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Ein Wochenende bei einem Trump-Wähler im ländlichen Virginia

Ein Wochenende bei einem Trump-Wähler im ländlichen Virginia

Liebe Leserinnen und Leser,

er poltert, wütet und beleidigt wie nie zuvor. Mal nennt er seine Gegenkandidatin Kamala Harris „geistig behindert“, mal diffamiert er Migranten pauschal als „eiskalte Killer“, mal verbreitet er Verschwörungslegenden der rechtsextremen Qanon-Sekte und mal droht er seinen Kritikern mit dem Einsatz des Militärs. Zwischendurch leistet sich Donald Trump immer bizarrere Auftritte. Neulich unterbrach er in Pennsylvania seine Rede und tänzelte eine halbe Stunde lang zu einem Potpourri seiner liebsten Songs von Pavarottis „Ave Maria“ bis zur inoffiziellen Schwulenhymne „YMCA“ von Village People. Am Wochenende reichte er für die Fernsehkameras ein paar Pommes Frites durch den Autoschalter einer McDonald‘s-Filiale. Und schließlich ließ er sich in einer Rede nebenher über die angebliche Größe der Genitalien eines Golfspielers aus.

Ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei der Wahl

Ist der Mann noch ganz dicht? Man kann seine Zweifel haben. Auf jeden Fall scheint es brandgefährlich, einem derart labilen, von Rachegedanken und Allmachtsfantasien besessenen Narzissten die Führung der westlichen Weltmacht anzuvertrauen. Doch genauso könnte es am 5. November kommen. In den Umfragen kündigt sich das knappste Kopf-an-Kopf-Rennen seit Jahrzehnten an. Fast die Hälfte der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützt Donald Trump. „Wie kann das sein?“, fragen sich viele Menschen außerhalb der USA. Ich schildere heute einfach mal eine Begegnung mit einem der potenziell 70 Millionen Trump-Fans.

Damit herzlich willkommen zur neuen Ausgabe des „US-Radars“ genau zwei Wochen vor der Schicksalswahl in den USA. Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Ersparen Sie sich die nervenaufreibende Lektüre der täglichen Umfragezahlen. Kurz gesagt: Es ist verdammt eng. Alle Ergebnisse liegen derzeit innerhalb der Fehlermarge. Sollten sich die Demoskopen so verhauen wie 2020, wird Donald Trump der nächste Präsident. Liegen sie so daneben wie 2022, gewinnt Kamala Harris. Aufschlussreicher als die Kaffeesatzleserei ist es, die Stimmung in den sogenannten „Swing States“ zu verfolgen, die über den Wahlausgang entscheiden. Beim letzten Mal hatte ich Ihnen eine Reportage aus Michigan empfohlen. Nun war ich in Arizona und habe diese Geschichte mitgebracht.

Ich gebe zu: Am Wochenende habe ich einmal blaugemacht. Eine Pause vom Dauer-Wahlkampfkrimi. Der Herbst in Washington ist einfach zu schön. Also bin ich mit dem Auto rund 120 Meilen Richtung Südwesten ins Herz von Virginia gefahren, wo die Landschaft deutlich hügeliger, die Pferdekoppeln weiter, die Blätter röter, der Mobilfunkempfang schwächer und die „Trump“-Schilder immer größer werden. Eine halbe Stunde südlich von Charlottesville, der letzten Enklave der Demokraten, gibt es buchstäblich im Nirgendwo eine wunderbare kleine Bed-&-Breakfast-Pension mit weitem Blick ins Land über ein paar Weinstöcke und köstlichem hausgemachten Chardonnay-Gelee zum selbst gebackenen Frühstücksbrot.

Ein Haus mitten in der Natur: Das Bed & Breakfast in Virginia.

Ein Haus mitten in der Natur: Das Bed & Breakfast in Virginia.

Dass Michael, wie ich den Inhaber hier mal nenne, weil er (angeblich aus Sorge vor Boykottaktionen) anonym bleiben möchte, kein großer Freund der Demokraten ist, hatte ich schon bei früheren Besuchen mitbekommen. Er selbst nennt sich einen „konservativen Juden“. Ich hatte ihn als traditionellen Republikaner eingeschätzt, der für wenig Staat, niedrige Steuern und eine starke Außenpolitik eintritt. Vor allem aber ist er ein Mann mit Lust an der Provokation und einem tiefschwarzen Humor. Unsere Gespräche waren immer kontrovers, aber zivilisiert, kurzweilig und auch aufschlussreich gewesen.

Erst der Hund, dann der Hurrikan

Dieses Mal wirkte Michael weniger locker. Das mag auch daran liegen, dass kurz hintereinander seine Schwiegermutter und sein geliebter Jagdhund verstarben und dann Hurrikan „Helene“ auch noch seine Traminer-Ernte vernichtete, wofür natürlich keine Versicherung aufkommt. Insgesamt, berichtete er, sei das Leben anstrengender geworden mit überall gestiegenen Preisen und höheren Steuern. Das Überziehungslimit auf seiner Kreditkarte liegt bei 5000 Dollar. Öfter hat er es nicht einhalten können. Und nun ist auch noch der Geschirrspüler kaputt.

Michael und seine Frau haben ein großartiges Grundstück. Aber für amerikanische Verhältnisse wirklich reich sind sie, glaube ich, nicht. Ihr Gemüse bauen sie selber an. Eier liefern ihre Hühner. Die Pension und der Vollzeitjob der Ehefrau werfen zusammen genug für ein gutes Leben ab – solange nicht wieder einmal die Versicherung oder der Strom teurer wird. Von der Steuer ganz zu schweigen. Als typischer amerikanischer Konservativer ist Michael davon überzeugt, dass sich der Staat am besten heraushält und „die in Washington“ nichts zustande bekommen.

Rote Blätter, große Schilder: Südlich von Charlottesville ist Trump-Land.

Rote Blätter, große Schilder: Südlich von Charlottesville ist Trump-Land.

Seinen Wohlstand hat Michael selbst erarbeitet. So sollten es, findet er, alle tun. Von Präsident Joe Biden hält er deshalb wenig. Der habe mit teuren Ausgabenprogrammen die Inflation angeheizt, die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben und am Ende noch fünf Millionen ehemaligen Studenten grundlos rund 175 Milliarden Dollar Studienschulden erlassen. Nun wollen die Saisonarbeiter, die ihm bei der Weinernte helfen, auch noch mehr Lohn. „Alle wollen immer nur nehmen, aber niemand will mehr etwas leisten“, klagt Michael. Dazu könnte man einiges sagen. Aber so denken viele Konservative vor allem in den ländlichen Regionen der USA seit Ronald Reagan. Von den Demokraten in den Städten trennen sie kulturell Welten.

Abkehr vom einstigen Idol Paul Ryan

So richtig wohl war Michael trotzdem nicht, als Donald Trump 2016 zum ersten Mal für die Präsidentschaft kandidierte. Auf den Wahlzettel schrieb er deshalb „Paul Ryan“ – den Namen des damaligen republikanischen Repräsentantenhaus-Sprechers, der für strikte Haushaltsdisziplin und gegen die Krankenversicherung Obamacare kämpfte. Doch während Ryan sich inzwischen mit Trump überworfen hat und nach eigenem Bekunden nicht für den „autoritären Narzissten“ stimmen wird, will Michael dieses Mal Trump wählen.

Was ist in der Zwischenzeit passiert? „Für Kamala Harris kann ich auf keinen Fall stimmen. Die ist saudumm und kann nicht mal einen ganzen Satz bilden“, bricht es plötzlich aus Michael heraus: „Und außerdem ist sie eh nur eine Marionette.“ Früher hat er durchaus intelligent mit dem Florett gefochten. Jetzt wiederholt er die plattesten Parolen des rechten Senders Fox News, den seine Frau jeden Abend einschaltet. Zwar trägt Michael weiter kein rotes MAGA-Käppi, und er hätte nach eigenem Bekunden lieber die ruhige Nikki Haley statt des Cholerikers Trump als Kandidat gesehen, aber ansonsten hat er viele Talking Points des Murdoch-Kanals übernommen.

In dieser Welt ist Joe Biden nicht nur ein greiser, sondern auch politisch gefährlich schwacher Präsident, der sich in Afghanistan von den Taliban hat schmachvoll vorführen lassen, Milliarden an Steuergeldern ohne Erfolg in der Ukraine verpulvert, im Namen des Klimaschutzes die heimische Energie verteuert und von China und dem Iran nicht ernst genommen wird. Kamala Harris steht für die gleiche Misere – und ist auch noch eine Frau.

Der Mann ist unberechenbar. Das ist ein Vorteil für uns.

Michael aus Virginia über Trumps Auftreten gegenüber Russland und China

Mit rationalen Einwänden kommt man diesem geschlossenen Weltbild nicht mehr bei. Ob etwa Trumps mäandernde Endlosvorträge mehr Sinn machen als Harris‘ gelegentliche Floskeln? „Bei Trump ist halt auch Show dabei“, lautet die Erwiderung. Und wie würde Trump wohl Russland und China begegnen? „Der Mann ist unberechenbar. Das ist ein Vorteil für uns“, glaubt Michael. Die gewaltigen Zölle, die Trump auf alle Einfuhren erheben will, würden nach Einschätzung führender Ökonomen die Produkte erheblich verteuern. Michael ist zu klug, um Trumps Märchen zu glauben, dass China für die Mehrkosten aufkommen werde. Er weiß, dass seine Spülmaschine teurer wird: „Die kaufe ich sicherheitshalber vorher.“ Aber grundsätzlich sei es besser, wenn alles in den USA hergestellt werde, findet er.

Und die Gefahr für die Demokratie? Ist ihm das ganz egal? Michael schüttelt den Kopf. Der Kapitolsturm vom 6. Januar 2021 sei kein Putschversuch gewesen. Eher eine etwas rabiate Demonstration. Am Ende sei alles gut gegangen. „Ich bin überzeugt, dass unsere Institutionen stark genug sind“, redet er die Gefahr klein. Und alle die ehemaligen Trump-Berater, die nun reihenweise eindringlich vor einer zweiten Amtszeit warnen – bis hin zu Ex-Vizepräsident Mike Pence? Davon will Michael nichts hören. Die hätten sicher ihre eigenen Interessen, unkt er.

US-Radar

Was die Vereinigten Staaten bewegt: Die USA-Experten des RND ordnen ein und liefern Hintergründe. Jeden Dienstag.

Das Wochenende ist vorbei. Ich muss zurück an den Schreibtisch. „Wenn Trump gewinnt, werden wir uns im nächsten Herbst wohl nicht wiedersehen“, sage ich zum Abschied. Der Ex-Präsident hatte schon in der ersten Amtszeit eine Verordnung in der Schublade, mit der er die Geltungszeit der Visa von ausländischen Journalisten auf maximal 16 Monate begrenzen wollte. Michael mag das nicht glauben. So weit werde es schon nicht kommen, erwidert er. Und wenn doch – dann könne ich ja pro forma ein Saisonarbeitervisum für die Weinernte bei ihm beantragen, setzt er lachend hinzu.

Ich schmunzle kurz bei dem Gedanken. Dann aber denke ich: Genau da liegt das Problem. „Donald Trump ist ein unseriöser Mann“, ruft Kamala Harris bei ihren Kundgebungen ins Publikum: „Aber die Konsequenzen seiner Rückkehr in das Weiße Haus wären von einer brutalen Ernsthaftigkeit.“

Wähler wie Michael scheinen zu glauben (oder glauben zu wollen), dass es umgekehrt ist.

Loser: Musk belohnt Trump-Wähler

Elon Musk springt auf der Bühne herum, neben ihm der republikanische Präsidentschaftskandidat.

Elon Musk springt auf der Bühne herum, neben ihm der republikanische Präsidentschaftskandidat.

Aus seiner Sympathie für Donald Trump macht Elon Musk schon lange keinen Hehl mehr. Der Eigentümer des Autobauers Tesla und der Pöbel-Plattform X hat den Wahlkampf des Republikaners über seine Spendenorganisation in den vergangenen drei Monaten mit insgesamt 75 Millionen Dollar unterstützt. Ekstatisch hopste er vor zwei Wochen bei einer Kundgebung seines Idols in Pennsylvania auf der Bühne herum.

Doch nun geht der reichste Mann der Welt noch einen Schritt weiter: Er versucht über eine raffinierte Konstruktion, quasi Stimmen für Trump zu kaufen. Bis zur Wahl in zwei Wochen nämlich will er täglich eine Prämie in Höhe von einer Million Dollar unter denen verlosen, die eine Petition „für freie Meinungsäußerung und das Recht, Waffen zu tragen“ unterschreiben. Der Haken: Die Teilnehmenden müssen aus einem der umkämpften Swing States stammen und dort für die Stimmabgabe registriert sein. Musk schafft also einen klaren materiellen Anreiz für Trump-Unterstützer, an der Wahl teilzunehmen.

„Das wirft ernste Fragen auf“, findet nicht nur Josh Shapiro, der demokratische Gouverneur von Pennsylvania. Der Wahlrechtsexperte Rick Hasen von der University of California findet die Aktion „klar illegal“. Gut möglich, dass Musks unmoralisches Lockvogelangebot bald vor Gericht landet.

Washington Moment: Die renovierte Präsidenten-Kirche

Donald Trump plus Bibel im Jahr 2020 vor der St. John’s Episcopal Church.

Donald Trump plus Bibel im Jahr 2020 vor der St. John’s Episcopal Church.

In ihrer 200-jährigen Geschichte hat die St. John‘s Church am Washingtoner Lafayette Square – direkt gegenüber dem Weißen Haus – schon einiges mitgemacht: Die Unbillen des Wetters, Vögel und Insekten setzten dem hölzernen Gebälk zu. Und im Juni 2020 baute sich dann auch noch Präsident Donald Trump mit einer Bibel in der Hand vor dem Gotteshaus auf, nachdem er friedliche Demonstranten gegen Polizeigewalt im Zusammenhang mit dem Tod des Afroamerikaners George Floyd mit Tränengas hatte vertreiben lassen.

Nun ist der markant gelbe Kirchbau zumindest äußerlich wieder intakt. Für insgesamt 1,9 Millionen Dollar wurden der Altarraum, das verrottete Dach und der Glockenturm mit seiner golden Kuppel restauriert. Am vorigen Wochenende war das Geläut wieder zu hören. Das Gotteshaus steht nicht nur Präsidenten, sondern jedem Besucher offen. Der Schutz gegen Wind und Wetter dürfte eine Weile halten. Die Frage ist nur, wann der nächste Übergriff von der anderen Seite des Parks droht – aus dem Weißen Haus.

Haben Sie Anregungen oder Feedback? Dann mailen Sie uns gerne an [email protected].

Ich wünsche Ihnen noch ein paar schöne Herbsttage. So knapp wie die Umfragen derzeit sind: Schon am 5. November könnte hier in Washington der politische Winter anbrechen.

Ihr Karl Doemens

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