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Ehemaliger Elvetino-Chef Wolfgang Winter vor Gericht

Ehemaliger Elvetino-Chef Wolfgang Winter vor Gericht

Schmiergeld, Betrug, Insidergeschäfte: Wolfgang Winter soll den Bahncaterer Elvetino um Hunderttausende Franken gebracht haben.

Illustration Simon Tanner / NZZ

Ein Jahr, bevor er fristlos entlassen und des Betrugs verdächtigt wird, schreibt Wolfgang Winter einem Freund eine Whatsapp-Nachricht: «Unternehmer ist man, oder man ist es nicht», heisst es laut der Zürcher Staatsanwaltschaft darin. Die SBB – seine Arbeitgeberin – wolle er bald verlassen. «Aber erst noch etwas Kohle machen.»

Winter ist zu jener Zeit der CEO einer Schweizer Institution: der Elvetino – des SBB-Tochterunternehmens, das Zugrestaurants und damals auch noch Minibar-Wägelchen betreibt. Er trägt Brille, Glatze, breites Lachen. Nach aussen ist er der Prototyp des netten Bähnlers. Tatsächlich aber soll er den Staatsbetrieb – so der Vorwurf – mit windigen Geschäften um Hunderttausende Franken gebracht haben.

Schmiergelder, Insidergeschäfte, überteuerte Ramschware aus China: Der Fall, der dieser Tage vor dem Zürcher Bezirksgericht verhandelt wird, dreht sich um Geldgier, Liebe, ein Trüffel-Projekt. Und – nicht zum ersten Mal – um mögliche Korruption bei einem Staatsbetrieb.

Die «Wolf-Gang», wie eine Gruppe rund um den Ex-CEO intern genannt wurde, soll zu mehrjährigen Freiheitsstrafen und der Rückzahlung von insgesamt rund 600 000 Franken verurteilt werden, so verlangt es die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Die Beschuldigten selbst sehen sich dagegen als Opfer von Intrigen und falschen Anschuldigungen.

Sind sie gewiefte Kriminelle? Oder bloss Geschäftsleute alter Schule, die es mit Buchhaltung und Meldepflicht nicht so genau genommen haben?

Der Anfang

Es ist Dezember 2011, als Wolfgang Winter als CEO bei Elvetino anfängt. Winter eilt ein Ruf voraus: Ein hemdsärmliger Manager sei er, einer, der mit harter Hand führe und saniere, ein «Vollblutlogistiker». In einer Mitteilung halten die SBB bei seiner Einstellung fest, er verfüge über breite Führungserfahrung.

Winter übernimmt eine eidgenössische Institution. Alle kennen die Frauen und Männer in ihren Uniformen, die mit kleinen Minibars durch die Züge gehen und Sandwiches, kleine Chips-Packungen, Schokoriegel und Getränke an die Passagiere verkaufen.

Als der CEO beginnt, beschäftigt das Tochterunternehmen der SBB über 900 Mitarbeiter, budgetiert mit einem Umsatz von 80 Millionen Franken, betreibt über hundert Speisewagen, Dutzende Bistros, ein Dutzend Take-aways und über 200 Minibars in den Zügen.

Winter wird Letztere später abschaffen, was ihm eine Klage der Gewerkschaften und eine Welle von Negativschlagzeilen beschert.

Verglichen mit dem, was er zur gleichen Zeit im Verborgenen abgezogen haben soll, ist das allerdings kaum der Rede wert.

Die Anklage der Zürcher Staatsanwaltschaft schildert eine regelrechte kriminelle Karriere. Winter und seine Freunde sollen die SBB-Tochterfirma wie einen Selbstbedienungsladen benutzt haben. Weil alles gutgeht, machen die Männer immer weiter, jahrelang. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag im August 2017, als alles ans Licht kommt.

Winter selbst sagt vor Gericht: nichts. Er habe sich den letzten Jahren genug zu all den Vorwürfen geäussert. Das Reden sollen seine Anwälte übernehmen. Sie werden eine ganze andere Version der Geschichte erzählen. Die eines Unternehmers, der vollkommen legal und nur zum Vorteil von Elvetino arbeitete.

Ein Seemann wird zum IT-Consultant

Der Fall beginnt im Januar 2012, mit einem lukrativen Beratermandat für einen alten Bekannten. Ramon Althoff (Name geändert) war einst Winters Vorgänger als Logistikchef eines Stahlunternehmens. Die beiden kennen sich seit den 1980ern. Althoff – ehemaliger Seemann mit KV-Abschluss und unterdessen Rentner – soll die Elvetino in komplexen IT-Fragen beraten.

«Etwas seltsam, wenn man bedenkt, dass er regelmässig Mühe hat, sein eigenes Mobiltelefon – ein altes Nokia-Modell – zu bedienen», wird der Staatsanwalt vor Gericht bemerken.

Anfangs soll Althoff für sein Honorar tatsächlich gearbeitet haben. Er verfasst einen Bericht zur Logistik bei der Elvetino. Und er erstellt eine 100-Tage-Bilanz für Winter.

Sein Tagessatz: 2500 Franken. Das vereinbare Kostendach für den Auftrag wird laut Anklage um das doppelte überschritten.

Dann überwirft sich Althoff mit dem Projektmanager, den er bei einem wichtigen IT-Projekt unterstützen sollte. Einen «Korinthenkacker» soll er ihn genannt haben; die Zusammenarbeit soll ein jähes Ende genommen haben. Die Honorare seien aber weiter geflossen, wirft die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten vor.

Innert fünf Jahren wird Althoff fast eine Million Franken als Honorar erhalten. Wofür, ist umstritten: Er sei kaum im Büro gewesen und bei Sitzungen eingeschlafen, sagt der Staatsanwalt. Er habe bei der Qualitätssicherung eine entscheidende Rolle gespielt und hochwertige Berichte abgeliefert, sagt dagegen Winters Verteidigerin.

Klar ist, was mit einem Teil des Geldes passiert: Es fliesst zurück zu Winter. Althoff, der IT-Consultant, hat die Rückzahlungen an seinen Freund und Auftraggeber fein säuberlich in einer Excel-Datei notiert, das die Zürcher Behörden später bei einer Hausdurchsuchung finden werden.

Meist wird das Geld laut der Tabelle bar übergeben, teilweise aber auch via Überweisung auf Winters Privatkonto. Betreff: «Kartoffelernte». Und später: «Mangoernte».

Für die Staatsanwaltschaft sind diese Zahlungen sogenannte Kick-backs, also Gegenleistungen für die viel zu gut bezahlten Aufträge. Oder, in einem Wort: «Schmiergeld». Die Verteidigung bezeichnet sie dagegen als spontan vereinbarten «Freundschaftsdienst aus reiner Dankbarkeit». Das Geld habe der «Mitarbeitermotivation» bei der Elvetino gedient.

«Warum hat keiner ihrer Mitarbeiter je von diesem Motivationsprogramm gehört?», fragt der Richter ihn während der Verhandlung. Winters Antwort: «Keine Aussage.»

Die Liebe und das Trüffel-Projekt

Wo genau Wolfgang Winter Zihan Wang (Name geändert) kennenlernte, ist nicht überliefert. Klar ist bloss, dass Wang als reguläre Elvetino-Barista an einem Schweizer Bahnhof arbeitet, bevor die beiden ein Paar werden. Und danach plötzlich zur Kadermitarbeiterin befördert wird.

Dort fällt sie bald auf. «Wie ein chinesisches Straflager» soll sie ihre Abteilung geführt haben, zitiert der Staatsanwalt aus einer Zeugenaussage. Sie sei gemobbt worden, sagt Winters Verteidigerin. Als sie Elvetino verlässt, erhält sie einen «goldenen Fallschirm» von 24 000 Franken.

Danach soll sie unter Winters Anleitung die wohl ambitionierteste – und gleichzeitig skurrilste – Betrugsmasche seiner Elvetino-Zeit mitentwickelt haben. Dazu holt Winter einen anderen alten Freund an Bord.

Die drei gründen laut Anklage Strohfirmen und beginnen einen lukrativen Handel mit der Elvetino: Sie kaufen in China billige Ware ein, verkaufen sie zu hohen Margen an die SBB-Tochter weiter – und streichen die Differenz ein.

Für 12 500 Glasuntersätze aus Acryl im Wert von 25 000 Dollar bezahlt die Elvetino fast 110 000 Franken. Plastikteller, Kaffeebecher und Brotkörbe im Wert von 43 000 Dollar kauft sie für 180 000 Franken.

Der Staatsbetrieb kauft beim eigenen Chef und bei seinen Partnern ein. Wolfgang Winter, der nette Bähnler, segnet jene Transaktionen ab, an denen er selbst mitverdient.

Für die Staatsanwaltschaft ist das ein Insidergeschäft. Unterbietet ein Konkurrent das Angebot seiner Geschäftspartner, soll Winter sie informiert haben. «Ciao Wolfgang», kommt es dann per E-Mail zurück. «Werde morgen eine neue Offerte sowie das Schreiben anpassen und Dir dann den Entwurf senden.»

Von Winters Beteiligung an den Geschäften habe bei Elvetino niemand gewusst, sagt der Staatsanwalt. Der interne Beschaffungsprozess sei derart chaotisch gewesen, dass Winter «faktisch freie Hand» hatte. Controlling? Inexistent. Öffentliche Ausschreibungen? Fehlanzeige. Die «Wolf-Gang» – die Clique um den Chef – habe in der Elvetino das Sagen gehabt.

Für die Verteidigung ist das alles normale Geschäftstätigkeit. Elvetino sei bekannt gewesen, dass ein Freund von Winter am Geschäft beteiligt gewesen sei. Das Unternehmen habe keinerlei Know-how für Bestellungen in China gehabt, Elvetino habe von den konkurrenzlosen Beschaffungspreisen sogar profitiert. «Alles lief transparent», sagt Winters Anwältin. Ihr Klient habe zudem nie allein über Einkäufe entschieden.

Immerhin so viel scheint klar: Was da gekauft wird, sei «Ramschware», wie es der Richter ausdrückt. Die Suppenteller sind zu gross. Kaffeebecher und Salatzangen beanstandet ein Labor als «nicht lebensmitteltauglich»; alles muss entsorgt werden. Die bestellten Menuhalter aus Acrylglas haben derart scharfe Kanten, dass sie laut den SBB ein Sicherheitsrisiko darstellen.

Den Gewinn aus dem Geschäft – fast eine Viertelmillion Franken – versuchen Winter und Co. laut Anklage gewinnbringend zu investieren. So steigen sie etwa in den Handel mit ungarischen Trüffeln ein – via Beteiligung an einer Firma namens «Truffleminers».

Wie heikel ihre Geschäfte mit Elvetino sind, scheint dabei auch den Beteiligten klar zu sein. Winters alter Freund formuliert es in einer Nachricht an ihn so: «Du solltest in diesem Deal keine Rückschlüsse auf Freunde oder Bekannte aufkommen lassen, sonst hast du früher oder später ein Problem.»

Er wird recht behalten.

Die verhängnisvolle Reise

Zum Verhängnis werden Winter und seinen Geschäftspartnern jedoch weder Trüffel-Investments noch Acryl-Untersetzer. Sondern eine Reise nach China.

Ende Juli 2017 fliegt Winter mit seiner Partnerin und deren Sohn nach Hongkong, in der Businessclass. Sie besuchen ihre Eltern und Freunde der Familie. Daneben nutzt der Elvetino-CEO den Aufenthalt, um Lieferanten seiner Importfirma zu besuchen. Nach der Rückkehr stellt er dafür Spesen in Rechnung, und zwar laut Anklage doppelt: bei seiner eigenen Firma und bei Elvetino. Ein Umstand, den die Verteidigung bestreitet.

Ein Geschäftsleitungsmitglied von Elvetino schöpft Verdacht und leitet eine interne Untersuchung ein. Diese wird nach und nach alle anderen Ungereimtheiten zutage fördern.

Eine Woche nach Winters Rückkehr aus den Ferien kommt es zum Knall: Am Elvetino-Geschäftssitz in Zürich teilt Jeannine Pilloud, damals Chefin des SBB-Personenverkehrs, dem CEO seine sofortige Freistellung mit. In einer Medienmitteilung begründen die SBB die Trennung in scharfem Ton: Das Unternehmen spricht von massiven Vorwürfen, einem Compliance-Fall.

Die SBB zeigen Winter an. Neben zweifelhaften Beratermandaten, Schmiergeldzahlungen und Insidergeschäften soll er sich auch mehrfach selbst eine Lohnerhöhung gewährt haben. Die Staatsanwaltschaft eröffnet eine Strafuntersuchung.

Der CEO, eben noch im chinesischen Luxushotel, kommt für dreissig Tage in Untersuchungshaft. «Das», sagt er vor Gericht, «war die schlimmste Zeit meines Lebens.»

Ein mittelloser Rentner?

Heute, sieben Jahre später, steht Winter, der ehemals schneidige CEO, als mittelloser Rentner vor Gericht. In kariertem Hemd, mit Strohhütchen und Turnschuhen setzt er sich auf die Anklagebank.

Bei jedem Vorwurf des Staatsanwalts schüttelt er den Kopf, energisch. Sonst sagt er zu den Vorwürfen nichts. Nur zu seinen Schulden und seinem bescheidenen Lebenswandel gibt er Auskunft. Und zur Trennung von seiner Partnerin Zihan Wang, die Knall auf Fall nach China zurückgekehrt sei.

Wenn es um den Fall geht, spricht seine Verteidigerin für ihn. Sie klagt über «haltlose und frei erfundene Behauptungen der Staatsanwaltschaft». Sich selbst bereichern? Habe Winter nie gewollt. Die Beratungsmandate an Ramon Althoff? Rein geschäftlich begründet. Und die überteuerten Güter aus China? Hätte es nicht günstiger gegeben.

«Mein Mandant ist und war ein Unternehmer, der stets nur das beste wollte für Elvetino», sagt sie und fordert einen Freispruch.

Und was ist mit all dem Geld passiert, das Winter und seine Freunde von der Elvetino erhalten haben? Und seinem CEO-Lohn von 240 000 bis 300 000 Franken pro Jahr? Er selbst habe nichts mehr, lebe «knapp am Existenzminimum», versichert Winter ganz zu Beginn der Verhandlung.

Darauf sagt der vorsitzende Richter: «Wenn Sie so wenig Geld haben, wie können Sie sich dann zwei Anwälte leisten? Man fragt sich schon, ob nicht noch anderes Geld da ist. . .»

Winters Antwort: «Dazu möchte ich nichts sagen.»

Die Spitze des Eisbergs?

Eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten fordert der Staatsanwalt für Wolfgang Winter – und zwar unbedingt. Für Ramon Althoff, – den Seemann, der zum IT-Berater wurde – verlangt er eine bedingte Strafe von 24 Monaten. Ein dritter Beschuldigter – der alte Freund, der am China-Deal beteiligt war – soll 18 Monate bedingt erhalten.

Ungetreue Geschäftsbesorgung, Veruntreuung, Betrug, Urkundenfälschung, Bestechung, Geldwäsche: Die Liste der Delikte, die den dreien vorgeworfen werden, ist lang. So lang, dass die Verhandlung am Donnerstag fortgeführt werden muss.

Und doch sei das Ganze nur die Spitze des Eisbergs, sagte der Staatsanwalt. Etliche weitere dubiose Geschäfte und Beratungsmandate habe er aus Effizienzgründen nicht untersuchen können.

Immerhin einem weiteren mutmasslichen Betrug kam er auf die Schliche: Ramon Althoff bezog, während er mit seinen Mandaten Hunderttausende Franken verdiente, zusätzlich Ergänzungsleistungen für bedürftige Rentner. Jahrelang – total 110 000 Franken.

Dazu befragt, sagte er: «Ich habe einfach immer weitergemacht. Nach dem Motto: Never change a winning team.»