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Warum der Einfluss von KI nicht unser größtes Problem ist

Warum der Einfluss von KI nicht unser größtes Problem ist

In diesem Jahr hat fast die Hälfte der Weltbevölkerung die Möglichkeit, an einer Wahl teilzunehmen. Und laut einem ständig ansteigenden Strom an Expert:innen, Institutionen, Wissenschaftlern und Nachrichtenorganisationen gibt es eine große neue Bedrohung für deren Integrität: Künstliche Intelligenz. Erste Vorhersagen warnten schon davor, dass eine neue, „KI-getriebene Welt“ auf ein „technisches Armageddon“ zusteuere, in dem demokratische Wahlen unmöglich werden.  Jeder, der sich hier keine Sorgen mache, „hat einfach nicht aufgepasst hat“, hieß es an anderer Stelle.

Das Internet ist derweil voll von Unkenrufern, die verkünden, dass KI-generierte Deepfakes die Wähler in die Irre führen, beeinflussen und neue Formen der personalisierten und gezielten politischen Werbung ermöglichen werden, die uns allesamt manipulieren. Doch so besorgniserregend solche Behauptungen sind, es bleibt wichtig, sich zunächst auf die Suche nach Beweisen zu machen. Da eine beträchtliche Anzahl der auf dem Planeten in diesem Jahr durchgeführten Wahlen bereits abgeschlossen ist, ist es an der Zeit, zu hinterfragen, wie genau diese alarmistischen Einschätzungen bisher waren. Die vorläufige Antwort scheint zu sein: Der KI-Weltuntergang traf offenbar nicht ein.

KI-Einfluss bei Wahlen war bisher nicht von Erfolg gekrönt

Zwar wird es in diesem Jahr noch weitere Wahlen geben, bei denen KI eine Rolle spielen könnte, wobei die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten wahrscheinlich besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen werden. Doch wir glauben, dass der bisher beobachtete Trend sich wahrscheinlich nicht ändern wird. Natürlich wird mithilfe von KI versucht, mehr und mehr Wahlprozesse zu beeinflussen. Allerdings waren diese Bemühungen bisher nicht von Erfolg gekrönt.

Im Hinblick auf die bevorstehenden US-Wahlen räumt der jüngste Bericht von Meta über entsprechende Bedrohungen zwar ein, dass KI zur Einmischung in demokratische Prozesse eingesetzt wird – beispielsweise von russischen Angreifern. Auch könnten durch generative KI gestützte Taktiken einen zusätzlichen Produktivitätsgewinn und eine Steigerung des Outputs solcher „Bedrohungsakteure“ bedeuten. Gleichzeitig teilt Meta-Politikchef Nick Clegg aber Anfang des Jahres auch mit, dass es auffällig sei, „wie wenig diese Werkzeuge systematisch eingesetzt wurden, um wirklich zu versuchen, Wahlen zu untergraben oder zu stören“.

Weit davon entfernt, von KI-gestützten Katastrophen beherrscht zu werden, war dieses „Superwahljahr“ bis zu diesem Zeitpunkt so ziemlich wie jedes andere Wahljahr. Auch wenn Meta ein Interesse daran hat, die angeblichen Auswirkungen von KI-Wahlmanipulationen in seinen Systemen herunterzuspielen, steht es damit nicht alleine da. Zu ähnlichen Ergebnissen kam im Mai auch das angesehene Alan Turing Institute in Großbritannien. Die dortigen Forscher:innen untersuchten mehr als 100 nationale Wahlen, die seit 2023 – also der Durchsetzung von Text- und Bildgeneratoren im Markt – abgehalten wurden, und stellten fest, dass „nur bei 19 eine Art der Beeinflussung durch KI festgestellt werden konnte“. Ferner gab es keine „eindeutigen Anzeichen für signifikante Veränderungen der Wahlergebnisse im Vergleich zum erwarteten Abschneiden der politischen Kandidaten aufgrund von Umfragedaten“.

Wahlverhalten von Menschen: Es ist kompliziert

Dies alles wirft eine Frage auf: Warum waren diese anfänglichen Spekulationen über KI-gestützte Wahlbedrohungen so augenscheinlich abwegig – und was sagt uns das über die Zukunft unserer Demokratien? Die kurze Antwort lautet: Weil sie jahrzehntelange Forschung über den begrenzten Einfluss von Massenbeeinflussungskampagne ignorieren – und daneben die komplexen Determinanten des Wahlverhaltens von Menschen. Gleichzeitig wird dennoch die durch andere Personen vermittelte kausale Rolle von Technologie ignoriert.

Erstens ist Massenbeeinflussung bekanntermaßen eine große Herausforderung. KI-Tools können eine solche Überzeugungsarbeit erleichtern, aber andere Faktoren sind letztlich entscheidender. Wenn Menschen mit neuen Informationen konfrontiert werden, aktualisieren sie in der Regel ihre Überzeugungen entsprechend; doch selbst unter den besten Bedingungen sind solche Veränderungen oft nur sehr minimal und führen nur selten zu tatsächlich anderem Verhalten. Obwohl politische Parteien und andere Gruppen enorme Summen investieren, um die Wähler zu beeinflussen, gibt es in der Soziologie einige Hinweise darauf, dass die meisten Formen der politischen Überzeugungsarbeit bestenfalls sehr geringe Auswirkungen haben. Und bei den meisten Ereignissen, bei denen viel auf dem Spiel steht, wie etwa bei nationalen Wahlen, spielen eine Vielzahl von Faktoren eine Rolle, die die Wirkung eines einzelnen Überzeugungsversuchs schmälern.

Zweitens muss ein manipulativer Inhalt erst einmal sein Zielpublikum erreichen, um einflussreich zu sein. Heutzutage wird jedoch täglich ein Tsunami an Informationen von Einzelpersonen, politischen Kampagnen, Nachrichtenorganisationen und anderen Gruppen veröffentlicht. Folglich ist es für KI-generiertes Material, wie für jeden anderen Inhalt auch, eine große Herausforderung, überhaupt dieses Grundrauschen zu durchdringen und die gewünschte Zielgruppe zu erreichen. Einige politische Strategen in den Vereinigten Staaten haben auch argumentiert, dass die übermäßige Verwendung von KI-Inhalten dazu führen könnte, dass die Menschen einfach komplett abschalten, was die Reichweite von manipulativen KI-Inhalten noch weiter verringert. Und selbst wenn ein solcher Inhalt eine beträchtliche Anzahl potenzieller Wähler:innen erreicht, wird es ihm wahrscheinlich nicht gelingen, genug von ihnen zu beeinflussen, um das Wahlergebnis zu verändern.

Bessere KI-Systeme leisten nicht automatisch bessere Überzeugungsarbeit

Drittens stellen neue Forschungsergebnisse die Vorstellung infrage, dass der Einsatz von KI zur gezielten Ansprache von Menschen und zur Beeinflussung ihres Wahlverhaltens wirklich so gut funktioniert, wie ursprünglich vorhergesagt. Die Wähler:innen scheinen übermäßig auf sie selbst zugeschnittene Botschaften nicht nur zu erkennen, sondern sie sogar aktiv abzulehnen. Einigen neueren Studien zufolge wird die Überzeugungskraft von KI-Inhalten damit zumindest derzeit noch stark überschätzt. Dies wird wahrscheinlich auch so bleiben, da technisch immer bessere KI-basierte Systeme nicht automatisch bessere Überzeugungsarbeit leisten. Auch politische Kampagnen scheinen dies inzwischen erkannt zu haben. Spricht man mit Kampagnenführern, so geben sie bereitwillig zu, dass sie zwar KI einsetzen, aber hauptsächlich, um „alltägliche Aufgaben“ wie das Eintreiben von Spenden, normale Wählerwerbung und allgemeine Kampagnenabläufe zu optimieren. KI-generierte, maßgeschneiderte Inhalte gehören nicht zum Job.

Viertens wird das Wahlverhalten durch ein komplexes Geflecht von Faktoren bestimmt. Dazu gehören Geschlecht, Alter, Klassenangehörigkeit, Werte, Identitäten und Sozialisation. Neue Informationen, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt oder ihrer Herkunft –  ob sie von einer KI oder einem Menschen stammen – spielen in diesem Prozess oft eine untergeordnete Rolle. Der Grund dafür ist, dass sowohl der Konsum als auch die Akzeptanz neuer Informationen von bereits vorhandenen Faktoren abhängen. Politische Einstellungen und Werte einer Person müssen passen, das ist wichtiger als die Frage, ob der Inhalt zufälligerweise per KI generiert wurde.

Ängste sind durchaus berechtigt

Die Besorgnis über KI im Zusammenhang mit einer Beeinträchtigung der Demokratie, insbesondere bei Wahlen, ist dennoch grundsätzlich berechtigt. Diese Systeme können bestehende soziale Ungleichheiten aufrechterhalten, verstärken und die Vielfalt der Perspektiven, denen jeder Einzelne ausgesetzt ist, reduzieren. Die Belästigung weiblicher Politiker mithilfe von Deepfakes ist ebenfalls bereits vorgekommen. Und die teilweise durch die Medienberichterstattung mitverursachte Wahrnehmung, dass KI signifikante Auswirkungen hat, kann für sich selbst genommen schon ausreichen, um das Vertrauen in demokratische Prozesse zu verringern. Zudem werden eigentlich als zuverlässig geltende Informationsquellen in ihrer Glaubwürdigkeit geschwächt und die Akzeptanz von Wahlergebnissen potenziell beeinträchtigt. All dies ist nicht gut für die Demokratie.

Diese Punkte sollten uns jedoch nicht jene Bedrohungen aus den Augen verlieren lassen, die nichts oder nur wenig mit Technologie zu tun. Dazu gehören in einigen Ländern der Welt etwa der massenhafte Entzug des Wahlrechts, die Einschüchterung von Wahlhelfer:innen, Kandidat:innen und Wähler:innen, Angriffe auf Journalist:innen und Politiker:innen, die Aushöhlung Kontrollinstanzen. Es gibt inzwischen einige Politiker:innen, die selbst mit Unwahrheiten hausieren gehen. Hinzu kommen die klassischen Formen staatlicher Unterdrückung, die nicht aufgehört haben zu existieren – die Einschränkung von Redefreiheit, Pressefreiheit oder Demonstrationsrecht.

In manchen Ländern gibt es größere Sorgen als KI-Manipulationen

Von den mindestens 73 Ländern, in denen in diesem Jahr Wahlen abgehalten werden, wurden laut Our World in Data und Economist Democracy Index ganze 47 als vollwertige (oder zumindest nur eingeschränkt unfreie) Demokratien eingestuft.  Bei den übrigen Staaten handelt es sich hingegen um hybride oder autoritäre Regime, wo Wahlen gegebenenfalls nur Show sind. In Ländern, in denen aber nicht einmal freie und faire Wahlen stattfinden und in denen politische Entscheidungen, die zu echten Veränderungen führen, eine Illusion sind, haben die Menschen weit größere Sorgen als KI-Manipulationen. Diese kommen einfach noch obendrauf.

Dennoch wird Technologie – einschließlich KI – oft zum bequemen Sündenbock, der von Politikern und Vertretern der Spezies Public Intellectual als eines der größten Übel des demokratischen Lebens hingestellt wird. Anfang dieses Jahres warnte die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd so auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, dass „Fortschritte in der Künstlichen Intelligenz es ermöglichen werden, dass falsche Informationen immer glaubwürdiger erscheinen“. Auch Papst Franziskus warnte, dass Fake News durch KI legitimiert werden könnten. Die stellvertretende US-Generalstaatsanwältin Lisa Monaco teilte währenddessen mit, KI könne falsche Fakten und Desinformation verstärken und bei Wahlen „zu Gewalt anstiften“. Im August dieses Jahres schließlich forderte der Londoner Bürgermeister Sadiq Kahn nach rechtsextremen Ausschreitungen im ganzen Land eine Überprüfung des britischen Online-Sicherheitsgesetzes mit der Begründung, dass „die Art und Weise, wie die Algorithmen funktionieren, die Art und Weise, wie sich Falschinformationen sehr schnell verbreiten können, und Desinformationen (…) Anlass zur Sorge geben“. Man haben die „direkte Folge davon“ ja gesehen.

Für Politiker:innen kann es einfacher sein, mit dem Finger auf KI zu zeigen

Es gibt viele Gründe, Technik dafür verantwortlich zu machen, was in unseren Demokratien passiert – und sie sind nicht unbedingt irrational. Für einige Politiker kann es allerdings einfacher sein, mit dem Finger auf KI zu zeigen, als sich einer Selbstprüfung zu unterziehen oder sich für die Verbesserung demokratischer Instanzen einzusetzen, die sie selbst zur Verantwortung ziehen könnten. Für andere kann der Versuch, „Technologie zu reparieren“, attraktiver erscheinen, als sich mit einigen der grundlegenden Probleme auseinanderzusetzen, die unser demokratisches Leben bedrohen. Auch der Wunsch, dem Zeitgeist zu entsprechen, könnte eine Rolle spielen.

Wir sollten jedoch bedenken, dass Überreaktionen, die auf unbegründeten Annahmen beruhen, stets ihren Preis haben. Insbesondere dann, wenn andere kritische Fragen nicht angesprochen werden. Allzu alarmistische Darstellungen über die mutmaßlichen Auswirkungen von KI auf die Demokratie bergen die Gefahr, Misstrauen zu schüren und Verwirrung in der Öffentlichkeit zu stiften. Das wird das in vielen Ländern leider ohnehin schon geringe Vertrauen in zuverlässige Nachrichtenquellen und Institutionen nur noch weiter untergraben.

Von dauerhaften Problemen wird abgelenkt

Ein Punkt, der im Zusammenhang mit diesen Diskussionen häufig angesprochen wird, ist die Notwendigkeit, auf Fakten zu setzen. Es wird argumentiert, dass wir ohne solche Fakten und eine gemeinsame Realität keine Demokratie aufrechterhalten können. Das ist natürlich richtig. Aber man kann auch nicht behaupten, dass wir eine Diskussion brauchen, die auf Fakten basiert, wenn Beweise gegen das Narrativ, dass KI den Untergang der Demokratie beschleunigt, unterdrückt werden.

Unsere Demokratie ist bedroht, ja. Aber unsere Besessenheit von den vermeintlichen negativen Auswirkungen von KI wird die Dinge wahrscheinlich nicht verbessern. Sie könnte sie sogar noch verschlimmern, wenn sie dazu führt, dass wir uns nur auf diese eine Sache konzentrieren, die uns gerade sexy erscheint. Gleichzeitig wird von den dauerhaften Problemen abgelenkt, die die Demokratien auf der ganzen Welt bedrohen.

Felix M. Simon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Bereich KI und Medien am Reuters Institute for the Study of Journalism. Keegan McBride ist Assistenzprofessor für KI-Politik am Oxford Internet Institute. Sacha Altay ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich.

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