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Die Essays Platz 60 bis 51 — Rolling Stone

Die Essays Platz 60 bis 51 — Rolling Stone

Rund 50 Jahre nachdem Elvis in den Sun-Studios „That’s All Right“ einspielte, hat der ROLLING STONE das erste halbe Jahrhundert des Rock’n’Roll im großen Stil gefeiert. 2004 baten wir ein Gremium aus 55 Musikern, Autoren und Plattenfirmen-Managern, die einflussreichsten Musiker dieser Ära auszuwählen. Die Liste der 100 Musiker, die 2011 aktualisiert wurde, ist ein Beitrag zur Rock-Historie. Sie umfasst die Beatles ebenso wie Eminem. Sie reicht vom Rock-Pionier Chuck Berry bis zum Blues-Mann Howlin’ Wolf.

Die Essays über die 100 Besten stammen aus prominenter Feder: Ezra Koenig von Vampire Weekend zollt dem Rapper Jay-Z Tribut. Britney Spears verneigt sich vor „Godmother“ Madonna. Rock’n’Roll hat eine glorreiche Vergangenheit.

Lesen Sie hier, die Plätze 70 bis 61.

Von Billie Joe Armstrong

Die Pistols veröffentlichten nur ein Album – „Never Mind The Bollocks, Here’s The Sex Pistols“–, aber dieses Album räumte mit allem auf, was an der Rockmusik zum Himmel stank – und was mit der ganzen Welt schief lief. Niemand hinterließ mit nur einem Album einen derartigen Eindruck. Man kann ihren Einfluss bei Joy Division hören, man hört ihn bei Guns N’ Roses, bei Public Enemy, The Smiths oder Slayer. Es war ein Album, dessen Versprechen nie eingelöst wurde.

Dass die Jungs ihre Instrumente nicht spielen konnten, ist ein schlechter Witz. Steve Jones ist in meinen Augen einer der begnadetsten Gitarristen; er brachte mir bei, was man aus einer Gibson herausholen konnte. Paul Cook ist ein exzellenter Drummer mit einem ganz eigenen Sound. Es gibt Bands, die sich noch immer abmühen, so wie die Pistols zu klingen.

Der Unterschied zwischen John Lydon und anderen Punk-Sängern ist der, dass sie immer nur nachahmen, was er von Natur aus war. Es gibt nichts an ihm, das auch nur im Geringsten gekünstelt ist. Und was den Bassisten angeht: Ich denke schon, dass es nicht unbedingt ein Fehler war, Glen Matlock durch Sid Vicious zu ersetzen. Matlock war cool, aber Sid hatte alles, was cool am Punkrock war: dieser dürre Bursche mit der dicken Lippe, der auch etwas von Elvis und James Dean hatte. Alles andere als romantisch war natürlich, dass er an der Nadel hing. Er konnte sein Instrument durchaus beherrschen, aber er war zu hinüber, um es auch wirklich zu tun.

Die Sachen, über die Lydon 1976/77 schrieb, sind heute immer noch relevant – und sie zeichnen ein hässliches Bild. Niemand hatte die Eier, das auszusprechen, was sie damals rauskotzten. Die einzige Person, die etwas Vergleichbares ausdrücken konnte, war Bob Dylan, aber der sagte es nie so krass wie sie.

Als ich sie mit 14 oder 15 erstmals hörte, stand ich auf Heavy Metal und Hard Rock. Ich glaube, ich war bei einer Freundin, als ich zum ersten Mal diese stampfenden Stiefel am Anfang von „Holidays In The Sun“ hörte. Und dann brach die Gitarre wie ein Gewitter über einen hernieder.

Und als sich auch noch Lydon einmischte, wollte ich auf der Stelle mit meiner Vergangenheit abschließen und etwas völlig Neues anfangen. Und wann immer ich heute etwas Neues zu schreiben versuche, sind sie meine heimliche Messlatte: Sie haben gezeigt, was mit Musik machbar ist. Man muss sie nicht nachäffen, aber man kann – ihrer Vorarbeit sei Dank – mit Musik alle Grenzen sprengen.

Von Slash

Ich glaube, die heutige Generation hat nicht die leiseste Ahnung, wie gut der klassische Aerosmith-Stoff war. Sie lieferten nicht nur die Vorlage für mich, sondern hinterließen auch ihre Spuren bei diversen Post-Guns-N’-Roses- Bands: Soundgarden, Nirvana, Alice In Chains und Pearl Jam haben alle ein Stück von ihrem Kuchen abgebissen.

Meine große Erleuchtung passierte, als ich 14 war. Ich hatte eine ältere Freundin, der ich unbedingt an die Wäsche wollte; nach langem Quengeln lud sie mich schließlich nach Hause ein. Wir hingen rum, rauchten Pot und hörten Aerosmiths „Rocks“. Es traf mich wie ein Donnerschlag. Ich saß nur da und legte das Album immer und immer wieder auf – und hatte das Mädchen längst vergessen. Ich erinnere mich noch, wie ich an dem Abend mit dem Fahrrad zurück zu meiner Großmutter fuhr und wusste, dass sich mein Leben verändert hatte. Ich hatte etwas gefunden, mit dem ich mich identifizieren konnte.

Der Schlüssel zu „Rocks“ sind die beiden ersten Songs: „Back In The Saddle“ und „Last Child“. Diese Links-rechts-Kombination riss mir den Kopf weg. Mein Favorit war aber immer „Nobody’s Fault“, das zweite Stück auf der B-Seite: Sie hatten diese aggressive, psychotische, durchgekokste Ausstrahlung, hatten gleichzeitig aber auch ihr kleines Stones-artiges Blues-Ding am laufen.

Als ich Gitarre lernte, gaben mir Aerosmith den nötigen Tritt in den Arsch. Ich identifizierte mich mit Joe Perry, musikalisch und visuell. Er hatte einen ganz eigenen Schliff, der mich irgendwie an Keith Richards erinnerte; er war immer so wunderbar kaputt und bearbeitete seine Gitarre mit unglaublicher Coolness. Ich stand auch total auf Brad Whitfords Soli: Er hatte einen größeren Einfluss auf mich, als den meisten wohl bekannt ist.

Mein erstes Aerosmith-Konzert war 1978 – bei einem Festival mit Van Halen: Sie waren so laut, dass man kaum eine Note identifizieren konnte – und trotzdem war es höllisch gut. Kurz danach lösten sie sich auf, was für mich das Ende des 70s-Rock war. Sechs Jahre später, als sie wieder zusammengekommen waren, sah ich sie erneut – und sie waren atemberaubend. Kurz darauf wurden Guns N’ Roses gefragt, ob sie auf der „Permanent Vacation“-Tour als ihre Vorband auftreten wollten. Im Hotelzimmer ihres Managers bestellten wir für 1500 Dollar beim Roomservice, als er gerade im Bad war. Und verwüsteten anschließend das Zimmer. Sie müssen uns wohl gemocht haben, weil sie uns trotzdem mit auf Tour nahmen.

Von Ice Cube

Wenn man in den Achtzigern bei einer Party Funkadelics „(Not Just) Knee Deep“ auflegte, konnte es schon mal passieren, dass es richtig zur Sache ging. Einige DJs weigerten sich, die Nummer aufzulegen, weil dann oft genug die Fäuste flogen. Die crazy motherfuckers, die auf der Party waren, wurden dann wirklich crazy: „Knee Deep“ war für sie das Signal, die Sau rauszulassen. Mit 15 Minuten war der Song so lang und so gut, dass man glaubte, die Zeit sei gekommen – für was auch immer.

Von George Clinton lernte ich, dass es keinerlei Grenzen gibt. Du machst einfach, was du fühlst. Er hatte natürlich auf diesen Alben die wahnsinnigsten Musiker um sich geschart: Bootsy Collins am Bass, dann Bernie Worrell, den besten Keyboarder, den ich je gehört habe; er holte sich James Browns Saxofonisten Maceo Parker und wen immer er gerade auftreiben konnte. Und weiß der Teufel, woher er diese Arrangements nahm: Manchmal fing’s mit quietschenden Computersounds an, um dann in ganz straighte, aber wundervoll instrumentierte Passagen überzugehen.

Mein Onkel Jerry war DJ und machte mich als Kind mit all den P-Funk-Platten bekannt: „The Clones Of Dr. Funkenstein“, „Mothership Connection“… Sie waren verrückt und psychedelisch – und der Superman war immer ein Schwarzer. Sie hatten die besten Albumcover, die mir bis zum heutigen Tag unter die Finger gekommen sind: Man konnte sich darin vertiefen, so wie man es heute mit einem Video macht. Ich erinnere mich noch, wie ich auf das Cover von „Motor Booty Affair“ starrte: Man sah Sir Nose D’Voidoffunk, wie er gerade von diesem riesigen Vogel attackiert wird. Ich war damals zu jung, um auf die Konzerte gehen zu können, aber ich ließ mir von meinen älteren Geschwistern alles haarklein erzählen: von den gigantischen Bühnenshows und wie einmal ein Zuschauer strippte und nackt durch die ganze Arena lief. Machte mich fix und fertig.

Letzten Endes beschrieb niemand die Musik von George Clinton besser als der Meister selbst: Sie sei „cosmic slop“, sie sei funkadelisch – funky und psychedelisch. Und wer sich drauf einlasse, verspüre die connection zum mothership. Clinton war ein Marketingmann, im besten Sinne des Wortes: Er lieferte ab, was er versprach. Er war der Muhammad Ali der Musik. In Kalifornien ist er auch heute noch angesagt. Parliament und Funkadelic waren ihrer Zeit um 30 Jahre voraus.

Von Warren Haynes

Ich bin nicht als Deadhead zur Welt gekommen und konvertierte eigentlich auch erst 1989. Meine Frau Stefanie hingegen war immer ein Deadhead und schleppte mich, als wir uns kennenlernten, zu jedem Konzert. Ich erinnere mich an eine Nacht im Madison Square Garden, als uns Bruce Hornsby – der damals Keyboards für sie spielte – mit auf die Bühne nahm und uns ein Plätzchen gleich hinter seinem Piano zuwies. Wir waren drei Meter von Jerry Garcia entfernt, und man konnte hautnah miterleben, wie sehr das Publikum auf ihn fixiert war. Die Dead und ihr Publikum schwingen nun mal auf einer ganz besonderen Wellenlänge, und es war faszinierend zu beobachten, wie er – in seiner typisch untertriebenen Art – dieses Schiff auf Kurs hielt.

Es ist kein Geheimnis, dass die meisten Jam-Bands von Grateful Dead beeinflusst wurden. Was mich aber an vielen der heutigen Gruppen stört, ist der Mangel an historischen Perspektiven. Die Dead liebten Folk, akustischen Blues und Bluegrass – vor allem Garcia. In den Songs, die er mit Robert Hunter schrieb, aber auch in Bob Weirs Material, klingt die Musik durch, die 40 Jahre zuvor gespielt wurde. Man spricht immer von der Magie seiner Gitarre und der Verwundbarkeit in seiner Stimme, aber sein Verständnis für Melodieführung und Akkordwechsel war nicht weniger außergewöhnlich. Die Balladen, die mir in diesem Zusammenhang als erstes einfallen, sind „Loser“, „Wharf Rat“ und „Stella Blue“.

Bevor ich 2004 bei den Dead einstieg, hatte ich fünf Jahre mit Phil Lesh gespielt. Er ist wohl einer der außergewöhnlichsten Bassisten, die je gelebt haben. Er kam von der klassischen Musik und verstand seinen Bass als Teil eines Orchesters. Er beschränkt sich folglich nicht darauf, nur die Grundtöne zu liefern, sondern schwirrt – wie Mickey Hart und Bill Kreutzmann, ihre Drummer – kreuz und quer durch die Gegend. Die Magie in der Dead-Musik entstand zum großen Teil dadurch, dass Phil und Jerry lernten, miteinander zu spielen – dass sie Phils Ansatz und Jerrys riesiges musikalisches Spektrum unter einen Hut brachten.

Jerry ist noch immer einer der wenigen Gitarristen, die man beim ersten Hören sofort identifizieren kann. Es war Menschlichkeit, die sich in Jerrys Gitarrenarbeit, aber auch in seinem Gesang manifestierte. Er spielte mehr mit Herz und Seele als nur mit Technik. Und das ist es nun mal, was die besten Musiker auszeichnet.

Als Band gelang es ihnen auch, das Wort „Erfolg“ neu zu verorten. Sie kreierten eine Gefolgschaft, die auf natürliche Weise wuchs und wuchs und wuchs. Sie überlebten in einer Welt, in der es eigentlich keinen Platz für sie zu geben schien. Sie entzogen sich dem System und animierten ihre Fans, das Gleiche zu tun: freie und unabhängige Köpfe zu sein. Viele der Deadheads lebten in einer völlig anderen Welt, als sie den Dead-Kosmos entdeckten und sich von ihrem alten Leben verabschiedeten. Und das ist die Botschaft, für die Grateful Dead auch heute noch stehen.

Wenn ich mit den Allman Brothers spiele, überlässt die Band mir die Entscheidung, wie viel von Duanes Einflüssen ich einarbeite. Die Dead funktionieren genauso. Sie würden mir nie sagen „Spiel’s mehr wie Jerry“ oder „weniger wie Jerry“. Es heißt nur: „Spiel, was du für richtig hältst.“

Von Kanye West

Küssen HipHop-Produzenten Dr. Dre die Füße? Das ist so, als würde man einen überzeugten Christen fragen, ob Jesus für seine Sünden gestorben ist. Dre trägt die ganze Westcoast auf seinen Schultern. Er entdeckte Snoop – neben Jay-Z der größte lebende Rapper – und nahm Eminem, 50 Cent und Game unter Vertrag. Er findet Künstler mit Potenzial und holt alles aus ihnen heraus.

Ich erinnere mich, Dres Musik gehört zu haben, lange bevor ich wusste, wer er überhaupt war. Als ich elf war, hatte ich eine Kassette von Eazy-Es „Eazy-Duz-It“. Ich wusste damals nicht, was sich hinter dem Wort „Produktion“ versteckte, aber ich liebte diese Musik. Je mehr ich lernte, was ein HipHop-Produzent macht, umso mehr zog ich den Hut vor Dre. Man erinnere sich einmal daran, wie auf alten N.W.A.-Platten der Beat innerhalb eines Songs vier- oder fünfmal wechselt.

Als ich selbst anfing, Beats zu produzieren – noch in meinem kleinen Heimstudio im Haus meiner Mutter –, versuchte ich die Beats von Timbaland, DJ Premier, Pete Rock und vor allem Dr. Dre zu kopieren. Dres Aufnahme von Tupacs „California Love“ war aber so abgehoben, so jenseits meines Horizonts, dass ich nicht mal den blassesten Schimmer hatte, wie er das anstellte. Ich hatte keine Ahnung, wie er all die Instrumente übereinanderschichtete und den Beat trotzdem auf den Punkt brachte. „The Chronic“ ist noch immer das Hip-Hop-Äquivalent zu Stevie Wonders „Songs In The Key Of Life“ – es ist die Messlatte, an der sich alle HipHop-Alben messen müssen. Aber es war „Xxplosive“ von „2001“, das mir meinen gesamten Sound lieferte: Es hat einen Soul-Beat, gleichzeitig aber die wuchtigen Drums.

Ich lernte Dre im Dezember 2003 kennen. Er fragte mich, ob ich einen Track für Game produzieren wolle. Ich war durch seine Anwesenheit zunächst eingeschüchtert, aber nach 30 Minuten lag ich auf den Knien und flehte ihn an, mein nächstes Album zu mixen.

Dre ist davon überzeugt, dass Gott ihn auf diese Welt gesetzt hat, um Musik zu machen – und was immer sich ihm an Hindernissen in den Weg stellt: Am Ende ist er immer ganz oben.

Von Steven Van Zandt

Eric Clapton ist der wichtigste und einflussreichste Gitarrist, der je gelebt hat, noch lebt und je leben wird – und nun tu dir einen Gefallen und versuch gar nicht erst, mit mir darüber zu diskutieren! Vor Clapton gab es die Rock- Gitarre à la Chuck Berry – modernisiert von Keith Richards – und die Rockabilly- Gitarre, also Scotty Moore, Carl Perkins, Cliff Gallup, die von George Harrison popularisiert wurde. Clapton absorbierte beides und fügte die Essenz des elektrischen schwarzen Blues hinzu: die Power und das Vokabular von Buddy Guy, Hubert Sumlin und den drei Kings – B.B., Albert und Freddie –, um so einen Ton zu kreieren, der die Rock’n’Roll- Leadgitarre für immer verändern sollte.

Vielleicht noch wichtiger: Er drehte den Verstärker auf – bis auf 11. Allein das schon blies in den Sixties allen die Schädeldecke weg. Im Studio stellte er Mikro und Verstärker auf die entgegenliegenden Seiten des Aufnahmeraums und schaffte so mehr Atmosphäre. Und dann drehte er das Ding voll auf: Sustain, Feedback, alles an Bord. Der Gitarrist war plötzlich der wichtigste Mann in der Band.

Vom Kopf her war Clapton eigentlich Purist, auch wenn man zunächst davon wenig hören konnte. Jeder Lick, selbst ein notengetreues Cover wie das von Freddie Kings „Hide Away“, brezelte er gnadenlos auf – und wenn er ein Solo spielte, kreierte er wundervolle Symphonien auf Basis der klassischen Blues-Licks. Man konnte seine Soli mitsingen, als seien sie eigenständige Songs.

Ich sah Clapton zum ersten Mal 1967 im Cafe Au Go Go in New York – fast jedenfalls. Ich stand draußen, weil die Show ausverkauft war. Aber ich konnte ihn durchs Fenster direkt sehen. Und es war laut, selbst draußen. Musikalisch war Clapton damals ein Tier. Er stand unbeweglich auf der Bühne, lieferte aber gleichzeitig die brutalste Frontalattacke, die man je miterlebt hatte. Und wenn er seiner Kreativität, Leidenschaft, Frustration und Wut freien Lauf ließ, konnte man es geradezu mit der Angst bekommen. Sein Solo auf „Crossroads“ ist schlicht unfassbar.

Ich habe Clapton nur einmal flüchtig kennengelernt – insofern basieren meine Gedanken nicht auf Insiderinformationen. Aber ich denke, dass sich sein Stil Anfang der Siebziger dramatisch änderte, weil der Song und das Songwriting für ihn wichtiger wurden. Und Robert Johnson spielte dabei eine gewichtige Rolle. Clapton war von seiner Musik so bewegt, dass er mit der gleichen Leidenschaft, Präzision und Ehrlichkeit schreiben und singen wollte. Man hört seine Frustration – nämlich die Erkenntnis, dieses Ziel nicht erreichen zu können – in seiner Gitarrenarbeit der 60er-Jahre. Das erste Mal, dass ich wirkliche Wut und sexuelle Aggressivität auf einer Platte erlebte, war auf der John-Mayall-Platte „Bluesbreakers With Eric Clapton“.

Dylans „Basement Tapes“ und „Music From Big Pink“ von The Band läuteten eine Rückkehr zu den amerikanischen Roots ein, und diese Alben waren ein eminent wichtiger Einfluss auf Clapton. Etwa zur gleichen Zeit animierten ihn Delaney und Bonnie, verstärkt zu schreiben und zu singen. Auf „Eric Clapton“ bekommt man einen Eindruck, wie er beides mit Bravour meisterte – und man hört auch deutlich den Übergang von Gibson-schmutzig zu Stratocaster-clean.

„Layla“ war für mich die letzte Aufnahme, auf der Gesang, Songwriting und Gitarre mit der gleichen Intensität umgesetzt wurden. Es ist Claptons eigenwilligste Interpretation des Blues – vermutlich weil die Höllenhunde auf seinen Fersen diesmal ein sehr konkretes Gesicht hatten: die unerwiderte Liebe. Aber Claptons Gitarrenarbeit ist hier noch immer atemberaubend. Er hatte sieben Jahre unfassbarer, historisch unvergleichlicher Kreativität hinter sich – und 40 Jahre solider Arbeit vor sich. Der Beste zu sein muss auf die Knochen gehen. Also schaltete er – wie Dylan und Lennon – einen Gang runter. Der Sprint ist cool, der Marathon ist besser. Clapton trat in die Fußstapfen seiner Vorbilder: Er wurde ein journeyman.

Jeder, der Gitarre spielt, ist ihm zu Dank verpflichtet. Er entwickelte das Vokabular, den Binärcode. Der Tag wird aber sicher kommen, an dem ein junger Rocker eine von Claptons heutigen Schmuseballaden im Radio hört und fragt: „Und, das soll nun so weltbewegend sein?“ Man kann ihm dann nur antworten: Leg „Steppin’ Out“ auf. Und knie nieder.

Von Buddy Guy

Der Mann war ein Naturtalent. Als ich zum ersten Mal eine Howlin’-Wolf-Platte hörte, dachte ich, diese tiefe, kratzende Stimme sei aufgesetzt und nicht echt – bis ich ihm persönlich begegnete. Er sagte „Hallo“, und ich dachte nur: „Oops, das ist nicht gestellt, das ist das wahre Leben.“ Und er sprach, wie er sang. Ich erinnere mich noch, dass ich unwillkürlich mit den Füßen wippte, als er mit mir redete.

Seine ersten großen Aufnahmen – „Moanin’ At Midnight“ und „How Many More Years“ – hörte ich auf einem alten batteriebetriebenen Radio; ich lebte noch in Louisiana, wo man aber WLAC aus Nashville empfangen konnte, die nachts ein halbstündiges Blues-Programm hatten. Ich hörte diese Stimme und versuchte mir vorzustellen, wie der Mann wohl aussah. Ich dachte, es sei ein großer, vergleichsweise hellhäutiger Mann. Dann fuhr ich nach Chicago – es war der 25. September 1957 – und lernte all diese großartigen Blueser kennen: Muddy Waters, Sonny Boy Williamson, Howlin’ Wolf. Und als ich Wolf sah… Ja, er war groß, aber hellhäutig war er nun ganz bestimmt nicht. Und dann brachte er diese unglaubliche Show auf die Bühne: Er ging auf die Knie, bewegte sich auf allen Vieren und heulte dazu wie ein Wolf „I’m a tail dragger“. Und er schwang mit den Hüften, so wie es die Kids damals mit den Hula-Hoop-Reifen taten.

Es war ein Erlebnis, mit ihm auf der Bühne zu stehen. Wolf war riesig, aber der Mann konnte sich bewegen! Die Leute dachten wohl, er würde still auf einem Hocker sitzen und den Blues singen, weil er so riesig war. Aber nein, er ließ die Sau raus und sprang wild auf der Bühne herum. Seine Fäuste waren groß wie Autoreifen, und er ballte sie vor dem Publikum. Als ich den Anruf bekam, bei einigen seiner Aufnahmen mitzuspielen, dachte ich: „Oh Scheiße, pass bloß auf, dass du die richtigen Noten spielst.“ Man hatte mir erzählt, dass er gewalttätig sein könne, aber es fiel nie ein böses Wort zwischen uns – bis zu seinem Tod.

Es gab einen guten Grund, warum ich auf Tracks wie „Killing Floor“, „Built For Comfort“ und „300 Pounds Of Joy“ mitspielen durfte: Es gab eine Menge Musiker, die weit besser waren als ich, aber die meisten von ihnen dachten sich wohl: „Das ist meine Gelegenheit, den großen Wolf von der Bühne zu blasen.“ Ich hätte so was nie sagen können; für mich war es die große Gelegenheit, etwas von Wolf zu lernen. Aber er war eigentlich kein strenger Lehrmeister. Wenn du etwas spieltest, das ihm gefiel, dann drehte er sich um und lächelte dich an. Und wenn er lächelte, gab’s auch ein Honorar.

Ich habe auch mit Muddy gespielt, und es war eine große Ehre, mit beiden gespielt zu haben. Es kursierte das Gerücht, dass beide sich nicht grün seien, aber ich habe davon nichts mitbekommen. Jimmy Rogers, der in Muddys Band spielte, schüttelte sich immer vor Lachen, wenn er hörte, was Muddy über Wolf und Wolf über Muddy gesagt habe. Alle nannten sich „motherfucker“ und machten sich nieder. Aber unter Musikern war „motherfucker“ ein Kosename. Und wenn Wolf sagte: „Motherfucker, you can’t play“, dann meinte er tatsächlich: „Ich werd dir Feuer unterm Arsch machen, damit du mir zeigst, was du drauf hast.“ Es war das Zeichen, dass du loslegen solltest.

Für mich war alles in dieser Stimme zum Anfassen nah – selbst wenn er nicht sang. Wir hatten damals in Chicago die sogenannten „Blue Mondays“, die morgens um 7 Uhr anfingen, nachdem man in der Nacht gespielt hatte und noch ein bisschen quatschen wollte. Ich hörte nur zu, wenn Wolf sprach. Es musste auch nicht über Musik sein – er ging gerne fischen und liebte Sport. Was immer er sagte: Für mich klang es wie die Stimme aus dem Himmel.

Die Leute kennen ihn nicht so, wie sie eigentlich sollten. Als Muddy starb, gab ich im TV ein Interview, und sie fragten: „Wie sollte man sich an ihn erinnern?“, und ich sagte, dass die meisten Städte mit berühmten Musikern eine Straße nach ihm benennen. Und sie nannten die Straße, wo er die meiste Zeit gelebt hatte, tatsächlich nach ihm. Nach Wolf wurde nie etwas benannt. Und die junge Generation kennt diese Musiker gar nicht mehr. Meine Kinder wussten nicht, wer ich eigentlich war – bis sie mit 21 in einen Club gehen konnten und mich spielen sahen.

Wir müssen zurück in die Zeit und etwas Staub aufwirbeln. Wir müssen die Leute informieren, dass es Howlin’ Wolf und Muddy und Little Walter und all die anderen cats waren, die Chicago zur Metropole des Blues gemacht haben. Chess Records ist eine offizielle Sehenswürdigkeit – aber wer hat Chess Records denn gemacht? Was ist mit den Leuten wie Wolf, die immer mehr in Vergessenheit geraten?

Von Billy Gibbons

In gewisser Weise sagt ihr Name schon alles – und damit ist nicht gemeint, dass Duane und Gregg Allman die gleichen Eltern hatten. Die Allman Brothers Band waren als Musiker eine verschworene Bruderschaft, für die Rasse und Ego keine Bedeutung hatte. Es war eine Konstellation, die in dieser Perfektion wohl unerreichbar bleibt.

Die Allmans waren die erste große Jam-Band, und sie brachten die Kunst des Jammens auf ein gänzlich neues Niveau. Sie mischten traditionellen Blues mit ihrem ganz eigenen Verständnis von Rock’n’Roll.

Duane Allman spielte das, was er hören wollte. Schon vor ihm gab es Bottleneck-Gitarristen, aber Duane zauberte plötzlich Sachen, die noch niemand vor ihm gespielt hatte. Sein Ton und seine Technik waren einmalig. Er war ein atemberaubender und munvergleichlicher Musiker, der viel zu früh mvon uns gegangen ist.

Und dann war da Gregg, sein jüngerer Bruder. Mit seinem Gesang und den Keyboards lieferte er eine dunklere Grundierung, einen Schuss Soul, der dem Regenbogen der Allmans eine zusätzliche Farbe verlieh. Sie hatten Respekt vor den Wurzeln ihrer Musik, sie lernten vom Blues und interpretierten ihn nach ihrer Vorstellung um, sie nahmen Altes und machten Neues daraus.

Ich hatte das Glück, sie schon in ihren frühen Jahren zu erleben. Ich hörte von ihnen, als sie erstmals auch außerhalb von Macon, Georgia, von sich reden machten. Sie spielten dann in Austin und hinterließen einen hervorragenden Eindruck. Und plötzlichen waren wir mit ihnen und Quicksilver Messenger Service auf Tour und erlebten, wie Musikgeschichte geschrieben wurde. Nach unserem Set blieben wir immer hinter der Bühne und verfolgten, wie sich Duane und Dickey Betts die Bälle zuwarfen; es war, als würden sie zusammen an einem kostbaren Teppich knüpfen. Auch allein war Dickey ein nicht zu unterschätzender Faktor, selbst wenn anfangs niemand in der Band die anderen auszuspielen versuchte.

Auf „At Fillmore East“ gibt es einige Momente, die mit Worten nicht zu beschreiben sind. Die verlängerte Version von „Whipping Post“ ist für mich das Maß aller Dinge. Die Allmans waren eine großartige Southern Band, aber sie waren mehr als das: Sie transformierten alles, was damals in den Südstaaten musikalisch relevant war, zu einer neuen Einheit. Sie waren die Besten von uns allen.

Von Gerard Way

Mein Vater war Automechaniker und arbeitete an vielen Schrottkisten, die noch keinen Kassettenspieler hatten. Aber sie hatten 8-Track! Und einmal ließ ein Kunde ein Exemplar von Queens „Greatest Hits“ im Auto liegen. „Bohemian Rhapsody“ muss einfach der größte Song sein, der je geschrieben wurde. Als er veröffentlicht wurde, schlug er die ganze Welt in seinen Bann. Wenn man in einer Band spielt und auf etwas stößt, das alle Regeln auf den Kopf stellt, dann ist das wie ein kreativer Silberstreifen am Horizont. Und Queen versuchten immer, etwas Neues zu kreieren – keiner ihrer Songs ist nach dem gleichen Muster gestrickt.

Ich liebte Freddie als Performer. Vielleicht übte er diese unglaubliche Posen ja vor dem Spiegel ein, aber er machte nie den Eindruck, in eine andere Haut zu schlüpfen. Es war seine Art und Weise, der Welt zu sagen: „Ich bin, wie ich bin.“ Ich erinnere mich noch an die Zeit, als die verbliebenen Queen-Mitglieder einen neuen Sänger suchten und ich dachte: „Das würd ich für mein Leben gern tun.“ Es macht einfach einen Riesenspaß, seine Songs zu singen – und er sang sie mit dieser unglaublichen Hingabe. Nur mit dem Rauchen müsste ich wohl aufhören, wenn ich mich ernsthaft daran versuchen würde.

Queen galten als cool – und waren es dann plötzlich nicht mehr. Vielleicht, weil sie Rückgrat hatten und an ihre Musik glaubten. Rockmusik lebt nun mal oft genug von leeren Phrasen und hohlen Posen – und Queen wollten da einfach nicht mitmachen. Sie waren von dem, was sie taten, offensichtlich bis in die Haarspitzen überzeugt.

Und sie sorgten für kontroverse Reaktionen. Ich hörte einmal die Anekdote – und weiß nicht, ob sie der Wahrheit entspricht –, dass Queen auf einem Festival spielten und von der Bühne gebuht wurden. Freddie schwor, dass sie zurückkehren würden, und zwar als größte Band dieses Planeten. Und sie taten es. Als wir die Festivals in Reading und Leeds spielten, mussten wir nach Slayer auf die Bühne – und mit Pisse gefüllte Flaschen flogen uns entgegen. Ich dachte mir damals: „Wenn wir je wieder hierher kommen, dann nur als Headliner.“ Ich habe immer die gleichen Träume zu träumen versucht, die auch Freddie träumte.

Von Wayne Coyne

Als ich in den Siebzigern groß wurde, waren sie omnipräsent. Meine Brüder, meine ältere Schwester und all ihre Freunde rauchten Pot auf ihren Zimmern, und hörten Pink Floyd, vor allem „Dark Side Of The Moon“. Wenn man 14 wird, stürzen plötzlich so viele Dinge auf einen ein, aber „Dark Side Of The Moon“ lieferte dafür den perfekten Soundtrack. Je intensiver man sich mit ihrer Musik beschäftigte, umso mehr stieß man auf interessante Details, die dann wiederum zu anderen Entdeckungen führten. Man spürte, dass hinter Pink Floyd kreative Köpfe standen, die sich spielerisch über vermeintlich eherne Gesetze hinwegsetzten und einfach machten, was sie für richtig hielten.

Und sie hatten dieses bewundernswerte Talent, sich zwischen den Alben neu zu erfinden. Wenn man Musik nur rezipiert, wird einem das vielleicht nicht in letzter Konsequenz bewusst. Hat man aber selbst schon 14 Alben gemacht, fällt es einem wie Schuppen von den Augen. Sie hatten ihre Phase eins, Phase zwei, vielleicht auch Phase drei und vier. Selbst mit viel Glück kommen die meisten Gruppen nicht über Phase eins hinaus.

Es begann damit, dass Syd Barrett diese skurrilen Geschichten schrieb, diese seltsamen Songs, die irgendwie Surf-Rock waren, irgendwie R&B – aber eben aus seiner völlig abgedrehten Perspektive. Später war es Roger Waters, der diese groß angelegten Klanglandschaften entwarf, die die Krisen der menschlichen Natur illustrierten. Und schließlich kamen Pink Floyd zu der Überzeugung: „Hey, wir könnten in riesigen Stadien spielen und dort gigantische Schweine in den Himmel steigen lassen.“ Und immer hatte ihre Musik die Substanz, um dieses Konzept auch zu tragen.

Und gleichzeitig: Trotz aller Ebenen und Versatzstücke, die in ihren Konzepten durcheinanderwirbelten, besaßen sie immer eine sehr direkte, bodenständige Musikalität. Vergleicht man sie mit den Prog-Rock-Gruppen – King Crimson, Yes oder Genesis –, ist ihre Musik geradezu simplistisch. Wenn man einen ihrer Songs das erste Mal hört, kann man die Akkordfolgen und Harmonien unmittelbar nachvollziehen. Ich liebe auch diese anderen Bands, aber bei Pink Floyd ist das emotionale Verständnis weitaus spontaner.