Quincy Jones: Nachruf auf einen bedeutenden Musikproduzenten

AboZum Tod von Quincy Jones

Er war der wichtigste Musikproduzent des 20. Jahrhunderts

Mit Ray Charles fing es an, mit Michael Jacksons «Thriller» hörte es noch lange nicht auf: Quincy Jones ist tot. Ein Nachruf.

Andrian Kreye

Publiziert heute um 16:11 Uhr

Kein Produzent hat den Aufstieg des Jazz zum Pop der westlichen Welt stärker beeinflusst: Quincy Jones.

Foto: Getty Images

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Quincy Jones ist tot – und damit ist das 20. Jahrhundert und seine Moderne musikhistorisch endgültig abgeschlossen. Kein Produzent hat den Aufstieg des Jazz zum Pop der westlichen Welt stärker beeinflusst. Er war eine jener Figuren, die aus der Emanzipation der Bürgerrechtsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg einen Kanon schufen, der die Befreiung aus den Zwängen der Vergangenheit in der Kulturgeschichte zementierte.

Als Mensch und Musiker hat er den Weg aus der Rückständigkeit seines Heimatlandes in den Pantheon der liberalen Gegenwart ausserdem so intensiv und persönlich durchlebt wie nur wenige. Dazu kam ein Gespür für den musikalischen Zeitgeist, der tief in seinem Engagement für die gesellschaftlichen Veränderungen wurzelte.

Es war weder Glück noch Kalkül, dass Michael Jacksons «Thriller» mit Jones’ Produktion das noch immer bestverkaufte Album der bisherigen Pop-Geschichte wurde. Der Spätherbst des Jahres 1982 markierte auch den Moment, seit dem Hautfarbe im Pop kaum noch eine Rolle spielte.

Michael Jackson und Quincy Jones 1984.

Foto: Keystone

Quincy Jones’ Biografie ist auch eine Geschichte dieses 20. Jahrhunderts. Sein Vater war der Sohn eines walisischen Sklavenhalters und dessen Sklavin. Seine Familie war während der Grossen Wanderung der befreiten Sklaven aus dem Süden in die Industriezentren des Nordens nach Chicago gekommen. Als Quincy am 14. März 1933 geboren wurde, hatten sich seine Eltern schon eine kleinbürgerliche Existenz aufgebaut. Die Mutter, Sarah, arbeitete als Bankangestellte und Hausverwalterin, der Vater, Quincy senior, war Tischler. Der Junior war sieben, als er sich selbst das Klavierspielen beibrachte. Mit 14 spielte er schon seine ersten Jobs als Trompeter. 1943 war er mit seinem Vater nach Seattle gezogen. Die Eltern waren geschieden. Der Vater hatte einen Job in der Werft der amerikanischen Marine im Puget Sound bekommen. Es war Krieg und Amerika brauchte Kanonenboote.

Im Black Elk Club traf Jones dann einen blinden Pianisten. Nur zwei Jahre älter als er. Keiner kannte den jungen Ray Charles damals, aber für den jungen Quincy wurde er zu einem ersten grossen Einfluss.

Jahrzehnte später: Ray Charles und Quincy Jones im Jahr 2004.

Foto: Getty Images

Die beiden begannen für eine lokale Band zu spielen. Jones’ Talent zeigte sich bald. Ein Stipendium brachte ihn ans Schillinger House of Music in Boston, das später als Berklee College of Music zu so etwas wie die Harvard University des Jazz wurde. Für einen Job bei der Lionel Hampton Big Band brach Jones allerdings das Studium ab. 19 Jahre alt war er da. Er heiratete, bekam eine Tochter, zog mit 20 nach New York. Dort begann er mit der Arbeit, die ihn zu der überdimensionalen Figur machen sollte, die den Lauf der Pop-Geschichte so nachhaltig prägte.

Jazz war besser als jede Propaganda

Neben seiner Arbeit als Tourmusiker für Hampton arbeitete er als freier Arrangeur für den Big-Band-Leader Count Basie, den Saxofonisten James Moody und dessen Kumpel Dizzy Gillespie. Über den lernte er auch all die anderen kennen, die aus dem freundlichen Swing der Big-Band-Ära die aggressiven und extracoolen neuen Formen des Modern Jazz gemacht hatten, Charlie Parker, Miles Davis, Thelonious Monk.

1956 kam der erste Job fürs Fernsehen. In der Studioband der «Stage Show» der Dorsey-Brüder spielte er mit den Stars der Zeit. Einer davon war ein junger Sänger aus Tennessee namens Elvis Presley. Dizzy Gillespie heuerte Jones dann bald als festen Musiker, Schreiber und musikalischen Direktor für seine Big Band an. Jazz gehörte damals neben der Malerei und der Literatur zu jenen Kunstformen, die als Botschafter den Geist der amerikanischen Freiheit und der Suche nach dem Glück in die Welt tragen sollten. Das war besser als jede Propaganda. Wer in Südamerika, Europa oder Asien ein Konzert von Gillespie mit den furiosen Arrangements des jungen Jones gehört hatte, brauchte keine Erklärungen mehr, warum die amerikanische Gesellschaft so ein Ideal darstellte.

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Für Jones waren diese ersten Reisen umgekehrt ein Moment der Erkenntnis. Er sah den Rassismus seiner Heimat plötzlich im Kontext einer Welt, in der die Konflikte fest in den Geschichten ihrer Länder verwurzelt waren. Das erste Album unter Jones’ eigenem Namen erschien in dieser Zeit: «This Is How I Feel About Jazz». Daraufhin zog er nach Paris, studierte mit der Komponistin und Pianistin Nadia Boulanger und dem Komponisten Olivier Messiaen. Fünf Jahre lang pendelte er zwischen den Kontinenten, gründete seine erste eigene Big Band, schrieb Musik für Soloplatten und ein Musical. Das allerdings wurde ein Flop. Jones verschuldete sich, seine erste von drei Ehen zerbrach.

Als Pop und Rock’n’Roll den Jazz verdrängten

Dann begann der richtige Durchbruch. Mercury Records engagierte ihn 1961 als musikalischen Direktor. Jones begann mit Jazzproduktionen, holte Dizzy Gillespie, Shirley Horn und Gerry Mulligan zum Label. Mit seiner eigenen Big Band veröffentlichte er Hits wie «Soul Bossa Nova» und Coverversionen von Stücken aus dem Modern Jazz, die er radiotauglich umschrieb.

Der Wandel war allerdings schon zu spüren. Pop und Rock’n’Roll verdrängten den Jazz in die Nischen. Jones begriff. 1963 hörte er das Demo einer 16-jährigen Sängerin namens Lesley Gore. «Die traf im Gegensatz zu den Rocksängerinnen die Töne», erinnerte er sich später. Ihre Single «It’s My Party» stieg auf Platz eins der Popcharts. Jones hatte den Sprung aus seiner Welt in den Mainstream der Unterhaltungsbranche vollzogen. 1964 beförderte ihn Mercury als ersten Afroamerikaner zum Vice President.

Für das Arrangement, das er für Count Basies «I Can’t Stop Loving You» geschrieben hatte, bekam er den ersten von insgesamt 28 Grammys (für weitere 80 wurde er nominiert).

Grammys gewann er haufenweise: Quincy Jones, hier im Jahr 1991.

Foto: Keystone

Und dann rief Hollywood. Jones siedelte nach Los Angeles um, begann seine Arbeit als Filmkomponist. Mehr als 40 Filme vertonte er während seiner Laufbahn, Blockbuster, vor allem aber Meilensteine des schwarzen Kinos wie «In der Hitze der Nacht» und «They Call Me Mr. Tibbs». Die Stars im Grenzbereich zwischen Jazz und Pop holten ihn, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Sammy Davis Jr. – und immer wieder schrieb er für seinen alten Arbeitgeber Count Basie, der ihn dann für seine Platten mit Frank Sinatra anheuerte.

Es war denn auch bei seinen Jobs für Sinatra in Las Vegas, als Jones erfuhr, dass all der Glamour und Erfolg ihm als Afroamerikaner immer noch nichts nützten. Nach den Konzerten durfte er nicht mit den weissen Musikern im Lokal essen, musste in ein «Colored Only»-Hotel am anderen Ende der Stadt. Sinatra reagierte auf die Rückständigkeit allerdings stocksauer. Friedlicher Protest war nicht seine Sache. Er hatte genügend «Muscle» in der Stadt, um das auf seine Weise zu regeln: Also sassen Jones und Basie und die anderen farbigen Musiker dann einfach jeden Abend beim Essen mit am Tisch. Rundherum jene kräftig gebauten Herren, die im italoamerikanischen Slang als «Goombahs» einen furchterregenden Ruf hatten. Da hielten nicht einmal die Rassenschranken von Nevada stand.

Blutgerinnsel im Hirn – eine erste Bremse

Seine wildeste Zeit hatte Quincy Jones dann zwischen den späten Sechzigerjahren und 1974. Sein Ausstoss war jedes Jahr so gewaltig, wie das Gesamtwerk manch anderer. Er schrieb weiter Film- und Fernsehmusik, produzierte Sendungen und Schallplatten. Auf seinen eigenen Alben absorbierte er den Funk und Jazzrock seiner Zeit, landete mit «Walking in Space», «You’ve Got It Bad Girl» und «Body Heat» selbst in den Charts. 1974 kam dann die erste Bremse.

Ein Blutgerinnsel im Hirn zwang ihn, sich wenigstens ein bisschen zurückzunehmen. Was für ihn hiess: mehr Studio, weniger Tour. Nur sein Leben als reisender Musiker war nun zu Ende. Denn eines untersagten ihm die Ärzte – das Trompetenspielen müsse er fortan lassen. Der Druck im Kopf sei lebensgefährlich.

Quincy Jones in seinem Studio im Oktober 1974.

Foto: Keystone

1980 gründete er sein eigenes Label Qwest Records. Schon die erste Veröffentlichung war ein Durchbruch. «Give Me the Night» machte aus dem Jazzgitarristen George Benson nach ersten Jazzrock-Aufnahmen endgültig einen Popstar – und auch das war beileibe kein Zufall: Jones hatte sein Gespür für massentaugliche Qualität über die Jahrzehnte verfeinert.

Es war dann eine Zufallsbekanntschaft, die ihn endgültig zum bislang grössten Produzenten machen sollte. Während der Dreharbeiten zur Disco-Verfilmung des «Zauberer von Oz» hatte Jones 1978 Michael Jackson kennengelernt. Der machte sich gerade frei vom brutalen Familienbetrieb der Jackson 5 und suchte nach Produzenten. Jones empfahl ihm welche – und übernahm dann doch lieber selbst. 1979 erschien Jacksons «Off the Wall» als Quincy-Jones-Produktion. Da hatten sich zwei gefunden. Schon der Beginn des Albums zündete mit «Don’t Stop ’Til You Get Enough» einen Disco-Beat von seismischen Dimensionen, der weltweit die Tanzflächen in Sekunden füllen konnte. Und doch war das nur ein Wetterleuchten im Vergleich zu dem, was 1982 kommen sollte.

Jackson hatte inzwischen einen beinahe manischen Ehrgeiz entwickelt. Jeder einzelne Song auf «Thriller» sollte ein Hit werden. Jones wiederum hatte die Zeichen der Zeit erkannt. Die Funkriffs und Orchesterwolken des Disco dämmerten so langsam aus der Pop-Geschichte. Synthesizer und Drumcomputer sollten die Achtzigerjahre bestimmen. Es war die Zeit der Verschwendungssucht und des Aufstiegs der Computer. Und so klang das dann auch. 30 Songs hatten Jones und Jackson geschrieben, neun schafften es aufs Album. Hits wurden sie alle – «Billy Jean», «Beat It» und der Titelsong, aber auch die Zuckerballade «The Girl Is Mine» im Duett mit Paul McCartney oder «Human Nature», das nebenbei zum Jazzstandard wurde.

Mit «Thriller» wurde das Video endgültig als neues Medium des Pop etabliert

Das Album war aber nicht nur ein grosser Schritt in das Ende der musikalischen Schubladen. Es etablierte das Video als neues Medium des Pop. «Beat It» landete als erstes Video eines nichtweissen Stars in der Heavy Rotation des Kabelsenders MTV. Der hatte sich bis dahin vor allem als Rocksender verstanden. Nun brach MTV aus dieser Nische aus und wurde zur kulturellen Triebfeder der frühen Achtzigerjahre. Bald schon war es kaum noch möglich, ohne Video einen Hit zu landen.

Jones und Jackson setzten da noch einen drauf. Für das Video zum Titelsong engagierten sie den Hollywood-Regisseur John Landis. Dieser bekam ein Hollywood-Budget und drehte einen Musical-Film von fast einer Viertelstunde. Allein die Choreografie wurde zur Blaupause für die Videokultur der folgenden Jahre.

Jones, der Vermittler, war es dann auch, der einen grossen Traum Harry Belafontes verwirklichte. Der hatte die englische Benefiz-Single «Do They Know It’s Christmas?» mit all den Popstars gehört, die den Hungerleidenden in Äthiopien helfen wollten. Amerika brauchte auch so etwas, fand Belafonte – und Jones machte es möglich. Neulich erst kam eine grandiose Dokumentation heraus, die die Geschichte der Single «We Are The World» erzählt. Michael Jackson und Lionel Richie hatten den Song geschrieben. In einer Nacht nach der Verleihung der American Music Awards, als die gesamte Pop-Prominenz in der Stadt war, karrten Jones und sein Team die Stars in die A&M Studios in Hollywood. Ray Charles, Billy Joel und Bruce Springsteen kamen, Tina Turner, Diana Ross und Stevie Wonder. Mittendrin ein übel gelaunter Bob Dylan, der dann die Schlussverse gemeinsam mit Ray Charles einsang.

Was als die «grösste Nacht der Popmusik» gefeiert wurde, sammelte bald schon insgesamt fast 80 Millionen Dollar ein. Es war aber vor allem der Gipfel von Quincy Jones’ eigentlichem Lebenswerk. Eine Nacht lang hatten sich die Stars über alle Genre- und Kulturgrenzen hinweg für einen Zweck zusammengefunden, der so viel grösser war als sie selbst. Pop hatte sich vor aller Welt als gesellschaftliche Kraft bewiesen.

Bis zum Schluss blieb Jones als Aktivist und Produzent aktiv. 2017 gründete er noch einen Internetsender, der Jazzfilme zeigte. In den vergangenen Jahren lancierte er die Karrieren des Multiinstrumentalisten Jacob Collier, der Pianisten Alfredo Rodríguez und Jon Batiste. Er blieb die Eminenz und der gemeinsame Nenner einer Branche, die sich zunehmend wieder in Mini- und Mikronischen aufteilte.

Am Sonntag ist der unsterbliche Quincy Jones daheim in Bel Air gestorben. Er wurde 91 Jahre alt.

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