wire-Steuerungen seine automobile Leidenschaft fand. Nachdem seine Abteilung von Bosch übernommen wurde, gelang es ihm, die Motorsteuerungskernentwicklung für drei Generationen nach Wien zu holen. Seine Arbeit gipfelte in der Patentierung eines Safety-Konzepts für die By-Wire-Gaspedalsteuerung, das sich als De-facto-Standard weltweit durchsetzte.

Was folgte danach?

Dirk Linzmeier: Nach seiner Promotion und Habilitation stand Stefan vor der Wahl zwischen einer Karriere in der Industrie, der akademischen Welt oder dem Schritt in die Selbstständigkeit. Gemeinsam mit seinem Mentor Prof. Hermann Kopetz und mit Georg Kopetz gründete er 1998 das Start-up TTTech. Heute verfügt TTTech über umfangreiche Erfahrung in der Entwicklung sicherheitskritischer Systeme für die Luft- und Raumfahrt, in Land- und Baumaschinen und für die industrielle Automatisierung von Windturbinen.
Stefan Poledna: 2018 fiel die Entscheidung, eine eigenständige Einheit für den Automobilsektor zu schaffen. Wir erkannten den großen Bedarf, aber auch die zunehmende Komplexität und die strengen Sicherheitsanforderungen moderner Fahrzeugsysteme, die einen  fokussierten und spezialisierten Ansatz erforderten.

Seit zwei Jahren führt Dr. Linzmeier als CEO das Unternehmen, und Sie haben mir im Vorfeld gesagt, dass damit eine Transformation begann. Wie ist das zu verstehen?

Stefan Poledna: Als Dirk 2022 als CEO zu TTTech Auto kam, spürte ich am ersten Tag, dass sich etwas verändern würde. Dirk legte Wert auf ein gut funktionierendes, performantes Team. Er wusste, dass der Erfolg des Unternehmens von der richtigen Besetzung der Führungspositionen abhing. Dirk verschwendete keine Zeit. Er nahm Änderungen im Führungsteam vor und stellte sicher, dass jede Person in der Position war, in der sie ihre Stärken ausspielen konnte. Seine Zielorientierung und die Beharrlichkeit, gesetzte Ziele zu erreichen, waren beeindruckend. Schon nach kurzer Zeit war die Wirkung spürbar. Ziele wurden nicht nur erreicht, sondern oft übertroffen. Dirk schaffte es, eine Aufbruchstimmung im gesamten Unternehmen zu erzeugen.

Transformation ist zurzeit ein Thema der gesamten Automobilindustrie – bitte schildern Sie Ihre Perspektive.

Dirk Linzmeier: Die Erwartungshaltung der Automobilkunden hat sich stark verändert; im Mittelpunkt steht die Digital Experience. Kunden wollen eine enge und nahtlose Integration mit dem Ecosystem, das sie von ihren Mobilgeräten gewohnt sind, bis hin zur Assistenz und Automatisierung von Fahraufgaben. Vor allem erwarten sie relevante und begeisternde Funktions-Updates über den Lebenszyklus ihres Fahrzeugs.

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Stefan Poledna: Das alles wird möglich durch die immer höhere Leistungsfähigkeit der Halbleiter, der Systems-on-Chips. Neue, stark zentralisierte Architekturen mit Zonen erlauben es, im Central-Compute-Bereich ausreichend Rechenleistung, Speicher und Kommunikationsbandbreite vorzuhalten, wie sie kontinuierliche Software-Updates benötigen. Dieser Ansatz unterstützt auch eine Green Transformation, da Fahrzeuge, die in der Produktion viel Energie und Rohstoffe konsumiert haben, so länger aktuell gehalten und länger genutzt werden können.

Das sind die positiven Aspekte. Worin liegt die Herausforderung?

Stefan Poledna: Der Weg zum Software-Defined Vehicle mit Central Compute ist keine lineare Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, sondern er stellt einen Bruch dar. Die Funktionalitäten vieler kleiner ECUs – und zusätzlich vieler neuer Funktionen – werden in einer Art „In-Car-Datacenter“ zusammengefasst.

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Der Weg zum SDV mit Central Compute ist keine lineare Fortschreibung der bisherigen Entwicklung, sondern er stellt einen Bruch dar.

Dr. Stefan Poledna, CTO bei TTTech Auto

Damit bricht das traditionell hierarchische Lieferkettenmodell auf; Hardware und Software werden getrennt vergeben. Es entsteht die neue Rolle des Integrators, der Software von unterschiedlichen Lieferanten, wie OEMs, Tier-1s, Software-Companies und Tech-Playern integriert. Das bedeutet einen Komplexitätssprung, unserer Schätzung nach etwa um den Faktor 100. BMW hat beim diesjährigen Automobil Elektronik Kongress sogar einen Faktor 200 genannt.

Dr. Stefan  Poledna, CTO bei TTTech Auto im Interview

„Das SDV bricht das hierarchische Lieferkettenmodell auf und die Komplexität steigt um den Faktor 100“, sagt Dr. Stefan Poledna, CTO bei TTTech Auto. (Bild: TTTech Auto)

Dirk Linzmeier: Diese Komplexitätsexplosion lässt sich keinesfalls mit den bisherigen Methoden und Modellen der Softwareintegration bewältigen. Damit steht die Industrie vor einer völlig neuen Herausforderung, die eine grundlegende Transformation erfordert. Diese Transformation betrifft im Zentrum die technischen Lösungsansätze, reicht aber auch tief in Bereiche der Unternehmensorganisation und des Führungsstils.

Dr. Dirk Linzmeier, CEO bei TTTech Auto im Interview

“Die Komplexitätsexplosion lässt sich keinesfalls mit den bisherigen Methoden und Modellen der Softwareintegration bewältigen”, betont Dr. Dirk Linzmeier, CEO bei TTTech Auto. (Bild: TTTech Auto)

Stefan Poledna: Um die neue Komplexität zu meistern, können wir die Erfahrungen aus zwei Richtungen heranziehen. Zum einen die Software-Tech-Player. Sie haben schon vor mehr als einem Jahrzehnt neue Entwicklungsmodelle wie CI/CD (Continuous Integration, Continuous Deployment, Anmerkung der Redaktion) eingeführt und verfeinert, die es erlauben, dramatisch schneller neue Funktionalitäten an Kunden zu liefern und das Gesamtsystem stabil zu halten. Dazu zählen aber auch serviceorientierte Architekturen, die einen viel höheren Grad an paralleler Softwareentwicklung ermöglichen. Diese Methoden sind auch für den Automobilbereich wertvoll und müssen umgesetzt werden, aber sie reichen nicht aus.

Warum nicht? Was braucht es außerdem?

Dirk Linzmeier: Die rein softwarebasierten Ansätze sind nicht ausreichend, weil Fahrzeuge in vielen Funktionsbereichen außerordentlich hohe Sicherheitsanforderungen erfüllen müssen und davon Menschenleben abhängen. Daher verwenden wir den Begriff des 4SDV – System, Safety, Security and Software-Defined Vehicles.
Stefan Poledna: Speziell für diese Anforderungen können wir uns die Erfahrungen einer anderen Industrie zunutze machen: der Halbleiterindustrie. Dort ist ein Entwicklungsmodell notwendig, dessen Ergebnis, sobald es in einen Halbleiterbaustein umgesetzt wird, korrekt funktioniert. Denn die Umsetzung und Produktion komplexer High-End-Halbleiter ist extrem teuer. Aus diesem Grund haben sich EDA-Tools (Electronic Design Automation, Anmerkung der Redaktion) mit dem Ziel, Correct-by-Design zu ermöglichen, durchgesetzt. Anders als beim CI/CD-Modell, bei dem laufend nachgebessert werden kann, muss hier der erste Schuss treffen.

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Weil rein softwarebasierte Ansätze nicht ausreichen, haben wir den Begriff 4SDV geprägt: System, Safety, Security und SDV.

Dr. Dirk Linzmeier, CEO bei TTTech Auto

Dirk Linzmeier: Den Correct-by-Design Ansatz sehen wir auch in unserem Produkt MotionWise als zentralen Ausgangspunkt. Im Fokus steht dabei, dass die Zuweisung von Rechenzeit und Kommunikationsbandbreite der Compute-Plattform zu den Applikationsfunktionen so erfolgt, dass alle kritischen Eigenschaften, wie Antwortzeiten für kritische Ereignisse – etwa Fußgänger läuft vor das Fahrzeug – innerhalb der notwendigen Grenzen garantiert beantwortet werden können.

Worum genau handelt es sich bei MotionWise?

Stefan Poledna: MotionWise ist eine horizontale Middleware, die speziell für verteilte Architekturen sowie für Sicherheits- und Echtzeit-Domänen entwickelt wurde. Sie wird benötigt, um die Softwarefunktionalität von der Hardware abstrahieren zu können. Wichtige Kriterien sind die Trennung zwischen den Funktionalitäten und unterschiedlichen Sicherheitsklassen; außerdem die Möglichkeit, inkrementelle Updates vorzunehmen, ohne dass jedes Mal erneut eine Validierung erforderlich wäre.
Dirk Linzmeier: Früher brauchte man eine solche Middleware nur im ADAS-Bereich, heute ist sie für sicherheitskritische Applikationen im gesamten Fahrzeug erforderlich. TTTech Auto bietet dafür modulare Bausteine an, sodass ein OEM bei Bedarf einzelne Module ergänzen oder ersetzen kann, anstatt die komplette Middleware auszutauschen.

Vor Kurzem haben Sie das erste Modul angekündigt, MotionWise Schedule. Was ist daran besonders?

Stefan Poledna: MotionWise Schedule ist eine bahnbrechende Lösung. Durch die Priorisierung von Correct-by-Design setzt TTTech Auto neue Maßstäbe für die Sicherheit und Zuverlässigkeit von Kraftfahrzeugen. Unsere Best-in-Class-Scheduling-Algorithmen stellen sicher, dass Softwarekomponenten und Kommunikation auf die Hardware-Ressourcen abgebildet werden, sodass Sicherheit und Echtzeitverhalten erreicht werden können. Diese Methode reduziert den Zeitaufwand für Softwarefreigaben erheblich und sie schließt die Design-, Test- und Validierungsphasen ein. Somit ermöglicht MotionWise Schedule einen beschleunigten und robusteren Software-Integrationsprozess. Sein Correct-by-Design-Ansatz unterstützt eine sichere Ausführung und Kommunikation in Echtzeit, reduziert den Testaufwand und ermöglicht eine höhere Ressourcenauslastung.

Welche Bedeutung haben Partnerschaften und Ökosysteme für die Entwicklung von TTTech Auto?

Dirk Linzmeier: Sie sind extrem wichtig, denn SDV verändert das Zusammenwirken der Akteure. Aus der Value Chain wird jetzt ein Value Network und das fördert den Ökosystem- und Plattformgedanken.
Stefan Poledna: Wir sind überzeugt, unsere Ziele partnerschaftlich schneller zu erreichen. Deshalb haben wir vor fünf Jahren „The Autonomous“ gegründet.

 

Dr. Stefan  Poledna, CTO bei TTTech Auto im Interview

“Wir sind überzeugt, unsere Ziele partnerschaftlich schneller zu erreichen. Deshalb haben wir vor fünf Jahren The Autonomous gegründet”, sagt Dr. Stefan Poledna, CTO bei TTTech Auto. (Bild: TTTech Auto)

Im September findet das diesjährige Main Event in Wien statt. Worum geht es dabei?

Stefan Poledna: In der Initiative widmen wir uns den großen Herausforderungen – Sicherheitsarchitektur, KI und Regulierung. Es ist aber nicht einfach nur eine Konferenz; neben dem Main Event gibt es ständige Mitglieder, die während des Jahres Arbeitsgruppen bilden. Damit bauen wir ein Ökosystem und einen Know-how-Schatz auf. In den Arbeitsgruppen analysieren wir, welche Ansätze bekannt und publiziert sind; wir bewerten sie nach High-Level-System-Kriterien und geben Empfehlungen auf Architekturebene. So ist ein Safety-&-Architecture-Report mit mehr als 100 Seiten entstanden, der in der Industrie als Orientierungshilfe wahrgenommen wird.

Ihr neuer Unternehmensslogan lautet „Made to Drive“. Welche Botschaft möchten Sie damit der Branche vermitteln?

Dirk Linzmeier: Die Zukunft der Mobilität wird immer mehr von Software bestimmt – allerdings nicht ausschließlich. Vielmehr handelt es sich um einen Systemansatz, der Sicherheitsaspekte einbezieht. Das ist besonders wichtig, da Mobilität letztlich unseren Bedürfnissen dient, vor allem aber muss Sicherheit die Grundlage bilden. Wir bringen Fachwissen und Verantwortung mit und streben danach, technologische Grenzen zu überschreiten. Letztendlich ist alles, was wir tun, darauf ausgerichtet, die Transformation der Automobilindustrie voranzutreiben. Unser Anspruch „Made to Drive“ spiegelt unser hohes Maß an Fachwissen und unsere serien-erprobte Erfahrung wider und unterstreicht unser Engagement für die Weiterentwicklung von Fahrzeugen – für mehr Mobilität für alle. (na)

Das Interview führte Dr. Matthias Laasch, selbstständiger Fachjournalist, Chefredakteur und Autor.

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