close
close

Sawiris Ferienresort am Urnersee ist Hoffnung gegen Abwanderung in Isenthal

Sawiris Ferienresort am Urnersee ist Hoffnung gegen Abwanderung in Isenthal

Mit einer Volksinitiative wollen die Grünen das von Samih Sawiris am Urnersee geplante Ferienresort stoppen. In Isenthal erhofft man sich einen Aufschwung. Ein Gespräch am Stammtisch.

Das kleine Bergdorf Isenthal hofft, vom Sawiris-Ferienresort am Urnersee profitieren zu können.

Das kleine Bergdorf Isenthal hofft, vom Sawiris-Ferienresort am Urnersee profitieren zu können.

Karin Hofer / NZZ

Einen Hauch von Mittelmeer soll die Marina verströmen, die Samih Sawiris am Urnersee realisieren will. Der Standort auf der Halbinsel Isleten scheint dafür ideal. Schon heute entspannen sich hier an schönen Tagen Hunderte von Menschen beim Schwimmen oder Surfen. Wer die Siedlung rechts liegen lässt und das schmale Strässchen zum Dorf Isenthal hinauffährt, fährt in eine andere Welt.

Nach einigen engen Kurven verschwindet der See aus dem Blickfeld. Nach wenigen Kilometern erreicht man das kleine Bergdorf auf etwa 800 Metern Höhe. Es ist eng. Links und rechts umgeben steile Berghänge den Dorfkern. Kurz hinter dem Dorf ist Schluss. Der Urirotstock macht das Tal zur Sackgasse.

Umstrittene Initiative

Doch ohne Isenthal, besser gesagt ohne den Isenthalerbach, gäbe es die Pläne von Sawiris nicht. Der Bach hat über Jahrhunderte das Delta aufgeschüttet, das der ägyptische Investor als Privatmann vor drei Jahren gekauft hat. Der grösste Teil des Ferienresorts, das 37 000 Quadratmeter inklusive Bootshafen umfassen soll, gehört jedoch zur Gemeinde Seedorf. Auf Isenthaler Boden befindet sich lediglich ein bisher als Parkplatz genutzter Kiesplatz.

Könnte auch die kleine Berggemeinde trotzdem von dem Tourismusresort profitieren, in das Samih Sawiris rund 150 Millionen Franken aus dem eigenen Sack investieren will? Und würden mehr als ein paar Brosamen abfallen? Diese Fragen werden in Isenthal momentan diskutiert. Sollte das Resort tatsächlich realisiert werden, könnte die Gemeinde wohl über eine Änderung des Zonenplans abstimmen und so mitreden.

Als der Milliardär sein Projekt im April 2022 erstmals der Öffentlichkeit vorstellte, war das Interesse gross. Viele Isenthaler liessen sich aus erster Hand informieren. An der Medienkonferenz, an der Sawiris im März eine abgespeckte Version des Projekts vorstellte, gehörte der Gemeindepräsident Patrick Zurfluh zu den Referenten.

Wir treffen Zurfluh am Stammtisch des Restaurants Urirotstock, des einzigen Gasthauses, das im Dorf noch übrig geblieben ist. Das geplante Resort mit einem Hotel und Bungalows sei bei den rund 470 Einwohnern latent ein Thema, stellt Zurfluh fest. Er wisse nicht, wie momentan die Stimmung sei. Nur so viel: «Es gibt Befürworter, und es gibt Gegner.»

Voraussichtlich im November kommt die Stunde der Wahrheit. Dann stimmen die Urner nämlich über die Initiative «Isleten für alle» ab. Erklärtes Ziel des Volksbegehrens ist es, die Umwandlung des ehemaligen Industrieareals zu einer Tourismusanlage zu verhindern. Mit Spannung wird erwartet, welche Abstimmungsempfehlung der Urner Landrat zu der Initiative der Grünen abgeben wird. Pirmin Bissig, der sich ebenfalls im «Urirotstock» eingefunden hat, wird als einziger Isenthaler Landrat an der Debatte teilnehmen, die am 28. August stattfindet.

Pirmin Bissig wird als Landrat über die Anti-Sawiris-Initiative entscheiden.

Pirmin Bissig wird als Landrat über die Anti-Sawiris-Initiative entscheiden.

NZZ

Er geht davon aus, dass das 64-köpfige Parlament die Initiative wie von der Regierung beantragt zur Ablehnung empfehlen wird. «Es könnte aber knapper werden, als man denkt», sagt er. Denn der Mitte-Politiker erinnert sich noch gut an die Diskussionen, als es letztmals um Samih Sawiris ging. «Es war kein Ruhmesblatt für die Urner Politik», sagt er.

Im Mai 2020 hatte das Parlament zu entscheiden, ob der Kanton Uri dem Tourismusinvestor für seine Verdienste um Andermatt das Ehrenbürgerrecht verleihen soll, wie es die Regierung beantragt hatte. Dass SP und Grüne das Ansinnen ablehnen würden, war zu erwarten. Die Ratslinke hatte das riesige Ferienresort im Urserntal von Anfang an bekämpft und ist mit den ökologischen Auflagen, die sie aushandeln konnte, nur beschränkt zufrieden. Aber auch einige Politiker aus bürgerlichen Parteien sind mit dem Ägypter, der im Kanton Uri rund 1,5 Milliarden Franken investiert hat, nie richtig warm geworden.

Sawiris’ Kränkung

Ein Antrag von SP und SVP, die Debatte zu verschieben, scheiterte knapp. Schliesslich sprach sich der Rat mit 30 zu 14 Stimmen bei 6 Enthaltungen dafür aus, Sawiris zum Urner Ehrenbürger zu machen. «Eigentlich müsste eine solche Einbürgerung einstimmig erfolgen», sagt Bissig. «Doch beinahe wäre es zu einer Blamage gekommen.» Auch wenn sich die Wogen inzwischen geglättet haben, glaubt er, dass im rechtsbürgerlichen Lager immer noch Ressentiments gegen den Investor bestehen.

Josef Schuler ist überzeugt, dass die Parlamentsdebatte bei Sawiris Spuren hinterlassen hat. «Sawiris hat – wie wir alle – auch eine narzisstische Seite, und das Hickhack um seine Einbürgerung steckt man nicht so einfach weg», sagt der Mann, der seit 1974 in Isenthal wohnt. Er glaubt, dass der heftige Widerstand gegen das Marina-Projekt den Investor gekränkt hat.

Josef Schuler, ehemaliger Lehrer in Isenthal.

Josef Schuler, ehemaliger Lehrer in Isenthal.

NZZ

Schuler bezeichnet sich selbst als «Freigeist» in der Runde, die sich zum Gespräch am Stammtisch eingefunden hat. Ein kantonales politisches Amt hat der 70-Jährige nie bekleidet. Er sass acht Jahre im Schulrat und war bis 2022 im Gemeinderat. Als langjähriger Primarlehrer – unter anderem von Pirmin Bissig und Patrick Zurfluh – sowie als ehemaliger Leiter des kantonalen Amtes für Kultur und Sport kennt er den Kanton und die Urnerinnen und Urner wie kaum ein anderer.

In einem Punkt sind sich die drei Isenthaler einig. Sie hoffen, dass das Stimmvolk die Initiative «Isleten für alle» ablehnt. Es wäre das Ende all ihrer Träume. Wenn die Initiative durchkomme, breche man den Prozess für die Neugestaltung der Isleten zu früh ab.

«Mit einem Ja zur Initiative schade ich der Gemeinde, dem Kanton und vor allem den Steuerzahlern», sagt Bissig überzeugt. Er ist deshalb Mitglied des vor kurzem gegründeten Komitees «Nein zur Isleten-Verbotsinitiative». Isenthal und Seedorf wehren sich auch dagegen, dass sie die Arealentwicklung im Gebiet Isleten künftig nicht mehr eigenverantwortlich gestalten könnten.

Doch von Euphorie ist in Isenthal nichts zu spüren. Zum einen sind die Bergler dafür einfach zu nüchtern. Zum anderen würde sich die direkte Wirkung des 228 Millionen Franken teuren Projekts in Grenzen halten. Eine Potenzialstudie schätzt, dass das Bruttoeinkommen der Gemeinde Isenthal mit dem Resort um 100 000 Franken steigen würde. Das ist für die arme Berggemeinde nicht wenig. Es entspricht einem Wachstum von 1 Prozent. Der Hauptgewinner wäre die Gemeinde Seedorf, die von den Grundstückgewinnsteuern und Kurtaxen profitieren würde. Auf ihrem Gebiet liegt der Grossteil des Grundstücks, das von Sawiris gekauft wurde.

Der Isenthalerbach hat das Isleten-Delta aufgeschoben und somit die Pläne von Samih Sawiris erst ermöglicht.

Der Isenthalerbach hat das Isleten-Delta aufgeschoben und somit die Pläne von Samih Sawiris erst ermöglicht.

Karin Hofer / NZZ

Entsprechend bescheiden sind die Erwartungen in Isenthal. Der Gemeindepräsident setzt darauf, dass die Gäste von Isleten aus das Isental mit dem öffentlichen Verkehr entdecken. «Das würde uns helfen, die nötigen Frequenzen zu erreichen, um den ab Anfang 2023 geltenden Stundentakt des Postautos beizubehalten.» Impulse erhofft sich Zurfluh auch für die Landwirtschaft. «Der Isenthaler Alpkäse ist weitherum bekannt. Ich kann mir vorstellen, dass er als regionales Produkt im Resort verkauft wird.» Dasselbe gelte für Fleischprodukte.

Angst vor dem langsamen Sterben

«Wenn wir das erreichen wollen, müssen Bürger und Behörden die Hände aus den Hosentaschen nehmen und touristische Angebote schaffen. Sawiris löst unsere Probleme nicht», betont Zurfluh. Uri sei zwar kein Tourismuskanton. In Andermatt habe sich aber gezeigt, dass mit den entsprechenden Impulsen auch die lokale Bevölkerung aktiv werde.

Patrick Zurfluh, Gemeindepräsident von Isenthal.

Patrick Zurfluh, Gemeindepräsident von Isenthal.

NZZ

Direkt würde Isenthal also nur wenig vom geplanten Resort profitieren. Doch der kurze Arbeitsweg und die Lehrstellen im Resort könnten für junge Leute ein Argument sein, sich in Isenthal niederzulassen, so hofft der Gemeindepräsident. Denn in den letzten zehn Jahren ist die Einwohnerzahl um 12 Prozent zurückgegangen. Die psychologisch wichtige Grenze von 500 Einwohnern scheint derzeit unerreichbar.

Es ist denn auch die Angst vor einer weiteren Abwanderung, die die Isenthaler am meisten beschäftigt. Josef Schuler warnt vor einer «Meientalisierung». Als junger Lehrer war er 1982 Mitbegründer eines Vereins, der versuchte, die Abwanderung aus diesem Seitental der Reuss bei Wassen zu stoppen. Der Erfolg war bescheiden. Heute ist das Tal zwar nicht völlig entvölkert, aber es gibt nur noch wenige grössere Landwirtschaftsbetriebe. «Damals gab es noch einen Dorfladen, eine Schule, einen Posthalter und eine Kirche. Zwanzig Jahre später war alles weg», sagt Schuler. Angesichts des stetigen Bevölkerungsrückgangs sei diese Entwicklung unvermeidlich gewesen, bedauert er.

In Isenthal verläuft die Entwicklung in eine ähnliche Richtung. Das Gewerbe orientiert sich in Richtung übriges Kantonsgebiet. Die verbleibenden Dienstleistungen wie der Dorfladen brauchten Umsatz, der aber immer schwieriger zu generieren sei. Ganz entscheidend sei die Entwicklung der Schule, betont Schuler. Derzeit gibt es in Isenthal noch rund vierzig Kinder. «Wenn es einmal weniger als zwanzig Kinder sind, kannst du die Schule aufgeben», sagt der ehemalige Lehrer.

Bereits geschlossen hat Ende 2023 das Restaurant Tourist. Schuler kämpft mit den beiden Käufern des Gebäudes dafür, dass dieser Ort als Treffpunkt und Drehscheibe erhalten bleibt. Zusammen mit Mitstreitern lancierte er deshalb das Projekt «Tourist Isenthal 2.0». In der ehemaligen Gaststube mitten im Dorf soll ein Co-Working- und Co-Living-Space entstehen. Die Urner Regierung hat das Gesuch um finanzielle Unterstützung im Rahmen der neuen Regionalpolitik gutgeheissen.

Schuler hat in den vergangenen Jahren auch viele andere Projekte angestossen, die Leben ins Dorf bringen sollen. Dazu gehören einige Themenwege, die Touristen und damit Geld ins Tal bringen. Er ist denn auch optimistischer als die anderen Gesprächspartner, was die indirekten Wirkungen des Sawiris-Projekts auf das Tal betrifft.

Dass mit Sawiris ein ausländischer, erfahrener Tourismusinvestor das Areal gekauft hat, erachtet er als positiv. Die Neidkultur, die in weiten Teilen des Kantons herrsche, kann er nicht verstehen. «Als arme Gemeinde leben wir von guten Beziehungen zu den Reichen. Diese haben wir systematisch aufgebaut.» Allein mit den Mitteln des Kantons wäre es zum Beispiel nicht möglich gewesen, eine Turnhalle zu bauen. Schuler weiss, wo er das Geld auftreiben kann. Langjährige Partnergemeinden des Urner Bergdorfes sind die als Steuerparadies geltende Stadt Zug und Hergiswil im Kanton Nidwalden.

Eine kurvenreiche Strasse verbindet die Isleten am Urnersee mit dem Bergdorf Isenthal.

Eine kurvenreiche Strasse verbindet die Isleten am Urnersee mit dem Bergdorf Isenthal.

Karin Hofer / NZZ

Die beiden Politiker sind deutlich zurückhaltender als ihr ehemaliger Lehrer. «Unsere Aufgabe ist es nicht, Propaganda für das Projekt zu machen. Als Behörde haben wir eine andere Rolle», sagt der Gemeindepräsident Zurfluh. Doch wer sonst als Sawiris soll das Areal entwickeln? Isenthal sicher nicht. «Selbst wenn wir das Geld hätten, würden wir das Land nicht kaufen», sagt Pirmin Bissig. Das Risiko sei viel zu hoch.

So gehört die Halbinsel Isleten zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler, der Hochwasserschutz ist enorm teuer, der Boden durch die Überreste der ehemaligen Sprengstofffabrik stark belastet, Steinschlag droht. «Zudem wäre es mir dort zu schattig», ergänzt Pirmin Bissig. Selbst wenn die Initiative vom Volk abgelehnt würde, wäre es noch ein weiter Weg.

«Gegner haben die Nase vorn»

Erster Stolperstein ist nun aber die Initiative «Isleten für alle». Momentan hätten die Initianten die Nase vorn, so Schuler. «Die Gegner von Sawiris aus dem rot-grünen Lager machen bis jetzt eine sehr gute Kampagne. Das sind absolute Profis», sagt er. Sie hätten die nationalen NGO ins Boot geholt und dominierten die Diskussion in den Medien. Die Befürworter des Projekts haben sich bisher kaum zu Wort gemeldet.

In Isenthal tut sich seit kurzem etwas in dieser Hinsicht. So hat der Vorstand des Vereins Isenthal Zukunft, dem auch Josef Schuler angehört, einen Leserbrief in der Lokalpresse veröffentlicht. Darin wehren sie sich «gegen die unbezahlbare Initiative und die Bevormundung der Gemeindeautonomie». Das Tal sehe das Projekt als Chance und befürworte private Initiativen.

Die drei Isenthaler sind sich aber einig, dass Sawiris allein ihre Probleme nicht lösen wird. Der Kampf gegen die Abwanderung gehe auf jeden Fall weiter, sagt der Gemeindepräsident Patrick Zurfluh. Vom Mittelmeer träumt man in Isenthal nicht. Hier weiss man, dass in der kargen Gegend nur etwas gedeiht, wenn man selber Hand angelegt.