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Im Land des Glitzers

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Im Land des Glitzers
Tradition und Moderne sind nah beieinander. © IMAGO/Pond5 Images

K-Pop, K-Drama, K-Beauty, K-Food – dank Internet schwappt die koreanische Welle der Popkultur seit Jahren auch an unsere Ufer. Als glühender Fan tauscht Autorin Kathrin Rosendorff ihren Bildschirm gegen ein Flugticket und schaut, ob Südkorea seinem boomenden Ruf gerecht wird.

Oppa Gangnam Style!“: Sobald ich mich unter die gigantische Bronze-Statue gekreuzter Hände in Seoul stelle, dröhnt der Superhit aus den Boxen. Das fünf Meter hohe Denkmal imitiert die Hand-Bewegung aus dem legendären Reit-Tanz des koreanischen Popstars Psy. Mein 45 Jahre alter Reiseleiter, der in Seoul geboren und aufgewachsen ist, fängt selbst an beim Fotografieren den Gangnam Style zu tanzen und fordert mich auf mitzumachen. Ich geniere mich.

Denn die Skulptur steht vor dem Einkaufszentrum des noblen Stadtviertels Gangnam. Ein beliebter Stopp der vielen K-Pop-Stadtbustouren. Aber eben auch eine Hommage an Psy und sein international gefeiertes Lied von 2012. Es gehört bis heute zu den meistgeklickten Youtube-Musikvideos und markiert den Beginn des weltweiten Aufstiegs koreanischer Popkultur, der sogenannten Hallyu, der koreanischen Welle. Mittlerweile zelebrieren Menschen weltweit nicht nur die Musik der zahlreichen K-Pop-Bands, sondern so ziemlich alles mit was mit K beginnt: K-Dramen (Serien), K-Beauty (Kosmetik), K-Food (Essen). Dieser K-Boom zieht jährlich Millionen Menschen nach Südkorea. Auch mich.

Ohne K-Dramen und K-Pop wäre ich wohl nie hierher gereist. Ich hatte kein klares Bild von Südkorea, wusste kaum etwas über die Kultur, hatte nur gehört, dass das Land super modern ist. Das änderte sich 2020, zu Beginn der Pandemie. Das war der Moment, an dem ich wie viele andere Menschen begann, fröhliche K-Pop-Songs zu hören und die Choreos der Bands auf Social Media zu bewundern. Gleichzeitig entdeckte ich K-Dramen auf Netflix, insbesondere die romantischen Komödien, die nicht ganz so kitschig wie die amerikanischen, sondern mit viel Humor und Selbstironie erzählt werden. Sehr unterhaltsam finde ich etwa die zurzeit international erfolgreichste Serie „Lovely Runner“, in der die Protagonistin immer wieder in die Vergangenheit reist, um den Tod ihrer ersten Liebe zu verhindern.

K-Dramen und K-Pop sind in Zeiten von Krisen und Kriegen meine Art des Eskapismus. Ähnliches höre ich auch immer wieder von anderen Touristinnen. Für sie und für mich ist Südkorea Liebe auf den ersten Blick. „Ich wollte wissen, ob Korea so schön ist wie in den Serien“, sagt eine 24-jährige Amerikanerin, die ich im Palast Gyeongbokgung in Seoul treffe. Die Berge dahinter wirken wie eine Filmkulisse. In den Palästen laufen Touristinnen und Touristen zwischen 12 und 70 Jahren in Hanboks umher, den traditionellen Trachten, die ich aus historischen K-Dramen kenne. Shops unweit der Paläste und des historischen Viertels Hanok verleihen die Kleidungsstücke, häufig inklusive Make-up und Frisur. „Wir Koreaner tragen Hanboks nur zu Geburtstagen oder zu unserer Hochzeit. Die sind aber nicht so knallbunt“, erzählt eine Reiseleiterin und lacht.

Auch wenn ich kein Koreanisch spreche, schaue ich die Serien im Original mit Untertitel, weil die Sprache so sympathisch, so melodisch klingt. Ein wenig hatte ich Angst, dass Südkorea mich enttäuschen könnte. Doch ich fühle mich tatsächlich sofort wie in einem K-Drama, nur leider laufen keine Untertitel mit. Mein beschränktes Serien-Vokabular wie Saranghae (Ich liebe dich“), gajima (geh nicht)- und mein Lieblingsausdruck jinjja (wirklich?) ist nicht so hilfreich.

Vielleicht fällt mir gerade deshalb sofort die Hilfsbereitschaft gegenüber Reisenden auf. Ich laufe mit großem Koffer und Handgepäck durch das Gedränge der Seoul Station. Alle haben es eilig, ich hingegen fühle mich zu langsam für Korea. „Das wichtigste Wort in Korea ist ‚ppalli ppalli‘, also schnell, schnell.“ Diese Lektion hatte mir meine koreanische Bekannte schon vor der Abreise als Vorwarnung mitgegeben.

Doch als ich die Treppenstufen zum Gleis mit meinem Gepäck langsam runterlaufe, nimmt mir plötzlich eine ältere Frau, klein und zierlich, wortlos den großen, schweren Koffer ab und rennt die Treppe hinunter. Eine Diebin? Zum Glück merke ich schnell, dass sie einfach helfen will. Keine Einzelerfahrung, denn egal wo ich in Südkorea unterwegs bin, bietet man mir Hilfe an, wenn ich nur etwas verloren schaue. Und das kann schon passieren, denn in der Zehn-Millionen-Metropole Seoul allein gibt es 645 U-Bahn-Stationen.

Sänger Psy feierte mit seinem Hit „Gangnam Style“ den internationalen Durchbruch - und wurde damit auch zum Urvater der koreanischen Welle.
Sänger Psy feierte mit seinem Hit „Gangnam Style“ den internationalen Durchbruch – und wurde damit auch zum Urvater der koreanischen Welle. © IMAGO/Newscom / Yonhap News

Als ich auf der Suche nach der richtigen Bahn eine Frau anspreche, winkt sie ab und rennt vor mir weg. Viele Koreaner:innen sprechen kein Englisch. Manchen ist das peinlich. Aber schon im nächsten Moment spricht eine junge Studentin mich auf sehr gutem Englisch an und fragt: „May I help you?“ Weil sie gerade Zeit hat, begleitet sie mich noch zum richtigen U-Bahn-Eingang.

„Koreaner helfen anderen. Aber vor allem ist es ein Ding, dass Frauen sich gegenseitig helfen“, erzählt mir meine koreanische Freundin Yurim, die in Deutschland studiert hat. „Ich mag Deutschland lieber, ich mag langsam. Und in Korea lernen meine Studienfreunde nur. Ich möchte auch leben, nicht nur studieren und arbeiten“, sagt sie.

Ein Fotoshooting hat Son Mikyoungs Café auf Jeju zur BTS-Pilgerstätte gemacht.
Ein Fotoshooting hat Son Mikyoungs Café auf Jeju zur BTS-Pilgerstätte gemacht. © Kathrin Rosendorff

Gemeinsam laufen wir durch die Stadt, vorbei an auffällig vielen Fotoautomaten-Studios und Häuschen, die Wahrsagerei versprechen. „Viele Koreaner gehen zu Schamanen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Leben nicht gut läuft“, erzählt Yurim. Sie mag die Fotoboxen lieber. Man verkleidet sich niedlich: Die Accessoires reichen von roter Sonnenbrille bis Katzenöhrchen-Haarreif. Nicht nur mit Freundinnen und Freunden kann man Fotos machen, sondern auch mit Stars wie Byeon Woo-seok, dem Hauptdarsteller der Serie „Lovely Runner“. Natürlich steht Byeon Woo-seok dabei nicht in echt neben mir. Auf dem Bildschirm werden Bilder von ihm eingeblendet. Ich sehe wie der Schauspieler einen Regenschirm hält, und muss mich einfach darunter stellen. Auf dem Foto schaut er mich dann verliebt an. Als die Drucke aus dem Automaten kommen, sieht man keinen Unterschied zwischen den „echten“ Fotos mit Yurim und denen mit dem Hauptdarsteller.

Viel näher werde ich ihm auch nicht kommen, denn Fantreffen mit dem 32-Jährigen sind in Stadien in ganz Asien ausverkauft. Dank des Serienerfolgs hat er auch zahlreiche Werbeverträge unterschrieben, unter anderem mit der Luxusmarke Prada. Die koreanische Welle ist eben auch ein großes Geschäft. Eines, das nach außen funkelt, aber dessen Arbeitsbedingungen knallhart sind. Jung Young-joo, ebenfalls Darstellerin in „Lovely Runner“ berichtet in einem Interview von Dreharbeiten bis zwei Uhr nachts, um sechs Uhr morgens wurde weitergedreht. Sie hätten Infusionen bekommen, um zu funktionieren. Immer wieder gibt es auch Suizide, frühe Tode von K-Pop-Stars. Überhaupt hat die Leistungsgesellschaft Südkorea eine hohe Suizidrate: An der Mapo-Brücke, am schönen Han River in Seoul, gibt es mittlerweile viele Notruftelefone und Überwachungs-Kameras, um Leben zu retten.

In Seoul sehe ich aber vor allem überall den Glanz und Glamour, die strahlende Seite der K-Pop-Welt: Am internationalen Flughafen Incheon lächelt Schauspieler Park Seo-joon auf einem Werbeplakat für ein Casino, in dem idyllischen Park Seoul Forest (es gibt viele grüne Oasen in der Stadt) gibt es Sitzbänke, auf denen die Namen der K-Pop-Stars auf Schildern stehen. In den kleinen Einkaufsläden laufen Hits wie „Super Shy“ der Girlband NewJeans. Die fünf Mitglieder sind diesen Sommer von der Regierung zu den offiziellen Botschafterinnen für Tourismus ernannt worden. Ihre Werbefilme auf Youtube haben nach nur elf Tagen schon 30 Millionen Aufrufe. Im jungen Stadtviertel Hongdae treten täglich aufstrebende K-Pop-Bands auf der Straße auf. Einheimische und Reisende jubeln ihnen zu. An der Seoul Station, dem Hauptbahnhof, wirbt auf einem Plakat der seit Jahren als einer der schönsten geltenden Sänger und Schauspieler Cha Eun-woo für Korea als Reiseziel.

Und über allem steht der riesige internationale Erfolg der bekanntesten K-Popband BTS. Sechs der sieben Mitglieder dienen gerade in der Armee. 18 Monate Wehrpflicht bis zum 30. Geburtstag müssen auch sie erfüllen. Erst 2025 werden alle Mitglieder aus der Armee zurück sein und wieder gemeinsam auftreten. Die Bewunderung nimmt dadurch nicht ab. Einen Tag vor der Armee-Entlassung von Jin, dem ältesten Mitglied, stehe ich vor dem Gebäude von Hybe, dem Plattenlabel der Band. Plakate mit „Welcome back Jin“ hängen überall. In den abendlichen Nachrichten läuft ein zehnminütiger Beitrag über seine Entlassungszeremonie, der Bürgermeister von Seoul begrüßt ihn zurück. K-Pop ist ein enormer Wirtschaftsfaktor. 2020 machten allein BTS 0,3 Prozent des Bruttosozialprodukts aus. Und sie ziehen ihre Fans, die sich selbst Army nennen, eben auch nach Südkorea. Es gibt in dieser Woche viele Fan-Feste, auch anlässlich des elften Geburtstags der Band.

Wer ganz besondere Urlaubsfotos will, kann sich bei den verschiedenen Palästen in Seoul einen Hanbok, ein traditionelles Gewand, leihen.
Wer ganz besondere Urlaubsfotos will, kann sich bei den verschiedenen Palästen in Seoul einen Hanbok, ein traditionelles Gewand, leihen. © IMAGO/ZUMA Wire

Hier treffe ich Frauen aus der ganzen Welt im Alter zwischen 16 und 50. Barbara (49) leitet den australischen BTS-Fanclub. „Ich organisiere Touren für Fans. Wir reisen an Orte, wo BTS Videos gedreht oder etwa gegessen haben.“ Viele der Fans, die die Touren buchten, seien um die 50 und älter. Zwei- bis dreimal im Jahr reist sie mittlerweile nach Südkorea. „Ich liebe nicht nur BTS, sondern auch die koreanische Kultur, ich habe hier inzwischen Freunde.“

Vor dem Hybe-Gebäude steht auch die 29-jährige Sabrina aus München. Als BTS-Fan lebt sie für vier Monate bei einer Gastfamilie in Seoul und besucht eine Sprachschule. 9000 Euro kostet ihre Auszeit vom Alltag. „Erst hat mein Vater angefangen, K-Dramen zu schauen. Er hat mich angesteckt. Und dann kam die Liebe für BTS und so habe ich angefangen, mich für Korea zu interessieren.“ Sie betont aber auch, dass sie sich aufgrund des hohen Sicherheitsgefühls für einen Aufenthalt in Korea entschieden hatte.

Der Sicherheitsgedanke ist tatsächlich sehr präsent. Überall weisen Schilder darauf hin, dass Überwachungskameras aufzeichnen, was in der Stadt, U-Bahn, auf Wanderwegen, sogar in den Aufzügen passiert. „Dadurch ist die Kriminalitätsrate niedrig“, sagt eine Reiseleiterin. In den Cafés in Seoul lassen die Leute ihre Handys und Handtaschen unbesorgt auf den Tischen liegen, wenn sie auf die Toilette gehen.

Als Touristin genieße ich es, entspannt durch die Stadt zu laufen, ohne den Drang meine Handtasche fest umklammern zu müssen. Seoul ist noch dazu sehr sauber, obwohl es kaum öffentliche Mülleimer gibt. „Wir nehmen unseren Müll mit nach Hause“, sagt meine koreanische Freundin.

Mein nächster Stopp ist die Vulkaninsel Jeju, auch bekannt als das koreanische Hawaii. Mit meiner Reiseleiterin June fahre ich in einem Van entlang der schönen Küste und vorbei an Bergen. Die 52-Jährige bemerkt täglich, wie sehr K-Pop die Tourismusbranche verändert hat: „Früher war Südkorea für Reisende meist so was wie ihre letzte Reise, wenn sie ansonsten schon alles in der Welt gesehen hatten. Aber jetzt kommen Leute aus der ganzen Welt, alle Generationen, weil sie K-Dramen schauen und K-Pop hören und neugierig sind, die koreanische Kultur in echt zu erleben.“

In Europa ist Jeju als Reiseziel noch ziemlich unbekannt. Ich kenne es, weil viele Serien hier gedreht wurden. Tatsächlich landet hier aber so ziemlich im Minutentakt eine Maschine aus der Hauptstadt. Pro Tag sind es 1,2 Millionen Fluggäste, die zwischen Seoul und Jeju reisen, die weltweit meist frequentierte Inland-Strecke. Um die Insel zu erkunden, muss man Touren buchen oder ein Auto mieten. June selbst bietet eine K-Drama-Tour an. Sie führt Gruppen zu den Drehorten der Erfolgsserie „Welcome to Samdal-ri“. Ich entscheide mich der Abwechslung halber für die „Unesco Weltkulturerbe-Tour“. Dort laufen wir in 30 Minuten den Seongsan Ilchulbong hoch, einen 182 Meter hohen Berggipfel, der vor rund 5000 Jahren durch einen Vulkanausbruch entstand. Wie bei den meisten Bergen gibt es in Korea Treppenstufen, die den Auf- und Abstieg sicherer machen.

K-Pop als wichtiges Exportgut: BTS zu Gast im Weißen Haus.
K-Pop als wichtiges Exportgut: BTS zu Gast im Weißen Haus. © IMAGO/ZUMA Wire

Wieder am unteren Ende der Treppen angekommen, treffe ich am Wasser die Haenyo, eine Gruppe von „Seefrauen“, die schon als Kind gelernt haben, ohne Sauerstoffgerät zu tauchen. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt mit der Ernte von Meeresfrüchten und gelten als das lebende Weltkulturerbe der Insel. Da die meisten Haenyo zwischen 50 und 75 Jahre alt sind, haben die Taucherinnen ein Nachwuchsproblem. „Deswegen können jetzt auch Externe hier ein Praktikum absolvieren. Und wenn du von der Dorfgemeinschaft akzeptiert wirst, kannst du auch eine Ausbildung machen und als Haenyo arbeiten“, sagt June. Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Aber die Kultur der Haenyo spielt zumindest auch in der Serie „Welcome to Samdal-ri“ eine Rolle. Der Magnetwirkung der K-Dramen lässt sich auch auf der Unesco-Tour nicht entkommen.

Zurück im Van spielt June die englischsprachigen Hits von BTS wie „Dynamite“ und „Butter“. Sie sagt: „Es hat mit Gangnam Style begonnen, aber der Song war nur ein One Time Boom für die Tourismusbranche. Erst mit dem internationalen Erfolg von BTS, als sie 2020 anfingen, komplett englischsprachige Songs rauszubringen, gab es einen echten Wandel. Ich als Reiseleiterin bin BTS sehr dankbar und auch selbst zum Fan geworden.“

Sie ist stolz auf das Talent und den Erfolg ihrer Landsleute. Das höre ich immer wieder von den Einheimischen. Auch die K-Dramen seien wichtig. „Durch die Serien ist es als Reiseleiterin einfacher, denn die Leute bringen jetzt ein Grundwissen mit. Ich muss ihnen beispielsweise nicht mehr erklären was Kimchi (fermentierter Chinakohl) und Soju (Schnaps) ist.“

Perfekt koordinierter Auftritt von Girlband Billlie…
Perfekt koordinierter Auftritt von Girlband Billlie… © Busan One Asia Festival

Das Essen und Trinken wird in den Serien geradezu zelebriert. Aber auch im realen Leben trifft man sich in großer Runde und bestellt viel. Ein Koreaner drückt es so aus: „Wenn wir essen gehen, essen wir wie Könige.“ Vielleicht auch weil es günstiger ist, essen zu gehen, als Lebensmittel zu kaufen. Eine Hauptmahlzeit mit vielen Beilagen kostet umgerechnet acht Euro. Auf den Tischen stehen viele kleine Schalen, die zu den Gerichten wie Bibimbap (Reis und Gemüse mit mariniertem Rind-Fleisch und Spiegelei) oder dem Nudelgericht Jajangmyeon (Weizennudeln mit schwarzer Sojabohnenpaste, Fleisch und Gemüse) serviert werden. Sehr beliebt ist Korean Barbecue: Mit der Schere werden Fleisch und Nudeln über der Grillplatte am Tisch klein geschnitten. Überhaupt gehören Fisch und Fleisch so ziemlich zu jeder Hauptmahlzeit. Ein vegetarisches Lokal muss man schon gezielt suchen.

Egal wo ich bin: Das Essen schmeckt mir sehr gut, auch „schwarzes Schwein“, die Spezialität von Jeju, liebe ich. Ein Paar am Nachbartisch bestellt hingegen die Delikatesse Sannakji, einen lebenden Oktopus, der noch auf dem Teller die Tentakel regt. Als die Frau am Nebentisch hineinbeißt, muss ich wegschauen. Auf diese Art des Kulturschocks haben meine Serien mich nicht vorbereitet.

Strandbesuch im Glanz und Glitzer der Skyline der Hafenstadt Busan.
Strandbesuch im Glanz und Glitzer der Skyline der Hafenstadt Busan. © Kathrin Rosendorff

Ein beliebter Stopp für BTS-Fans auf Jeju ist das „Young Forever“-Café. Die Wiese vor dem Café war noch vor ein paar Jahren ein Ort für Ballonfahrten. 2016 nahm dann die Band hier die Bilder für ihr Durchbruchalbum „Young Forever“ auf, erzählt Son Mikyoung, die Cafébetreiberin. Der Original-Korb des Heißluft-Ballons, in dem BTS 2016 posierten, steht in einer Ecke des Cafés, der Ballon liegt wie ein Teppich ausgebreitet davor. Fans können für Fotos einsteigen, Fan-Artikel kaufen sowie Getränke, die nach den Mitgliedern benannt sind, bestellen. Meinen „Jungkook“-Esproberry-Latte bekomme ich mit seinem Gesicht auf einem Minikissen serviert.

„Ich wollte BTS nicht fürs Geschäft ausnutzen. Aber Fans baten mich inständig, hier eine Pilgerstätte für sie zu eröffnen“, sagt die Cafébesitzerin Anfang 50. An einem großen Tisch verkündet ein Schild: „Hier haben BTS Ramen gegessen“. Son Mikyoung erinnert sich an den Tag, an dem sie für die Band Ramen kochte und dachte: „Was für höfliche und nette Jungs.“ Erst danach fing sie an, ihre Musik zu hören.

Inzwischen laufen die Musikvideos der Gruppe auf einer Leinwand in Dauerschleife. Für Son Mikyoung ist die Band eine Motivation: „Immer wenn ich ans Aufgeben denke, erinnere ich mich daran, wie hart BTS anfangs gekämpft haben. Es war ein sehr harter Weg, bis sie erfolgreich wurden. Ich denke, wenn sie es geschafft haben, dann schaffe ich es auch.“ So ähnlich formuliert es auch June. Sie ist vor acht Jahren nach Jeju gezogen und Reiseleiterin geworden. Ihr Leben als Büroangestellte in Seoul sei zu hart gewesen.

…und Boyband Zerobaseone.
…und Boyband Zerobaseone. © Busan One Asia Busan Festival

Wieder zeigt sich die andere Seite von Südkorea. „Die Leute in Seoul arbeiten extrem hart, der Leistungsdruck ist groß. Der Konkurrenzgedanke ist Alltag. Eine Psychologin sagte mal, wir Koreaner müssen lernen, dass wir nicht überall im Leben auf Platz eins sein müssen“, sagt June. In Seoul werde nicht nur viel gearbeitet, sondern auch viel getrunken. „Das ist kein gesunder Lebensstil. Ich habe mit 44 entschlossen: ‚Ich will das nicht mehr.‘ Hier auf Jeju habe ich ein Leben außerhalb der Arbeit. Wandern ist eins der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Koreaner meiner Generation.“

Die 52-Jährige fühlt sich nun zu alt für Seoul: „In Seoul bekommen in bestimmten Branchen nur junge, schöne Leute Jobs. Wir Koreaner sind besessen vom Aussehen. Ich wünschte es wäre anders.“

In Seoul gibt es sogar eine Straße die „Avenue of Youth“ heißt. Und tatsächlich sehe ich auf den Werbeplakaten der Hauptstadt nur junge Menschen, auch männliche Idole tragen und werben für Makeup. In Serien sehen die Darsteller:innen mit ihrer perfekten Porzellanhaut mehr aus wie Märchenfiguren, als echte Menschen. Ein Kollege sagt: „Der Schauspieler sieht aus wie eine KI.“ Eine Freundin bemerkt über die ebenso makellosen Mitglieder der K-Popband Seventeen: „Sie sehen aus als ob sie glitzern.“ Dieser Schönheitskult zieht auch die Reisenden in seinen Bann – im Einkaufsviertel Myeong-dong kaufen sie körbeweise Gesichtsmasken, Toner und Concealer. Alle (auch ich) wollen eine so schöne Haut wie die glitzernden K-Pop-Stars haben. Täglicher Sonnenschutz 50 Plus und eine Gesichtspflegeroutine mit zehn Schritten sind bei vielen Einheimischen so selbstverständlich wie Zähneputzen.

Täuschend echt.
Täuschend echt. © Kathrin Rosendorff

Die schönen und jungen Koreanerinnen und Koreaner reihen sich im angesagten Viertel Seongsu aneinander, wie coole Cafés und Popup-Stores. Sie sehen aus wie die Besetzung in den K-Dramen, einige sind operiert. „In den letzten fünf bis sieben Jahren ist es normal geworden, dass Eltern ihren Kindern nach dem Schulabschluss eine Schönheits-OP schenken. Standard ist die Doppellid-OP für große, westliche Augen. Dann folgt oft die Stupsnase und der Schmollmund. Ich persönlich mag das nicht. Ich will doch nicht mit einer Barbie zusammen sein“, sagt ein 45-jähriger Koreaner. Bei den K-Pop-Bands sind Schönheits-OP hingegen schon lange Standard.

Laut einem Bericht des Ministeriums für Kultur, Sport und Tourismus von 2023

nennen Reisende K-Pop als Hauptgrund für ihren Besuch in Südkorea. Die Konsequenz: Bald soll es auch sogenannte „K-Culture Training“-Visa für Ausländer:innen geben. Leute mit diesem Visum dürfen zwei Jahre lang in Südkorea leben und Tanzkurse besuchen.

Details sollen im Herbst publik werden. Informationen und Tipps zu Reisen in Südkorea gibt das Frankfurter Büro der Korea Tourism Organization (KTO). Tel: +49-69-233-226, www.visitkorea.or.kr

Die Reise wurde zum Teil mitfinanziert von KTO.

Fans nähern sich aber auch abseits des OP-Saals ihren Idolen: Im Jahr 2020 gegründeten World K-Pop-Center können Interessierte Tanzkurse buchen. Oder sich für Castings vorbereiten, wenn Entertainment-Unternehmen neue Mitglieder für K-Popgruppen suchen. „Nur eine von 10 000 Bands, die ihr Debüt feiern, werden Stars wie BTS oder Black Pink, das weibliche Pendant“, sagt Global Business Director Dongmin Yu. In Korea starteten die meisten bereits mit 13 Jahren die Ausbildung mit „Bootcamp-Charakter“, sechs Jahre dauere ein solches „Traineeship“.

Viele scheint das nicht abzuschrecken. Ich treffe Jugendliche aus China und Australien, die von einer Karriere in der Branche träumen und hier einen Sommerkurs besuchen. Schon einen Schritt näher sind drei Peruanerinnen, die gerade in einem der Proberäume üben. Abigail (21) Kenny (23) und Ruby (20) feiern in diesem Sommer ihr Debüt als K-Pop-Girlband: BlingOne Peru. Sie wurden in Lima gecastet und in Seoul in wenigen Monaten ausgebildet. Ihr erster Song „Kiss & Call“ erscheint auf Englisch und Koreanisch. „Nie haben wir davon geträumt, dass wir die Chance bekommen, K-Pop-Stars zu werden. Es ist die Überraschung und Chance unseres Lebens“, sagt Abigail.

Der Direktor des World K-Pop-Center sagt: „Wir wollen insgesamt 32 Girlbands in 32 Ländern aufbauen, alle heißen BlingOne.“ Auch in Deutschland seien sie auf der Suche nach Kooperationspartnern. „Alle lieben es gerade Korea zu kaufen, K-Pop ist eine Business-Möglichkeit“, sagt er. Internationale K-Popbands mit Nicht-Koreaner:innen sind schon länger ein Trend, der aber nicht bei allen gut ankommt.

Laut einem Bericht des Ministeriums für Kultur, Sport und Tourismus von 2023 nennen Reisende K-Pop als Hauptgrund für ihren Besuch in Südkorea. Die Konsequenz: Bald soll es auch sogenannte „K-Culture Training“-Visa für Ausländer:innen geben. Leute mit diesem Visum dürfen zwei Jahre lang in Südkorea leben und Tanzkurse besuchen. Details sollen im Herbst publik werden. Informationen und Tipps zu Reisen in Südkorea gibt das Frankfurter Büro der Korea Tourism Organization (KTO). Tel: +49-69-233-226, www.visitkorea.or.kr
Laut einem Bericht des Ministeriums für Kultur, Sport und Tourismus von 2023 nennen Reisende K-Pop als Hauptgrund für ihren Besuch in Südkorea. Die Konsequenz: Bald soll es auch sogenannte „K-Culture Training“-Visa für Ausländer:innen geben. Leute mit diesem Visum dürfen zwei Jahre lang in Südkorea leben und Tanzkurse besuchen. Details sollen im Herbst publik werden. Informationen und Tipps zu Reisen in Südkorea gibt das Frankfurter Büro der Korea Tourism Organization (KTO). Tel: +49-69-233-226, www.visitkorea.or.kr © Kathrin Rosendorff

Nataly (23) aus Tschechien ist nicht begeistert von der Idee von „Nicht-Koreanern“ als K-Pop-Stars, findet das Ganze eher „unnötig“ und „unauthentisch“. Dank eines Austauschprogramms ihrer Heimatuni, studiert sie seit fast einem Jahr in Seoul. „Ich wollte näher an den K-Pop-Bands sein“, erzählt sie beim Gespräch in einem trendigen Café in Seoungsu. BTS seien vor allem im Ausland populär. „Koreaner schätzen BTS, aber angesagter sind bei der jüngeren Generation neuere Bands wie Riize, Stray Kids oder Seventeen.“ Doch sie findet nicht nur die Bandmitglieder schön. „Ich mag an Korea, dass alles so ästhetisch ist. Das Essen, die Cafés. Und man kann hier auch noch bis 22 Uhr mit seinen Freunden Kuchen essen gehen“. Theoretisch zumindest, in der Praxis hat sie dafür kaum Zeit. Denn als leidenschaftlicher K-Pop-Fan hat sie viel zu organisieren. Als wir später durch Seoul laufen, telefoniert sie mit einer Freundin, weil sie beim „Pre-Recording“, der Probe vor dem TV-Auftritt der Band Riize, dabei sein will. Die Tickets dafür sind nicht gerade leicht zu bekommen. „Man muss Mitglied des Fanclubs sein, eine Lichtkugel der Band haben, und noch ein paar andere Dinge, um sich zu bewerben.“ Für mich klingt es so kompliziert wie eine Steuererklärung.

Unkomplizierter ist es hingegen ein Ticket beim „One Asia Festival“ in der hübschen Hafenstadt Busan, drei Stunden Zugfahrt von Seoul, zu bekommen. Hier feiern an einem regnerischen Sommertag alle Nationen miteinander. Polnische Studentinnen, amerikanische und russische Reisende tanzen neben Einheimischen. Auch die Generationen mischen sich: Seniorinnen, die im Takt klatschen und ein älterer Herr, der mit rosa Regencape und blinkendem Haarreif tanzt. Auf der Bühne performen K-Pop-Boybands wie g.o.d (Groove over dose), die Ende der 90er ihr Debüt hatten, bis hin zu den gerade sehr angesagten jungen Künstlern von Zerobaseone. Obwohl ich die Songs nicht kenne, lasse ich mich von den fröhlichen Beats und der harmonischen Stimmung mitreißen. Und inmitten des puren Eskapismus wünsche ich mir für einen Moment, die Welt wäre mehr wie ein K-Pop-Festival. Auf dem Flug nach Hause habe ich Herzschmerz. Ich muss an den Satz eines BTS-Fans zurückdenken, den ich auf meiner Reise getroffen habe: „Erst habe ich mich in K-Pop verliebt, dann in Südkorea.“

Autorin Kathrin Rosendorff bereitet sich schon auf ihre K-Pop-Karriere vor. Bis dahin schreibt sie erstmal.
Autorin Kathrin Rosendorff bereitet sich schon auf ihre K-Pop-Karriere vor. Bis dahin schreibt sie erstmal. © peter-juelich.com