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Bestsellerautor über Helden, Klimaschutz und Verfilmungen

Bestsellerautor über Helden, Klimaschutz und Verfilmungen

Ob Künstliche Intelligenz („Die Tyrannei des Schmetterlings“, 2018), Israels Siedlungsbau („Breaking News“, 2014) oder Energiegewinnung auf dem Mond („Limit“, 2009): Der Bestsellerautor Frank Schätzing setzt sich auf vielfältige Weise mit Zukunftsthemen auseinander. Sein Science-Fiction-Thriller „Der Schwarm“ (2004) wurde in 27 Sprachen übersetzt und als ZDF-Serie verfilmt. Auch im Sachbuchgenre ist der 67-Jährige unterwegs: In „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ (2021) fordert er jeden Einzelnen dazu auf, in der Klimakrise zu handeln.

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Das Cover des neuen Romans.

Das Cover des neuen Romans.

Vor seinem Durchbruch mit „Der Schwarm“ war der Autor mit dem sympathischen kölschen Dialekt für Köln-Krimis bekannt. Der erste hieß „Tod und Teufel“ (1995) und spielte im Mittelalter. Der gewitzte Dieb Jacop beobachtet zufällig, wie der Baumeister des Kölner Doms ermordet wird und findet sich unversehens in einer Fehde zwischen den reichen Patriziern und dem Erzbischof von Köln wieder. Jasper, der Onkel der betörenden Färberin Richmodis, nimmt Jacop bei sich auf und führt den Ungebildeten in die Welt des Geistes ein. Diese Ausbildung wird nun in der um Jahrzehnte verspäteten Fortsetzung „Helden“ vollendet.

Ausgerechnet bei den Patriziern, die ihm einst nach dem Leben trachteten, geht Jacop vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umbrüche – die Renaissance kündigt sich an – in die Lehre. Es ist ein Vergnügen, Jacop und Jasper beim Ausloten der Dialektik zu begleiten. „Warum muss ich so einen Unsinn lernen?“, fragt Jacop. „Weil Menschen schlimmste Gräuel mit Unsinn rechtfertigen. Sei klüger als sie.“

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Herr Schätzing, zuletzt haben Sie sich viel mit der Gegenwart und der Zukunft beschäftigt und vor dem Klimawandel gewarnt. Ihr neuer Roman führt sie jedoch viele Jahrhunderte in die Geschichte zurück. Ist es angesichts der Wirrnisse von heute ganz erholsam, einmal in eine andere Zeit abzutauchen?

Das ist es tatsächlich, war aber nicht der Grund dafür, „Helden“ zu schreiben. Vor einigen Jahren, morgens unter der Dusche, dachte ich über einen Science-Fiction-Roman nach und hatte auch schon eine ganz coole Prämisse, kam aber nicht so recht weiter. Plötzlich ging mir auf: Besagte Prämisse eignet sich wunderbar, um meinen Roman „Tod und Teufel“ fortzusetzen. Darin hatte ich eine bestimmte Information unterschlagen, und aus der Leerstelle entwickelte sich ruckzuck ein ganzes erzählerisches Universum.

Von welcher geheimnisvollen Prämisse und von welcher fehlenden Information sprechen Sie?

Würde ich Ihnen das verraten, wüssten Sie, wie Jacops Geschichte ausgeht. Sorry. Die Antwort muss ich schuldig bleiben.

Weshalb setzen Sie mit „Helden“ Ihren großen Mittelalterroman „Tod und Teufel“ nach 29 Jahren fort?

Tatsächlich hatte ich nie vor, eines meiner Bücher fortzusetzen. Nur machte diese duschgeborene Idee so viel Sinn! Und ich habe meine Figuren damals ja auch ein bisschen im Stich gelassen. Sie verdienten es, weitererzählt zu werden.

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Im Zentrum steht wieder der sympathische Dieb Jacop der Fuchs. Ist er in den vergangenen 29 Jahren gereift?

Und wie! Im Buch sind übrigens nur drei Jahre vergangen. Jacop ist entschlossen, ehrbar zu werden, hat in Köln Helfer und seine Liebe gefunden. Sein Mentor Jaspar setzt sich in den Kopf, aus ihm einen Gelehrten zu machen, schließt überdies einen Pakt mit den Erzfeinden aus Band eins, den Patriziern, dass sie den Fuchs zum Kaufmann ausbilden. Aber der war sein Leben lang ein Herumtreiber. Ein Bauernjunge. Man wird nicht von heute auf morgen ein völlig anderer. Insofern ist „Helden“ bei aller Abenteuerdramaturgie auch ein Reiferoman. Jacop geht nach England und gerät dort in den dicksten Schlamassel. Bei meinen Recherchen hatte ich festgestellt, dass es enge Verbindung zwischen Köln und dem englischen Königshaus gab. Tolle Ausgangslage.

In jedem steckt potenziell ein Held. Wir ­können alle ­Helden sein.

Frank Schätzing

Es ist sogar noch ein dritter Teil angekündigt. Woher kommt diese plötzliche Stofffülle?

Die war gar nicht zu vermeiden. Am Ende des ersten Bandes verkündet Jacop, raus in die Welt gehen zu wollen. Also musste auch ich raus in die Welt. Hieß, zwei Jahre Recherche, mit verblüffenden Erkenntnissen! Im 13. Jahrhundert vollzieht sich eine Art Vorrenaissance, Beispiel Finanzwirtschaft: Zuvor hat man im Wesentlichen mit Naturalien gehandelt: Schwein gegen Schwert, Silber gegen Safran – plötzlich überschwemmt Geld die Welt. Der Kapitalismus wird erfunden. Herrschaftsstrukturen ändern sich. Ein europäischer Markt entsteht. Der Mensch wirft das Joch der Ohnmacht ab. Lange galt, der Mensch habe keine Entscheidungsmöglichkeit, qua Erbsünde sei sein Schicksal vorherbestimmt. Somit hatte man auch keinerlei Gestaltungsmöglichkeit. Plötzlich wird es legitim, Gottes Schöpfung zu hinterfragen und zu erforschen. Das führt zu einer wahren Explosion an Entwicklungen. War „Tod und Teufel“ ein Roman über eine Stadt, ist „Helden“ einer über die ganze Welt des 13. Jahrhunderts. Je tiefer ich in diese Welt eintauchte, desto mehr faszinierte mich, wie wenig das alles mit dem dunklen Mittelalter zu tun hatte, das ich aus der Schule kannte. Es ist vielmehr eine funkelnde Zeit voller Umbrüche.

Stadt zu Welt: Bildet das auch Ihren eigenen Werdegang ab – vom Kölner Krimiautor zum Weltbestsellerautor?

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Jetzt, wo Sie‘s sagen. Ich bin ‚ne Kölsche Jung, durch und durch. Aber ich habe mich nie als Deutscher gefühlt, sondern als Bewohner dieses Planeten. Es war naheliegend, dass ich mich globalen Themen zuwende und den Radius erweitere. In die Zukunft, in die Vergangenheit reise – beides Räume mit reichlich Spekulationspotenzial. Ideal für Buchautoren, um ihre Fantasie schweifen zu lassen.

Warum wählten Sie den Titel „Helden“? Fürchten Sie nicht die Fallhöhe? Und was sind für Sie Helden?

Der Titel ist mehrdeutig. Wer ist wirklich Held, wer Heldin? Nehmen wir die historische Figur Simon de Montfort, der im Roman eine große Rolle spielt. Montfort wollte den englischen König in die Schranken einer konstitutionellen Monarchie verweisen und zettelte einen Aufstand der Barone an. Das Land sollte von einem Rat regiert werden, in dem Adlige, Klerus, aber auch Bürger und Bauern sitzen würden. Heute gilt Montfort als Vater des House of Commons. Er wollte Gerechtigkeit für alle, Abschaffung der Willkürmonarchie, die Entscheidungsgewalt sollte beim Volk liegen: Alles davon würden wir heute unterschreiben, insofern war Montfort ein Held. Er war aber noch was: ein übler Populist. Hochintelligent, skrupellos. Zur Erreichung seiner Ziele schürte er den Ausländerhass und propagierte, der Kontinent sauge England aus. In gewisser Weise Urheber des ersten Brexits. Heldenhaftes und Schurkenhaftes gehen bei ihm Hand in Hand. Im Roman gibt es Leute mit geringem Gestaltungsradius, die aber heldenhafter agieren als die Mächtigen, und man sieht: In jedem steckt potenziell ein Held.

Das ist auch die Prämisse Ihres Sachbuchs „Was, wenn wir einfach die Welt retten“.

Ja genau, wir können alle Helden sein. Allerdings, zwischen Macht und Moral spannt sich Heldentum wie ein Drahtseil. Schnell kippt man von einer zur anderen Seite. Und natürlich ist der Romantitel eine Reminiszenz an Bowies Song „Heroes“: Zwei Menschen küssen sich im Schatten der Berliner Mauer, während Schüsse über sie hinwegpeitschen: „We can be heroes just for one day“.

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Ihr Wissenschaftsthriller „Der Schwarm“ ist als ZDF-Serie verfilmt worden. Wünschen Sie sich Ähnliches für Ihre Jacop-Romane – oder lieber eine Netflix-Serie?

Eine Serie bei Disney, Netflix oder Apple TV wäre wunderbar. Ich bin ein großer Fan guter Serien. Nur bitte anders als beim „Schwarm“.

Weshalb hat Ihnen das Resultat nicht gefallen?

Man hat es versäumt, das Buch zu modernisieren. Es ist ja immerhin mehr als 20 Jahre alt. Die Zeiten und Umstände haben sich seither geändert, auch filmisch geben die großen Streamer andere Ansprüche vor als das klassische Fernsehen. Egal, Schnee von gestern. Ich glaube, mein Jacop-Stoff wäre bei einem Streamer gut aufgehoben.

Wir haben vor sechs Jahren schon einmal ein Interview geführt, damals sagten Sie, sie fühlten sich als Autor von „Der Schwarm“ angesichts von Klimakatastrophen und Tsunamis „unangenehm bestätigt“. Wie denken Sie mittlerweile darüber?

Das muss ich mehr denn je unterschreiben. Leider! Dabei war ich eine Weile ganz hoffnungsfroh: Fridays for Future beherrschten die Medien, vieles sah danach aus, als könne die Gesellschaft doch noch nachhaltig verändert werden. Dann boxte Corona alles aus dem Ring. 2021 blühte Klimaschutz wieder auf, 2022 machten die imperialen Blähungen eines kleinen Manns aus Moskau den schönen Trend zunichte. Heute wird Klimaschutz als größere Bedrohung empfunden als der Klimawandel. So sind wir: Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf das, was wir als unmittelbare Bedrohung identifizieren, und schieben die Lösung der weit existenzielleren Krise vor uns her. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass wir knapp die Kurve kriegen, aber Fakt ist, Klimaschutz steht gerade kaum auf der Agenda. Zu viele andere Krisen. Nur, die Natur lässt nicht mit sich reden. Wenn wir nicht endlich die Reißlinie ziehen, droht uns ein physikalischer GAU – dann könnten durch die fortschreitende Erderwärmung zu viele Kipppunkte überschritten werden.

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Sie sprachen auch von Ihrer Angst, dass die Klimabemühungen durch die Erstarkung von rechten Kräften ausgebremst werden. Wie groß ist in dieser Hinsicht Ihre Angst vor einer zweiten Amtszeit von Donald Trump und einem Wahlerfolg der AfD bei der nächsten Bundestagswahl?

Beides wäre eine Katastrophe, aber nicht der Weltuntergang. Es würde uns zurückwerfen, aber hoffentlich auch wachrütteln und die Gegenkräfte mobilisieren. In Polen ist es gelungen.

Die Grünen haben gerade eine Häutung hinter sich, der Vorstand ist zurückgetreten und ehemalige Mitglieder der Grünen Jugend wollen eine eigene Bewegung gründen. Was halten Sie als passionierter Umweltschützer davon?

Wenig. Die Parteienlandschaft wird zusehends zersplittert, Deutschland immer regierungsunfähiger. Das Verhalten der Grünen Jugend finde ich schlicht enttäuschend. Man geht nicht von Bord, wenn Sturm aufkommt. Eine Partei ist keine Spielwiese zur Auslebung von Ideologien. Die Welt ist ideologisch zerrissen genug. Ich halte Robert Habeck nach wie vor für einen starken Politiker, der auf realpolitischer Basis für Lösungen kämpft. Klar hat er Fehler gemacht, aber wir können nicht immer gleich jeden feuern, der Fehler macht. Habeck zeigt Haltung. Ich hoffe, er schafft es, die Grünen zu einen. Der Rücktritt des Führungsduos? Zeugt von Stärke. Verwunderlich, dass die FDP nicht zu ähnlichen Entscheidungen gelangt ist.

Man kann Sie als Redner zum Thema Nachhaltigkeit buchen. Was erzählen Sie da so?

Ich rolle den menschengemachten Klimawandel auf. Der Begriff ist uns sattsam bekannt, aber auf Nachfrage offenbart sich ein eher geringer Kenntnisstand. Ich erkläre, warum Klimawandel keine Glaubenslehre, sondern evaluierte Wissenschaft ist. Dann gehe ich weiter und sage: „Wir können das Ruder rumreißen.“ Nicht allein durch Verzicht und Verbote. Ganz im Gegenteil, durch Mut, Zuversicht, Handeln! Stellen Sie sich einfach vor, wir sitzen in einem leergefressenen Tal. Also müssen wir uns ein neues grünes Tal suchen, jenseits der schneebedeckten Berge. Derzeit reden wir nur über die beschwerliche Bergüberquerung. Ich rede über das grüne Tal dahinter. Schaffen wir es bis dorthin, werden künftig mehr Menschen besser leben als zuvor. Menschheitstransformationen hat es immer gegeben. Umstellungen sind schmerzhaft, führen aber meist zu einem neuen, besseren Verständnis des Miteinanders. Von mehr Nachhaltigkeit, so viel steht fest, werden am Ende alle profitieren.

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Wenn jemand in 800 Jahren einen Roman verfassen würde, der in unserer Zeit spielt – was wäre das wohl für eine Geschichte?

Es wäre ein komplett anderes Buch als ein Mittelalterroman aus Sicht unserer Gegenwart, schon weil uns aus dem Mittelalter kaum Informationen vorliegen – und die wenigen Chroniken wurden ausschließlich von Männern geschrieben. In 800 Jahren wird man auf ein gigantisches Archiv digitaler Daten zugreifen können, die unsere Zeit bis ins Detail abbilden. Man wird sich vielleicht unser Videogespräch anschauen. Wiederum werden wir in 800 Jahren – so wir uns nicht abgeschafft haben – radikal anders denken und derart mit Künstlicher Intelligenz verschmolzen sein, dass wir uns zu komplett anderen Wesen entwickelt haben werden. Und möglicherweise denken: „Wie die da 2024 gelebt haben – absolut unverständlich.“

Frank Schätzing: „Helden“. Kiepenheuer & Witsch. 1040 Seiten, 36 Euro