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Mithu Sanyal: «Was wir nicht wissen, können wir nicht erkennen»

Mithu Sanyal: «Was wir nicht wissen, können wir nicht erkennen»

Nr. 41 –

Nachdem sie in ihrem Romandebüt «Identitti» die Konzepte der Identitätspolitik auf den Kopf stellte, knöpft sich Mithu Sanyal in «Antichristie» das Britische Empire vor. Die Autorin und Kulturwissenschaftlerin über kulturelle Aneignung, verengte Debatten und gewaltfreien Widerstand.

Portraitfoto von Mithu Sanyal

«Ich muss zu meiner Schande gestehen: Gandhi war für mich früher tatsächlich so etwas wie eine Heiligenfigur»: Mithu Sanyal.
Foto: Carolin Windel

WOZ: Mithu Sanyal, Ihr neuer Roman «Antichristie» spielt auf zwei Zeitebenen: Die Kölner Drehbuchautorin Durga arbeitet im heutigen London an einer antirassistischen Agatha-Christie-Verfilmung. Gleichzeitig reist sie ins Jahr 1906, wo sie im «India House» landet. Wieso schicken Sie uns auf diese Zeitreise?

Mithu Sanyal: Die Idee hatte ich, nachdem ich vor ein paar Jahren zufällig aufs India House gestossen war. Das war vordergründig eine Wohngemeinschaft für indische Studenten in London, wo damals aber tatsächlich Revolutionäre ein und aus gingen, Waffen schmuggelten und Bomben bauten. Indische Geschichte, die sich mitten in Europa abspielte, von der ich nichts gewusst hatte. Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, dass wir Inder:innen den richtigen, den guten Widerstand geleistet haben, mit Gandhi, Gewaltfreiheit und so weiter. Doch ohne den bewaffneten Widerstand wäre Indien noch immer eine Kolonie oder zumindest noch viel länger eine geblieben. Also wollte ich im Buch eine Person von heute mit den Akteur:innen von damals diskutieren lassen und nach unterschiedlichen Beweggründen für den bewaffneten Freiheitskampf fragen.

Danach fragt die Hauptfigur Durga etwa den indischen Politiker Vinayak Damodar Savarkar, der heute von der Modi-Regierung als hindunationalistische Ikone gefeiert wird.

Durga weiss: Savarkar ist bereits Geschichte, sie wird ihn nicht mehr ändern können. Sie versucht, damit klarzukommen, dass sie seine politischen Ansichten mehrheitlich ablehnt, und ist erschrocken, als sie merkt, dass sie in einigen Punkten doch mit ihm übereinstimmt. So dachte Savarkar über das Kastensystem etwa viel progressiver als viele indische Politiker:innen heute. Und er war ein Verfechter von interreligiösen Ehen. Wogegen Gandhi, als sein Sohn eine Muslimin heiraten wollte, die Ehe verhinderte. Das ändert nichts daran, dass Savarkars Schriften über Hindunationalismus, ­allen voran sein Buch «Hindutva. Who Is a Hindu?», bis heute Leid und Diskriminierung rechtfertigen. Aber sogar Menschen wie Savarkar sind mehr als nur eine Hauptthese.

Die Autorin

Mithu Sanyal (53) ist Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin. Bekannt wurde sie durch ihren mehrfach ausgezeichneten Debütroman «Identitti» (2021). Anhand einer Professorin, die ihre weisse Herkunft verfälscht, stellte sie darin gängige Vorstellungen von Identität auf den Prüfstand. Sanyal schreibt auch Hörspiele und Sachbücher, etwa «Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts» (2009).

In ihrem neuen Roman, «Antichristie», geht die deutsche Autorin den Verbindungen zwischen Popkultur, Rassismus und Postkolonialismus nach: Gerade hat die internationale Drehbuchautorin Durga an der Bestattung ihrer Mutter in einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt noch einen Mundvoll Asche eingeatmet, da macht sie sich bereits auf den Weg nach London, um an der antirassistischen Verfilmung eines Agatha-Christie-Krimis mitzuwirken. Atemlos geht es für die Protagonistin nach der Ankunft in der Metropole weiter: Nicht nur ist im Königreich gerade die Queen gestorben, Durga reist auch 114 Jahre in die Vergangenheit und findet sich im Körper des jungen Inders Sanjeev wieder – mitten im bewaffneten Widerstand gegen das Britische Empire.

Gründlich, scharfsinnig und gewitzt dröselt Sanyal all diese Verbindungen auf. Einzig das anfänglich rasante Tempo vermag die Autorin über die 500 Seiten hinweg nicht aufrechtzuerhalten.

Mithu Sanyal: «Antichristie». Roman. Hanser Verlag. München 2024. 544 Seiten. 38 Franken.

Buchcover von «Antichristie»


Eine Hauptthese?

Neulich sass ich mit einer Abtreibungsgegnerin in der ZDF-Sendung «Auf der Coach» und wurde gefragt, was ich von ihrer These halte, dass jede Abtreibung Mord sei. Der Sender erwartete von uns ein Streitgespräch. Interessanterweise waren wir uns dann aber in ganz vielen Punkten einig, etwa darin, dass es zu wenige Hebammen und Kreisssäle gibt. Das war für mich ein Augenöffner. Bei Menschen, mit denen man einen grossen Dissens hat, kann es Punkte geben, bei denen man politisch trotzdem übereinstimmt. Wenn Romane eine solche Figur beschreiben, verhalten sie sich wie trojanische Pferde: Man gelangt in den Kopf von Figuren, die man nicht sympathisch findet.

Wenn Sie über eine andere Zeit schreiben, wie nah kommen Ihre Figuren da den historischen Fakten?

Für «Antichristie» habe ich wahnsinnig viel recherchiert. Die Bewohner des India House wurden durchgehend von Scotland Yard überwacht, und das ist alles archiviert. Ausserdem führte ich unzählige Recherchegespräche. Mit Forscher:innen an indischen Universitäten etwa sprach ich über Savarkar und die Ambivalenzen, die ich ihm gegenüber empfand. Ich wollte ihn nicht einfach zu einem Bösewicht machen, solche Kategorien sind langweilig. Er sollte eine mehrdimensionale Figur sein. Viele Dialoge beinhalten Aussagen von ihm oder Gandhi, die sie genau so gemacht haben. Irgendwann hatte ich aber auch eine Vorstellung von den Figuren, liess ihre historischen Vorbilder los und folgte ihrer eigenen Logik.

Als Durga Mahatma Gandhi kennenlernt, ist sie – gelinde gesagt – nicht begeistert. Sie nennt ihn «creepy». Wie hat sich Ihre Sicht auf Gandhi im Lauf der Recherche verändert?

Ich muss zu meiner Schande gestehen: Gandhi war für mich früher tatsächlich so etwas wie eine Heiligenfigur. Natürlich ist «Antichristie» kein autofiktionaler Roman, ich bin nie durch die Zeit gereist. Aber die grösste Ähnlichkeit zwischen mir und der Hauptfigur ist tatsächlich, dass ich mich in meiner Politisierung immer an Gandhi festgehalten habe: Es gibt gewaltfreien Widerstand, und er kann effektiv sein.

Weshalb war das für Sie so wichtig?

Diese Einstellung hat mir in jungen Jahren geholfen, gegen eine Linke in Deutschland zu argumentieren, die bewaffneten Widerstand romantisierte. Und es beschäftigt mich in einer Gegenwart, in der eine breite Masse wieder nach Krieg verlangt. Während der Recherche hat mich die Frage umgetrieben, was denn gewaltfreier Widerstand für Gandhi genau bedeutete. Ich war dann gar nicht glücklich darüber, festzustellen, wie er ihn verstand. Gandhi sagte: «Es muss Gewalt geben, aber sie muss sich gegen uns richten.» Ich hätte aber nicht gewollt, dass mein Kind von der Kolonialverwaltung niedergeknüppelt wird.

Ihre Sicht auf Gandhi wurde entmystifiziert?

Ja. Aber was Gandhi trotzdem besonders macht: Er war in der Lage, die anderen anders sein zu lassen und sie nicht gleichmachen zu wollen. Letzteres hingegen hatte Savarkar tief verinnerlicht. Savarkar hasste Muslim:innen nicht, eigentlich bewunderte er sie. Aber er wollte sie zu Hindus machen, indem er sie konvertierte. Darin liegt viel Brutalität.

Durch die Zeitreise ändern sich das Alter und das Geschlecht der Protagonistin. Als Durga an sich einen Penis entdeckt, beginnt sie fast schon exzessiv zu masturbieren. Sie haben auch ein Sachbuch über die Vulva geschrieben. Hat es Ihnen Spass gemacht, Durga in den Körper eines Mannes zu stecken?

Das ist tatsächlich die allererste Szene, die ich geschrieben habe. Es war nicht eine bewusste Entscheidung von mir, dass sie/er onaniert. Es war eher dieses «Na klar, wenn du plötzlich einen Penis hast, willst du ihn anfassen». Und dann wird der natürlich darauf reagieren. Angst und Sexualität sind an bestimmten Punkten nah beieinander; in grosser Angst ist ein Orgasmus entlastend. Und eine Zeitreise ist schliesslich eine riesige Herausforderung.

Das ist sie zuweilen auch für die Leser:innen. Politische Begrifflichkeiten ändern sich über die Zeit. Einmal bezeichnet sich ein englischer, anarchistischer Drucker als «Bürger von Bharat», einer der vielen Namen für Indien.

Heute würde man eine solche Aussage von einem Weissen als schwierig einstufen. Aber der Drucker hat für seine Solidarität mit hohen Kosten bezahlt; er wurde von der britischen Regierung mehrfach ins Gefängnis gesteckt. Heute würde man seine Aussage wohl als kulturelle Aneignung bezeichnen, damals war sein Bekenntnis aber ein Ausdruck von kultureller Anerkennung. Der Begriff «cultural appropriation» sollte ursprünglich auf gesellschaftliche Strukturen aufmerksam machen – wir verwenden ihn heute aber für das Verhalten einzelner Menschen. Das finde ich fatal.

Wieso?

Tatsächlich ist jede Kultur eine Form von Aneignung. Ich habe die Kultur des Romans auch nicht erfunden. Und wenn ich nur über mich und meins schreibe, ist das langweilig. Sich Dinge anzueignen, ist zutiefst menschlich. Wir besitzen Spiegelneuronen und können uns in andere hineinversetzen. Ein Teil von kultureller Aneignung ist auch Liebe, sich zu etwas hingezogen zu fühlen. Trotzdem gibt es aber ungleiche Machtverhältnisse. In meinem Roman reisen die Bewohner des India House 1907 zum Sozialistenkongress nach Stuttgart, aber da dürfen nur weisse, westliche Vertreter:innen über die Situation in den Kolonien sprechen. Das galt damals als normal. Sogar in der Linken. Gegen diese Art von kultureller Aneignung sollte sich unsere Kritik richten.

Schon mit dem Romantitel «Antichristie» spielen Sie auf die britische Krimiautorin Agatha Christie an. Welches Verhältnis haben Sie zu ihr?

Ich liebe sie sehr. Und ich wollte mich an etwas Popkulturellem abarbeiten, wofür ich viel Liebe empfinde. Aber es ist keine ungetrübte Liebe, weil ich auch einiges an Agatha Christie schwierig finde.

Was dachten Sie, als Sie ihre Krimis das erste Mal lasen?

Mir ist natürlich schon aufgefallen, dass die ganzen Colonels in Indien gedient hatten. Und ich habe auch darüber nachgedacht, woher all diese Figuren ihr Geld haben. Beim Wiederlesen – mein Mann hat mir ihre Romane in chronologischer Reihenfolge nochmals vorgelesen – fand ich es spannend, wie sich über die sechs Jahrzehnte, in denen die Krimis geschrieben worden waren, die rassistischen Stereotype verändert haben. Bei Sherlock Holmes dagegen hatte ich ein echtes Aha-Erlebnis. Ich hatte vorher nie bemerkt, dass sich «Das Zeichen der Vier» um den indischen Unabhängigkeitskrieg dreht. Was echt schwierig zu überlesen ist. Aber wir kennen die offizielle britische Geschichtsschreibung, und dort ging es halt «nur» um einen Aufstand von fanatischen Natives, der kaum mit Politik in Verbindung gebracht wurde. Was wir nicht wissen, können wir nicht erkennen.

Einige fordern, dass Klassiker antirassistisch umgeschrieben werden sollen. Aber sollten wir nicht eher neue, diversere Stoffe produzieren?

Ja zu beidem. Ich bin keine Freundin von Umschreiben, aber viele Bücher bräuchten ein kritisches Vorwort oder eine andere Form von Kontextualisierung. Vor allem aber sollten wir uns dringend die Frage stellen, warum wir so viel weniger Geschichten aus anderen Teilen der Welt lesen. Fünfzig Prozent der Bücher auf dem deutschen Buchmarkt sind Übersetzungen, etwa achtzig Prozent davon aus dem Englischen. In England sind nur fünf Prozent der Bücher aus Fremdsprachen übersetzt. Da ist eine Schieflage.

Schlagwort «Cancel Culture»: Mögen Sie die Auseinandersetzungen darum überhaupt noch verfolgen?

Ich finde, in Deutschland stellt sich momentan weniger die Frage, ob sogenannte woke Menschen canceln. Eher ist es so, dass ich mir Sorgen um die basale Meinungsfreiheit mache.

Woran denken Sie?

Nehmen wir das Gendern, das in verschiedenen Bundesländern verboten wird, ausgerechnet von jenen, die zuerst sagten: «Wir lassen uns nichts vorschreiben.» Oder die Brutalität, mit der gegen die Pro-Palästina-Demonstrationen an den Universitäten vorgegangen wurde. Und als sich dann Lehrende in einem offenen Brief, den ich mitunterzeichnete, dafür aussprachen, doch erst einmal mit den Demonstrierenden zu reden, bevor die Polizei gerufen wird, wurde im Bildungsministerium unter Bettina Stark-Watzinger geprüft, inwieweit die Unterzeichner:innen mit Fördergeldkürzungen bestraft werden könnten. Im Brief stand nicht einmal, dass wir den Protest gut finden. Es reicht, dass wir forderten, dass anders mit den Protestierenden umgegangen wird. Das finde ich irre. Wir brauchen im Moment mehr Räume, in denen wir einander zuhören, und nicht weniger.

Gegenüber der «Zeit» sagten Sie, den Postcolonial Studies werde seit dem 7. Oktober eine Sündenbockfunktion zugesprochen. Wie ging es Ihnen nach diesem Interview?

Ich habe drei Nächte nicht geschlafen. Ich befürchtete, ich werde nie wieder etwas publizieren können. Noch vor nicht langer Zeit wäre das Interview total «Middle of the Road» gewesen. Jetzt haben mir ganz viele Leute gesagt, ich sei mutig. De facto fielen dann aber die meisten Reaktionen positiv aus. Postcolonial Studies werden ja nicht erst seit dem 7. Oktober als antisemitisch abgetan. Häufig von Leuten, die vorher entrüstet protestiert haben, wenn sogenannte Woke Hegel oder Kant als rassistisch bezeichneten.

Die Diskussion darüber, ob der Postkolonialismus antisemitisch sei, hat tatsächlich eine eigenartige Wendung genommen.

In meinen Augen sind diese Vorwürfe total unspezifisch. Es gibt nicht «die» Postcolonial Studies, das ist ein ganzer Wissenschaftszweig. Häufig arbeitet dieser sogar eng mit der Antisemitismusforschung zusammen. Ich finde zum Beispiel die Arbeit des Holocaustforschers Michael Rothberg zu multidirektionalem Erinnern total wichtig. Wir nehmen keiner Opfergruppe etwas weg, wenn wir auch andere Opfer anerkennen. Ganz im Gegenteil kann es Empathie auch über politische Grenzlinien verstärken. Aus der Friedensforschung wissen wir, dass Versöhnung nur möglich ist, wenn alle Seiten den Schmerz der anderen ebenfalls anerkennen.

Auf Social Media reposten Sie regelmässig Beiträge zur Situation der Palästinenser:innen in Gaza.

Wenn ich Beiträge anderer verbreite, bedeutet das nicht, dass ich jedes Wort darin richtig finde. Aber ich tue es, weil es mich erschüttert, wie einseitig die deutschen Medien über diesen Krieg berichten und wie wenig sie die Perspektive der Palästinenser:innen mitbedenken. Ich will kein Israelbashing betreiben, aber ich möchte einen Teil dazu beitragen, das, was in den deutschen Medien fehlt, minimal auszugleichen.

Sie sagten einmal, einen Shitstorm könne man gut überleben. Denken Sie das wirklich?

Da bin ich falsch zitiert worden. Natürlich gibt es Leute, die haben Shitstorms tatsächlich nicht überlebt, wie zum Beispiel der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke, der 2019 von einem Rechtsextremen erschossen wurde, nachdem im Netz immer wieder Hass gegen ihn geschürt worden war. Aber als Faustregel gilt, dass in unserer aufmerksamkeitshungrigen Gesellschaft auf lange Sicht auch negative Aufmerksamkeit hilfreich ist. Gerade die berühmten Fälle von Menschen, die wegen Shitstorms gecancelt wurden, endeten häufig damit, dass die danach einen besseren Job bekommen haben. Weil ein Shitstorm eben extrem viel Aufmerksamkeit bedeutet. Im Moment findet Canceln jedoch nicht mehr durch den Mob im Netz statt, sondern wird sozusagen institutionalisiert. In Deutschland läuft gerade die sogenannte Fördergeldaffäre; das Bildungsministerium hat geprüft, ob man Fördergelder für Wissenschaftler:innen an eine vorherige Gewissensprüfung knüpfen könne. Was vorher bedenklich war, ist inzwischen richtig besorgniserregend.

Zurück zum neuen Roman. Dieser ist trotz ernster Themen auch sehr lustig. Hilft Humor, Differenzen zu überwinden?

Ich habe nach einer Sprache gesucht, die auch Schlimmes benennen kann, ohne den Schmerz zu reproduzieren. Ich will nicht, dass die Sprache pathetisch wird oder gar larmoyant. Der Roman soll ja auch unterhalten, auch wenn die Geschichte teilweise «heavy» ist. Ein Vorbild beim Schreiben ist die BBC-Comedyserie «Goodness Gracious Me», die von britischen Inder:innen geschrieben wurde, die sich darin gnadenlos mit Rassismus auseinandersetzten. Die Serie hat den Diskurs über Inder:innen in England Anfang der neunziger Jahre grundlegend verändert; die Brit:innen dachten bis dahin tatsächlich, dass nur sie lustig sein könnten.

Nervt es Sie manchmal, wenn Sie ständig über Identitätspolitik sprechen sollen? Ihr erster Roman «Identitti» über eine deutsche Studentin mit polnisch-indischen Eltern, die erfährt, dass ihre heiss geliebte Professorin für Postcolonial Studies eine nichtweisse Herkunft vorgetäuscht hat, provoziert das ja geradezu.

Ich schätze es sehr, wenn ich als Journalistin und Kulturwissenschaftlerin mit diesen Fragen adressiert werde. Aber als Schriftstellerin frustriert es mich schon, dass ich so selten nach Ästhetik und Erzählstrategien gefragt werde. Wobei: Nach meinem ersten Sachbuch wurde ich fast nur nach der Vulva gefragt, so gesehen hat sich das Repertoire bereits stark erweitert. Was mich darüber hinaus fasziniert, ist, dass ich ständig darauf angesprochen werde, wie viel Mithu Sanyal in Nivedita Anand, der Hauptfigur von «Identitti», steckt. Die Frage nach der Autofiktion kam in Interviews meist als erste. Und so ist es jetzt auch bei meinem neuen Buch: «Warum schreiben Sie wieder eine deutsch-indische Geschichte?» Nichts gegen Autofiktion, aber meine Romane stehen klar in der Tradition des Storytellings. Weil es dabei eine indisch-deutsche Protagonistin gibt, denken alle, dass ich das sei. Dabei gibt es mehr als eine von uns. Aber was schon stimmt: Es ist das Milieu, aus dem ich komme. Und das ist einfach noch nicht auserzählt.