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„Es gibt im Deutschrap so viele Pimmelbanden“

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„Es gibt im Deutschrap so viele Pimmelbanden“
Rapperin OG LU tritt gerne in sportlichen Outfits auf. Sie unterrichtet zudem Mädchen im Thaiboxen und studiert Sportwissenschaften. Janis Lueders © Janis Lueders

Die Frankfurter Rapperin OG LU ist im Gallus aufgewachsen. In ihren Songs geht es um ihre Liebe zum Kampfsport, Gentrifizierung, Feminismusbund Drogen. Angefangen hat alles mit einem Gedicht nach den rassitischen Anschlägen in Hanau.

Ich ecke nicht nur an, weil ich eine Frau bin, sondern wie ich eine Frau bin. Ich rappe in einer dunkleren Stimme und nicht über das, was Männer von einer Frau erwarten“, sagt die Frankfurter Rapperin OG LU. In ihren Songs hört man sofort raus, dass sie Hessin ist.

So lautet der Refrain ihres gefeierten Hits „Paar Ecken Hish“: „Du willst wissen, was ging, besser frag net. Wenn du weißt, wer es war, besser sag net“. Die Leute seien oft verwirrt, wenn sie sie sähen und OG LU dann rappen hörten. „Ganz nach dem Motto: Sie sieht aus wie Helene Fischer, aber redet wie Haftbefehl“, sagt sie und lacht. OG LU rappt über Kampfsport, Gentrifizierung, Feminismus, „Bullenhass“ und Drogen. In diesem Sommer ist sie bereits beim größten deutschen Hip-Hop-Festival Splash aufgetreten.

Als Ort fürs Interview hat sie das Café Wacker in Sachsenhausen ausgesucht. Die Rapperin trägt ihre langen blonden Haare offen. Sie ist herzlich, locker und entspannt. Passend zu ihrer Art möchte sie geduzt werden. Aufgewachsen ist OG LU im Gallus.

Nach dem Abi lebte sie ein Jahr lang in einem besetzten Haus in Italien. „Ich fand immer schon Protestkulturen interessant. Du kochst für die Nachbarschaft. Überhaupt Basisarbeit fand ich immer wichtig, also weil Politik so komplex ist und es so schwierig ist, was auf nationaler oder internationaler Ebene zu bewegen.“

Ihren echten Namen möchte sie nicht publik machen, um die Privatsphäre ihrer Familie zu schützen. Auch ihr Alter soll nicht öffentlich werden. OG LU trägt ein T-Shirt, auf dem „Main Gym“ steht. Im Preungesheimer Kampfsportstudio jobbt sie und trainiert unter anderem junge Frauen in Thaiboxen. An ihrer Kette hat sie einen Teufel- und einen Boxhandschuhanhänger.

In deinem Song „Gegend“ thematisiert du die Gentrifizierung im Gallus mit den Textzeilen: „Komm ich zeig’ dir meine Gegend, wo die meisten nicht mehr leben. Wo die Yuppies sich beschweren. Ich bin einsam in der Gegend, früher kannte ich hier jeden. Schau’ ich heute Nacht nach oben, seh’ ich Skyline, keine Sterne.“ Wie politisch bist du aufgewachsen?

Dass ich politisch geworden bin, ist mir in die Wiege gelegt worden. Meine Eltern haben sich auf einer Demo gegen Castortransporte kennengelernt. Es gibt Bilder von mir als Baby auf der Ersten-Mai-Demo, wo ich einen „Atomkraft, nein Danke“-Strampler trage. Ich bin im Arbeiterviertel Gallus aufgewachsen und habe die Entstehung des Europaviertels, also die komplette Gentrifizierung, miterlebt. Ich habe mitbekommen, wie die Spielplätze, auf denen ich als kleines Kind gespielt habe, plattgemacht wurden für Neubauten.

Du und deine ältere Schwester gehörten in der Grundschule zu den einzigen zehn deutschen Kindern. Wie wichtig war diese Erfahrung?

Sehr wichtig. Viele meiner Freunde sind Iraner:innen, deren Eltern aus politischen Gründen hierher flüchten mussten. Andere haben Familien, die wegen der Finanzkrise in Griechenland herkamen. Wir haben alle miteinander gespielt, egal woher die Eltern kamen und wie viel Geld sie hatten. Dadurch war es für mich immer schon unverständlich, woher dieser Hass, diese Angst vor Fremden kommt. Durch meine Freunde habe ich gesehen, was es bedeutet, durch rassistische Erfahrung traumatisiert zu werden.

2020 hast du ein Gedicht nach den rassistischen Anschlägen in Hanau auf Instagram veröffentlicht. Der Auslöser, dass du rappst, nicht?

Der Rapper „Die Zelle“ sagte mir: „Hast du nicht Lust, etwas zusammen zu schreiben?“ Und genau so hat es angefangen. Erst habe ich aus Spaß gerappt. Aber dann sagte er: „Lass uns einen Song zusammen veröffentlichen. Was soll dein Künstlername sein?“.

Wieso eigentlich OG LU?

Das war eine sehr spontane Entscheidung. Ich musste ihm noch am gleichen Abend Bescheid geben. OG fand ich witzig. Denn ich bin jetzt nicht so die Person, die man sich als Erstes unter einem Original Gangster, dafür steht ja OG, vorstellen würde. (lacht) Und Lu war immer schon mein Spitzname. Hätte ich gewusst, dass meine Musik so durchstarten würde, dann hätte ich mir vielleicht doch lieber noch länger Gedanken gemacht.

Du hast früh angefangen, Deutschrap zu hören. Hattest du da schon Träume, Rapperin zu werden?

Ich habe schon als Kind Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben. Ich hätte aber nie gedacht, dass ich anfangen würde, auf einen Beat etwas zu schreiben. Die Rapperinnen, die ich früher gefeiert habe, waren Schwesta Ewa oder Kitty Kat. Aber mit ihrem Leben konnte ich mich nicht identifizieren. Ich habe keine so krasse Geschichte wie Ewa erlebt. Ich bin keine Sexarbeiterin. Hätte ich also darüber schreiben wollen, was damals an Deutschrap angesagt war, dann wäre das komplett unauthentisch gewesen. Die Leute hätten mich ausgelacht.

Mittlerweile wirst du gefeiert. Erinnerst du dich an deinen ersten Auftritt?

Das war 2022 bei einem ganz kleinen Festival. Niemand kannte mich. Als ich meine acht Zeilen von „Fass ohne Boden“ gerappt habe, sind die Mädels im Publikum tausendmal mehr abgegangen als bei dem einstündigen Set meiner männlichen Kollegen. Das war der Moment, wo ich merkte, was für eine Wirkung es hat, wenn da plötzlich eine Frau auf der Bühne steht und die härtesten Texte von allen rappt. Kurz danach habe ich mich entschlossen, ich will einen Song nur für meine Mädels schreiben, und habe „Sonne Strand Sattler“ geschrieben. Aber dann hat es noch ein Jahr lang gedauert, bis ich meinen ersten Song veröffentlicht habe.

Warum so lange?

Ich hatte zu dem Zeitpunkt gerade mein Sportstudium begonnen und versucht, meine Eltern ein bisschen stolz zu machen. Zuvor hatte ich ein Jahr in einem besetzten Haus in Italien gelebt. Aber dann hat mich vor allen Dingen meine große Schwester dazu gedrängt, den Song zu veröffentlichen. Sie hatte den Titel immer anderen Leuten stolz vorgespielt.

Und dann gab es auch das erste Musikvideo …

Ich sagte meiner Mitbewohnerin: „Ey, lass uns ins Solarium gehen und mit den Mädels was trinken und dabei einfach mal die Kamera mal draufhalten.“ Später habe ich das alles geschnitten. Das war alles noch sehr unprofessionell …

Das erste Mal, dass du dein Gesicht öffentlich gezeigt hast …

Ja, und ich habe sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, obwohl ich damals erst 700 Follower auf Instagram hatte. Mein Song landete direkt auf der Spotify-Playlist der Backspin (Rap-Magazin).

Zur Person:

OG LU wurde in Frankfurt geboren. Sie wächst im Gallus auf. Seit ihrer Jugend feiert sie Deutsch-Rap. Besonders beeinflusst haben sie die Frankfurter Rapper Celo & Abdi, Hanybal, Azad, Haftbefehl und Schwesta Ewa. Schon als Kind beginnt ihre Fußballliebe. Sie kickt beim 1. FFC und obwohl ihr Vater St.Pauli-Fan ist, realisiert sie mit elf Jahren bei einem Spiel, dass sie Eintracht-Fan ist. „Ich habe erstmal angefangen zu weinen, weil mir da klar wurde, dass mein Papa und ich Fans von unterschiedlichen Vereinen sind und nicht mehr zusammen ins Stadion gehen können.“ vvw

Seit 2022 veröffentlicht sie Musik. Ihr erstes eigenes Album „TKO“ erschien im Mai 2024. Bereits ein Jahr vorher veröffentlichte sie gemeinsam mit zwei weiteren Frankfurter Rappern das Album „Gauners“. Diesen Sommer spielte OG LU erstmals auf mehreren´großen Festivals. Am 14. September ist die Rapperin auf dem Kölner Hype-Festival zu sehen. Weitere Infos auf ihrem Instagram-Profil: ogprincess

Besonders deine Singles sind sehr tanzbar. Wie würdest du deinen Style beschreiben?

Ich stehe noch am Anfang. Die Leute sind gerade live dabei, wie ich meinen Sound selbst finde. Es gibt Sachen, wo ich ein bisschen härter und auf die Fresse bin, und gleichzeitig habe ich auch sentimentale, nachdenkliche und sozialkritische Songs.

In deinen Texten ist auch deine Liebe zum Kampfsport Thema. Wie kam der in dein Leben?

Nach meinem Fachabitur bin ich nach Thailand gereist. Dort habe ich das Thaiboxen für mich entdeckt. Sieben Monate war ich da in einem Boxcamp. Ich denke tatsächlich, dass Kampfsport in einer gewissen Art und Weise mein Leben gerettet hat.

Inwiefern?

Ich war, bevor ich mit dem Sport angefangen habe, sehr depressiv und hatte sehr große Probleme mit mir und meinem Körper. Seitdem ich Kampfsport mache, gehe ich ganz anders durchs Leben. Ich trete viel selbstbewusster auf und habe das Gefühl, allein dadurch auch weniger in gefährliche Situationen zu kommen. Mir bedeutet es auch total viel, Mädels im Kampfsport zu unterrichten.

Ist das für dich gelebte Sisterhood?

Ja, auch. Sisterhood bedeutet für mich vor allem Solidarität unter Frauen – egal ob ich die Frau gut kenne oder nicht. Und auch im Deutschrap ist mir das wichtig. Ich habe ja dieses Format „Nice chicks mit high kicks“, zu dem ich nur andere weibliche MCs einlade. Es gibt im Deutschrap so viele Pimmelbanden, die sich alle immer nur untereinander unterstützen. Da ist dann maximal mal eine Frau dabei. Aber ich will alle Frauen oben sehen. Wenn die Männer keinen Platz an ihrem Tisch machen wollen, dann machen wir halt unseren eigenen Tisch auf. Und die Männer werden sich in zwei, drei Jahren darum kloppen, an unserem Tisch zu sitzen.

In dem Song „Namajunas“ rappst du, „Meine Eltern war’n naiv, als sie ein Kind planten, was am Ende dabei rauskam, ein Totalschaden“. Was genau meinst du damit?

Ich war schon immer eher aufmüpfig. Dazu habe ich ADHS – dementsprechend bin ich viel angeeckt und musste oft die Schule wechseln, war in der Psychiatrie. Ich habe immer wieder meine Grenzen ausgetestet. Ich hatte auch das ein oder andere Problem mit der Polizei. Meine Interessen waren Fußball, Kampfsport, aber auch so Vandalismussachen und auf Demos gehen. Meine Eltern hatten es teilweise echt nicht leicht mit mir. Die beiden sind echt süße Mäuse, die Konflikten eher aus dem Weg gehen und das gar nicht nachvollziehen konnten.

Du bewegst dich in einer linken Bubble. Gehst du noch zu Demos?

Ich habe schon als 15-Jährige selbst Polizeigewalt erfahren. Das hat mich traumatisiert. Deswegen gehe ich kaum noch auf Demos. Ich versuche aber, möglichst viele politische Diskussionen in meinem Alltag zu führen mit verschiedensten Leuten. Ich bin ja im Kampfsportbereich connected, der auch unterlaufen ist von vielen rechten oder traditionell konservativ denkenden Männern. Gerade da ist es wichtig, Stellung zu beziehen.

Auf Instagram machst du dich sehr für die Palästinenser:innen im Gazastreifen stark. Bei deinen Konzerten rufst du: „Free Palestine“. Einige Leute werfen dir Antisemitismus vor …

Ich würde niemals Israel das Existenzrecht absprechen, weil es für mich selbstverständlich ist, dass es einen staatlichen Schutzraum für Jüdinnen und Juden braucht nach dem Holocaust. Die Menschen im Gazastreifen sind schon vor dem Krieg im Nahen Osten unterdrückt worden. Mir geht es darum, dass alle Menschen gleich viel wert sind. Das Leid der Palästinenser:innen wird aber meist auch in den Medien heruntergespielt, im Gegensatz zu Kriegen, in denen weiße Menschen betroffen sind. Das ist für mich unverständlich und dementsprechend finde ich es wichtig, gerade jetzt, sich zu Palästina zu positionieren. Auch viele Jüdinnen und Juden protestierten gerade gegen die Regierung. Es ist wichtig, die jüdischen Menschen in Israel nicht mit ihrer Regierung gleichzusetzen. Meine Haltung hat nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern mit Menschlichkeit. Weil jeder Mensch, der seine Augen aufmacht und sich gerade informiert, einfach verurteilen muss, was der Staat Israel macht.

Zurück zu deiner Musik: Du rappst in dem Song „Taxi“: „Such’ die Auseinandersetzung, weil ich sonst nichts fühlen kann, fühl’ ich zu viel, dann therapier’ ich meinen Kopf mit Hasch“. Würdest du sagen, du setzt dich da kritisch mit deinem eigenen Konsum auseinander?

Am Anfang ging es mir nur darum zu erzählen, was ich erlebe. Irgendwann habe ich angefangen, das Ganze kritischer zu sehen. Mir ist bewusst, dass manche meiner Textstellen Drogenkonsum verherrlichen. Ich will nicht, dass Leute meine Texte als Anlass sehen, so was auch mal machen zu wollen oder zu denken, es sei cool, sich darüber zu definieren. Deswegen ist es mir wichtig, auch im Rap ein bisschen kritischer damit zu sein.

Wie stehen deine Eltern zu deiner Musik?

Meine Eltern haben das am Anfang gar nicht verstanden. Die beiden sind ja auch nicht auf Streamingplattformen unterwegs. Sie haben meine Songtexte gehört und gesagt: „Ich hab kein Wort von dem verstanden, was du gesagt hast.“ Ich denke, das ist vielleicht auch besser, dass sie nicht alles verstehen (lacht). Inzwischen kommen die beiden aber oft zu meinen Konzerten und sind echt stolz.

Hast du einen Plan B, wenn es in der Rapwelt nicht klappt?

Ich habe Plan A bis Z. Ich kann mir vorstellen, alles Mögliche in meinem Leben zu machen. Vor allem mit Liveauftritten verdiene ich Geld und die Streamingeinnahmen werden auch immer mehr. Aber Musik ist nicht mein Haupteinkommen. Das möchte ich gerade auch gar nicht. Ich glaube, wenn dein monatliches Einkommen von deiner Kunst abhängig ist, ist man nicht mehr so frei und kreativ.

Und wenn du jetzt richtig durchstarten würdest?

Ich würde auf jeden Fall versuchen, solange es geht, im Main-Gym zu arbeiten. Ich liebe die Leute da, die kennen mich schon so lange und unterstützen mich auch bei allem. Aber wenn ich dorthin komme, bin ich nicht OG LU. Dort ist Rap nur ein Teil von mir, neben so viel anderem. Es gibt mir total viel, dieses Umfeld zu haben. So verliere ich mich nicht selbst in dieser Rapwelt.

(Interview von Kathrin Rosendorff und Vivienne Wallner)