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Warum Menschen um die Welt reisen, um Vögel zu beobachten

Warum Menschen um die Welt reisen, um Vögel zu beobachten

Charles Wood trägt einen beigen Sonnenhut, ein helles Shirt, eine lange, weite Hose, während er an vereinzelt am Strand liegenden Menschen vorbeihuscht. Es ist windig, 28 Grad, nur ein paar Wolken sind am Himmel zu sehen, einzelne Sandkörner werden gegen den Körper geweht. Es ist ein Mittwochvormittag in Morondava im Westen von Madagaskar, und Charles Wood schaut mit dem Fernglas aufs Meer hinaus. Plötzlich winkt er Rivomahefa Rarivosoa, der im Sand nicht so schnell ist, zu sich.

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Der Guide ist daran gewöhnt, dass der 70-jährige Wood ein anderes Tempo vorlegt als er. Immer ist Wood auf der Suche nach der einen Sichtung. „Look here“, ruft er und zeigt auf einen Vogel – weißer Hals, orangefarbene Brust, weißer Bauch, graues Gefieder. Ein Tibetregenpfeifer. Es ist ein „Lifer“, sagt Wood, eine Vogelart, die er heute zum ersten Mal sieht.

Seit er im Ruhestand ist, reist Charles Wood um die Welt, um Vögel zu beobachten

Seit Jahren reist der Mann aus dem US-amerikanischen Portland um die Erde, um Vögel zu beobachten, noch intensiver, seit er 2022 seine Arztpraxis aufgab und in den Ruhestand ging. Seit seine beiden Kinder aus dem Haus sind, hat Wood fast alle Kontinente bereist, alleine, mit Freunden, mit Fremden, die er via Birdingpal, einer Art Tinder für Vogelbeobachtende, gefunden hat. Von Belize bis Tahiti, von Alaska bis Papua-Neuguinea, von Venezuela bis Tibet.

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Charles Wood hat 3142 Vogelarten gesehen. Seit seinem Ruhestand 2022 reist er zur Vogelbeobachtung um die Welt, wie hier im Nationalpark Tsingy de Bemaraha in Madagaskar.

Charles Wood hat 3142 Vogelarten gesehen. Seit seinem Ruhestand 2022 reist er zur Vogelbeobachtung um die Welt, wie hier im Nationalpark Tsingy de Bemaraha in Madagaskar.

Während seiner Facharztausbildung fing das mit seinem Hobby an. Ein Kollege nahm ihn mit zum Birdwatching. „Damals war das eine neue Methode, mich von den Anforderungen der Arbeit zu lösen, nach draußen zu gehen und die wunderschöne Landschaft Oregons zu genießen“, sagt Wood. Sie erkundeten die Küste, die Berge, die Wüste. Und Woods Faszination für Vögel wuchs. Es seien erstaunliche Lebewesen, sagt er. Die Überlebens- und Anpassungsfähigkeit und das Zugverhalten begeistern ihn.

„Ich kann die Natur und Umwelt mit allen Sinnen erleben“, sagt er. Er müsse nicht nachdenken, könne einen Vogel einfach nur betrachten. Meistens tut er es aber. Das mit dem Nachdenken. Er liest Bücher, analysiert Verhaltensweisen. Und er teilt seine Sichtungen auf E-Bird. Das ist eine US-amerikanische Plattform, auf der Menschen ihre Vogelbeobachtungen dokumentieren – seit 2002 in den USA, seit 2010 weltweit. Eine Million Nutzerinnen und Nutzer hat E-Bird, 1,7 Milliarden Sichtungen umfasst die Datenbank mittlerweile.

Der weltweist aktivste Vogelbeobachter hat mehr als 10.000 Arten gesehen

In der persönliche Artenstatistik zählt jede Art nur einmal. Für das Erfüllen verschiedener Checklisten kann es allerdings notwendig sein, eine Art an mehreren Orten zu sehen. Von den insgesamt 11.017 bekannten Vogelarten weltweit haben E-Bird-Nutzende 10.826 Arten gefunden. Der erfolgreichste E-Birder, Peter Kaestner, hat vor rund einem Jahr als erster Mensch überhaupt die 10.000-Marke geknackt.

Das Schöne am Birden ist, dass man sich auf die Vögel konzentriert und im Hier und Jetzt ist. Der Alltag und was auch immer man gerade an Baustellen hat, gerät in den Hintergrund.

Alissa Kazi,

Vogelbeobachterin

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Charles Wood sagt, er habe erst spät mit der Plattform E-Bird angefangen. „Ich dachte, dass sie davon ablenkt, im Moment zu sein, während man nach Vögeln sucht und ihnen zuhört“, sagt er. Nun schätze er vor allem die Organisation seiner Daten. Auf seinem Handy zeigt Wood sein Profil: 3142 verschiedene Arten, mehr als 30 Länder. Es ist genau aufgelistet, wann er wo welche Vögel gesehen hat. Etwa 109 Lifer in Madagaskar, das mit 117 endemischen Arten ohnehin ein Vogelparadies ist.

Wood sagt, es gehe ihm darum, draußen zu sein, zu lernen, Menschen – Einheimische wie andere Birdwatcher – und Wildtieren wie Eisbären und Wale zu begegnen. Irgendwann, sagt er, will er Pinguine in der Antarktis sehen. Es ist der einzige Kontinent, auf dem er noch nicht war.

Die Vogelbeobachter sorgen für einen riesigen Datenschatz, der der Wissenschaft dient

Was für Wood Privatvergnügen ist, hat einen Mehrwert für die Gesellschaft. Auf E-Bird lagert ein riesiger Datenschatz, genutzt von Wissenschaft, Forschung, Architektur, Naturschutzverbänden, Städten und Landkreisen. Es ist eines der größten Citizen-Science-Projekte weltweit, ein Beispiel für die Demokratisierung der Wissenschaft, in der Bürgerinnen und Bürger sich in der Forschung einbringen.

Hinter E-Bird steckt die Cornell University in Ithaca, im US-Bundesstaat New York. Alle Daten werden wissenschaftlich ausgewertet. Wenn in Deutschland Windräder aufgestellt werden, kann auf die Daten von E-Bird zugegriffen werden: Wie viele Vögel leben im betreffenden Gebiet? Wie viele fliegen hindurch? Gibt es seltene Arten? Auf Basis der Daten, die Wood und andere erheben, werden politische Entscheidungen getroffen.

Bei rund 20 Prozent müssen wir hinterfragen, ob die Sichtung aufgrund der Jahreszeit und des Lebensraums möglich ist.

Lukas Sobotta,

Regional Reviewer bei E-Bird

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Das ist nicht unumstritten, denn die Datenlage ist verzerrt und nicht regelmäßig. Ein Artikel der „New York Times“ zeigt auf, dass in einkommensstarken Stadtvierteln viel häufiger gemeldet wird. Für andere Viertel gebe es hingegen kaum Daten. Im „International Journal of Geo-Information“ ist zudem zu lesen, dass Aufzeichnungen vor allem am Wochenende erfolgten, nicht zeitlich gleichmäßig verteilt. Daher, so die Autoren der Studie, würden die Daten eher auf das Verhalten der Vogelbeobachtenden als auf das der Vögel selbst schließen lassen.

Die Plattform E-Bird motiviert, nach draußen in die Natur zu gehen

Wann genau die Menschen mit dem gezielten Beobachten und Dokumentieren von Vögeln begannen, ist unbekannt. In Europa gilt Johann Friedrich Naumann als erster Ornithologe, er veröffentlichte 1820 das Buch „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“. Im 20. Jahrhundert wurde Twitchen, Spotten oder Birdwatching, wie die Vogelbeobachtung genannt wird, für einige zum Beruf, für andere zur Berufung. Doch aus dieser Zeit sind viele Daten verloren gegangen, etwa weil die Nachfahren nach dem Tod des Birdwatchers die handschriftlichen Listen vernichteten.

Dass sie ihre Beobachtungen mit anderen teilt, ist für Alissa Kazi selbstverständlich geworden. Sie profitiert vom Netzwerk, erfährt, wo wann welche Vögel zu sehen sind, und gibt zurück. „Ich leiste mit meinen Daten einen kleinen Beitrag zu einem riesigen Projekt“, sagt die 20-Jährige. Schon als Kind war sie viel in der Natur, um Greifvögel zu beobachten, wenngleich ihre Schulfreundinnen und -freunde andere Interessen hatten. „Das Schöne am Birden ist, dass man sich auf die Vögel konzentriert und im Hier und Jetzt ist. Der Alltag und was auch immer man gerade an Baustellen hat, gerät in den Hintergrund,“

Alissa Kazi hat bisher 513 Vogelarten gesehen. Sie ist 2024 die aktivste deutsche E-Birderin.

Alissa Kazi hat bisher 513 Vogelarten gesehen. Sie ist 2024 die aktivste deutsche E-Birderin.

Heute studiert sie Landschaftsökologie in Greifswald und hat sich das Ziel gesetzt, jeden Tag eine Checkliste zu absolvieren. E-Bird arbeitet mit sogenannten Checklisten, die auf Basis von Orten erstellt wurden. Wer einen Vogel an einem Ort sieht, beispielsweise einem Stadtpark oder einem Nationalpark, trägt ihn in eine Liste oder auch in mehrere Listen ein. Hat die Person alle vorkommenden Vögel gesehen, ist die Checkliste vollständig.

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Vogelbeobachtung: Über junge Frauen in einer Männerdomäne

Obwohl Birdwatching von jeher eine Männerdomäne war, war Phoebe Snetsinger der erste Mensch, der 8000 Vogelarten in der Natur dokumentierte. Bei ihr war Krebs festgestellt worden, der Arzt gab ihr nur noch kurze Zeit zu leben – und die wollte sie mit weltweiten Vogelbeobachtungen verbringen. So zog Snetsinger los und entwickelte eine Passion, die sie ins Guinness-Buch der Rekorde brachte. 1999 starb sie bei einer Exkursion in Madagaskar, 18 Jahre nach der Nachricht, dass sie nur noch ein Jahr zu leben habe. Und rund 300 Kilometer Luftlinie entfernt von dem Ort, an dem Wood den Tibetregenpfeifer fand.

Inzwischen bin ich so angefixt, dass es mich komplett vereinnahmt. Es beansprucht meine komplette Freizeit, ich suche Reiseziele nach Vogelarten aus. Es ist mein Lebensmittelpunkt geworden.

Lukas Sobotta,

Vogelbeobachter und Aktivist

Während die ältere Generation der Vogelbeobachter heute noch stark männlich geprägt ist, finden sich unter den Jüngeren immer mehr Frauen. Das ist – zumal für junge Frauen, die gerne alleine an abgelegenen Orten unterwegs sind – nicht immer einfach. Manchmal habe sie den Eindruck, von älteren Vogelbeobachtern eher belächelt zu werden, sagt Alissa Kazi. Immer mal wieder traf sie auf aufdringliche Männer, wurde gar belästigt. „Diese Leute haben mit Birden aber nichts zu tun“, stellt sie klar. Und: „Wegen solcher Erfahrungen würde ich das Birden niemals aufgeben, dafür liebe ich das viel zu sehr.“ Ohnehin wächst da gerade eine Generation heran, die mit dem verstaubten stereotypen Bild des Birdwatcher bricht. Alissa Kazi gehört dazu. Und Jonathan Reher, den sie im vergangenen Jahr auf Helgoland kennenlernte. Helgoland, erzählt der 22-Jährige, sei der Ort für Vogelbeobachtung in Deutschland.

Vom Zocker zum Birdwatcher: Jonathan Reher tauschte Computer gegen Fernglas

Dass Reher einmal stundenlang an der Nordsee herumspaziert und nach Vögeln Ausschau hält, war vor vier Jahren noch nicht denkbar. Während seiner Schulzeit hat er die meiste Zeit des Tages vor dem Computer verbracht und gezockt. Weil er nicht wusste, was nach der Schule kommen sollte und ihn Biologie grundsätzlich interessierte, machte er ein freiwilliges ökologisches Jahr an der Nordsee. Neben Service im Besucherzentrum Katinger Watt, Wattwanderungen und Öffentlichkeitsarbeit gehörte die Erfassung von Vogelbeständen zu seinen Aufgaben. „Ich wusste vorher nur, dass es Blaumeise und Kohlmeise gibt, aber hatte keine Ahnung, wie man die unterscheidet“, sagt er lachend.

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Er dachte, dass es bei dem Freiwilligenjahr vornehmlich ums Meer gehen würde. Es kam anders. „Das Jahr hat mein Leben umgekrempelt. Es war ein komplett klarer Cut.“ Während seine Familie ein wenig froh ist, dass er nicht mehr nur am Bildschirm hängt, ziehen seine Zockerkumpels ihn auch gerne mal mit seinem neuen Hobby auf. Der Vogelmensch mal wieder.

Jonathan Reher hat 914 verschiedene Vogelarten auf der Welt gesehen.

Jonathan Reher hat 914 verschiedene Vogelarten auf der Welt gesehen.

Wenngleich er die Zeit am PC nicht als verschwendet ansieht, liebt er sein neues Leben. Die Motivation rauszugehen, die er lange nicht hatte, kam mit der Vogelbeobachtung. Reher hat sich an seinem Studienort Oldenburg, er studiert Umweltwissenschaften, einen Freundeskreis aufgebaut, in dem Birdwatching gemeinsames Hobby ist. Gemeinsam fliegen sie nach Mallorca, Panama, Ghana. Er verbringt aber auch nach wie vor viel Zeit an der Nordsee. Ihm ist wichtig, die Freude an den häufigen, heimischen Arten zu erhalten.

Der wissenschaftliche Aspekt ist für Reher zusätzliche Motivation. Er sagt, er habe das Bedürfnis gehabt, dass seine Daten einen Nutzen haben. „Ohne Melden würde ich nur die Hälfte der Beobachtungen machen“, sagt er. 2024 ist er der viertaktivste deutsche E-Birder, gemessen an der Anzahl gesehener Arten. „Wenn ich die Daten eh erhebe, wäre es ja blöd, wenn die nicht genutzt würden.“ Aber wer überprüft überhaupt, ob Reher, Kazi, Wood korrekt dokumentieren?

Wenn Vogelbeobachter falsche Sichtungen dokumentieren

„Bei rund 20 Prozent müssen wir hinterfragen, ob die Sichtung aufgrund der Jahreszeit und des Lebensraums möglich ist“, sagt Lukas Sobotta, einer der bekanntesten deutschen Vogelbeobachter, und sogenannter Regional Reviewer bei E-Bird. Sobotta ist so etwas wie die Kontrollinstanz für Bayern. Ein Großteil der Daten sei plausibel und bedürfe keiner Kontrolle. Ob nun die zehnte oder 20. Kohlmeise an einem Ort gemeldet werde, sei nicht relevant. Wenn es aber außergewöhnlich wird, greifen Sobotta und die anderen Reviewer – in Deutschland sind es zwölf – ein.

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Lukas Sobotta hat 1086 verschiedene Vogelarten gesehen.

Lukas Sobotta hat 1086 verschiedene Vogelarten gesehen.

Eine häufige Fehlerquelle seien Vögel, die ähnlich aussehen. Der eine kommt oft vor, der andere ist eine Rarität. Wenn eine solche Seltenheit in die Datenbank eingespeist wird, bekommt Sobotta eine Mail. Dann ist seine Expertise gefragt. Der Reviewer kontaktiert den Birder. Im besten, aber seltensten Fall gibt es ein Beweisfoto. Ein Fragebogen muss ausgefüllt werden. Anschließend berät ein Expertengremium, ob die Sichtung anerkannt wird oder nicht. Bleibt eine Sichtung unklar, markieren Reviewer sie als unsichtbar. Nur für den Beobachter selbst ist sie dann noch abrufbar, nicht aber für andere E-Birder oder die Wissenschaft.

Lukas Sobotta reduzierte fürs Birdwatching seine Arbeitszeit

Sobotta beschäftigt sich seit 15 Jahren mit der Vogelwelt, nachdem er von seiner Frau ein Buch darüber geschenkt bekam. Heute hat er seine Arbeitszeit als Elektrotechniker reduziert, um seinem Hobby mehr Raum zu geben. Er hält Vorträge, macht Themenwanderungen und Kartierungen, arbeitet ehrenamtlich für die Vogelwarte und geht nicht einmal mehr Einkaufen ohne Fernglas. „Inzwischen bin ich so angefixt, dass es mich komplett vereinnahmt. Es beansprucht meine komplette Freizeit, ich suche Reiseziele nach Vogelarten aus. Es ist mein Lebensmittelpunkt geworden“, sagt er. Als er kürzlich mit seiner Frau in den Oman in Urlaub fuhr, chillte sie im Hotel, während er durch die Wüste stapfte, auf der Suche nach Vögeln. Er bucht Delfinsafaris und Hochseeangel-Touren, obwohl er nicht angelt – es ist die günstigste Möglichkeit, Vögel, die nahezu immer auf dem Meer leben, zu entdecken.

Wieso trendet Birdwatching?

Sobotta vergleicht das Birdwatching mit dem Pokémon-Spiel: Es gebe seltene Pokémons, für die fahre man auch mal irgendwohin, weil man sie unbedingt haben möchte. Bei ihm seien die Pokémons eben echt. Echte Vögel. „Es gibt einen Bird-Alert, den bekommt man, wenn eine seltene Art irgendwo zufällig entdeckt wird“, erklärt er. Dann wäge er ab, ob ihm der Vogel die Fahrtstrecke wert sei. Manchmal steht er morgens um 3 Uhr auf, um zum Sonnenaufgang an einem bestimmten Ort Ausschau zu halten.

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E-Bird versus Ornitho: Deutschland ist international noch unterrepräsentiert

Zu Beginn war Sobotta genau wie Reher noch nicht bei E-Bird. Die Plattform ist in Deutschland noch nicht so weit verbreitet. Nur 15 415 Deutsche sind bei E-Bird registriert, sagt eine Sprecherin, in diesem Jahr waren keine 5000 aktiv. Das liegt an der Konkurrenz: Die Welt ist bei E-Bird, die Deutschen sind bei Ornitho. Das Netzwerk funktioniert ähnlich, auch hier werden die Sichtungen für wissenschaftliche Auswertungen genutzt. Seit 2003 ist Ornitho verfügbar, 50 000 Menschen machen inzwischen mit, es gab 70 Millionen Meldungen. Gegen E-Bird ist das ein kleiner Player. Sobotta hatte ein Youtube-Tutorial zu einem Umzug der Ornitho-Daten zu E-Bird veröffentlicht, doch viele nutzen trotzdem beide. Wie Reher.

„Manchmal verbringe ich Stunden damit zu gucken, wann ich eine Art zuletzt gesehen habe, wann zuerst“, sagt Reher. Das geht nur durch das zentrale Speichern auf den digitalen Plattformen. „Bei Zugvögeln vergleiche ich, wie früh oder spät sie dran sind.“ Zugvögel üben auf viele Birder ohnehin eine spezielle Faszination aus. „Milliarden Tiere, die da unterwegs sind. Das ist die größte Bewegung der Welt. Und man kann sie minutengenau verfolgen durch neueste Technik“, sagt Sobotta. Dabei sei auch zu erkennen, wie Menschen in diesen Ablauf eingreifen, etwa, wenn Orte, die als Ruhestätten galten, zugebaut werden. „Man sieht, wie der Vogelbestand durch die Zerstörung von Habitatsraum abnimmt. In 20, 30 Jahren gibt es in Bayern keine Rebhühner mehr“, warnt Sobotta, der eine Blaumeise tätowiert hat.

Der Scherenschwanz-Königstyrann ist für Lukas Sobotta besonders: Es war die 1000. Art, die er gesehen hat.

Der Scherenschwanz-Königstyrann ist für Lukas Sobotta besonders: Es war die 1000. Art, die er gesehen hat.

Blaumeisen sind auch ein gutes Beispiel, um das Phänomen Birdwatching zu verstehen. Es gibt sie überall, ständig. „Aber man entdeckt auch an Blaumeisen immer wieder was Neues. Manchmal nehme ich mir die Zeit, sie gezielt zu beobachten“, sagt Alissa Kazi, die oft völlig durchnässt vom Regen von ihren Expeditionen zurückkommt. Es ist eine Facette, die viele Birder reizt: Dass man nie auslernt. Dass es immer wieder neue Details zu entdecken gibt. Das Gefühl, satt zu sein, kennt Alissa Kazi nicht. Beim Beobachten lassen sich Bewegungen, Laute, Verhaltensweisen ablesen. „Und wenn man einen Vogel nicht richtig bestimmen kann, ist es wichtig, sich mit dem Bestimmungsbuch hinzusetzen“, sagt sie. Da sei aber ohnehin ihre Neugier getriggert. „Wenn das ein Zugvogel ist, beispielsweise, will ich auch wissen, wohin der fliegt, wo er überwintert.“

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Birdwatching: Hobby, Wettbewerb und Dienst an der Wissenschaft

Trotzdem – der Reiz, die Motivation, kommt auch durch den Wettbewerb. Es gibt einen Vergleich und eine Art Sucht, immer weiter zu kommen. In Kazis Freundeskreis gibt es eine Jahreschallenge: Wer sieht in dem Zeitraum mehr? Doch es hat Grenzen: Es gibt inzwischen Birder, die ihre Sichtungen nicht mehr dokumentieren, weil sie nicht wollen, dass andere den seltenen Vogel auch sehen. So weit will es Reher nicht kommen lassen. „Ich würde behaupten, ich schaffe es noch, dass der Fokus nicht auf dem Wettstreit, sondern auf dem Beobachten liegt.“

Sobotta hat im November 2023 die 1000er-Marke geknackt. Ein Scherenschwanz-Königstyrann in Costa Rica. Jeder Vogel, sagt er, sei auf irgendeine Weise cool. Aber es gibt auch die besonderen Sichtungen – sein erster Auerhahn beispielsweise. Jahrelang hatte er ihn gesucht, bis zu jenem Morgen am Feldberg im Schwarzwald. „Es gibt manchmal so Momente, so ein Gefühl, dann brauche ich fünf Minuten, um zu verinnerlichen, was gerade passiert ist.“