Esther Keller und die Basler GLP: Hautnah im Wahlkampf

Blick hinter die Kulisse

Euphorie – Elend – Erlösung: Vier Monate Wahlkampf mit der GLP

Wie verteidigt man sich gegen eine linke und bürgerliche Übermacht? Die BaZ hat die Grünliberale Partei und ihre Regierungsrätin Esther Keller begleitet.

Publiziert heute um 11:22 Uhr

Und am Ende? Grosse Erleichterung.

Foto: Keystone/Georgios Kefalas

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Zum ersten Mal im monatelangen Wahlkampf sieht Esther Keller leicht erschöpft aus.

Ausgerechnet jetzt, an diesem Sonntagnachmittag, nach ihrer glanzvollen Wiederwahl in die Basler Regierung. Während sich ihre Parteifreunde im Hotel Krafft fröhlich mit Cüpli zuprosten, telefoniert sie draussen im Foyer, nimmt Glückwünsche entgegen, sieht Hunderte Whatsapp-Nachrichten und Mails auf ihrem Handy aufscheinen, die sie noch vor den Schlussresultaten beantworten will. Den roten Blazer hat sie abgelegt. Kurz runterfahren.

Was war das auch für ein Kraftakt. Für Keller. Für Serge Meyer, den neuen Präsidenten der GLP Basel-Stadt. Für Daniel Ordás, den Wahlkampfleiter. Für die gesamte Basler Grünliberale Partei. Erst 15 Jahre alt, schnell gewachsen, sehr erfolgreich, stark kritisiert, selten greifbar – aber auch erfrischend unkompliziert.

Wie funktioniert diese GLP überhaupt, was läuft hinter den Kulissen, in der Schaltzentrale? Die BaZ hat die Partei und ihre Regierungsrätin in den letzten vier Monaten begleitet.

Im Kühlschrank

Ende Juli ist Basel im Stand-by-Modus, es sind Sommerferien, die Stadt schwitzt, 35 Grad, mindestens, und gedanklich sind die Menschen auch eher im Modus Glace-Schlecken – die Politik: ganz weit weg. Von Wahlkampf ist noch nichts spürbar.

An der Nauenstrasse, an der die GLP-Zentrale in Meyers Unternehmen beheimatet ist, ist das von aussen betrachtet nicht anders; am gefühlt versiegeltsten Ort der Stadt, ausgerechnet. Drinnen, im Konferenzraum, ist es dagegen fast schon amerikanisch heruntergekühlt. Ist das grün? Ist das liberal? Eher nicht. Aber Meyer kann nichts dafür. Ob geheizt oder gekühlt wird, liegt nicht in seiner Macht. Moderne Technik. Manchmal ist es auch dem Chef zu kalt.

Der Inner Circle der Grünliberalen kann sich mit solchen Fragen sowieso nicht abmühen, denn in der Partei herrscht fast schon Euphorie vor dem Wahlkampfstart. Präsident Serge Meyer ist da, Wahlkampfleiter Daniel Ordás, später wird auch Regierungsrätin Esther Keller vorbeischauen.

Präsentiert werden «Politikrezepte», für Mensch, Wirtschaft und Umwelt, angereichert mit Kulinarischem (Gonfi, Linsensuppe, Porridge – GLP). Umgesetzt werden soll das im AHA-System, «authentisch», «hybrid», «autonom».

Konzepte aus dem Marketing-Bullshit-Bingo?

Das sieht Ordás naturgemäss etwas anders, er ist beseelt von diesem Modell. Porridge anstatt Gipfeli, das ist «leicht und urban», der «authentische» und «autonome» Auftritt wird von ihm gesteuert, in ein Dutzend Whatsapp-Chat-Gruppen, in denen alle Mitglieder mitwirken dürfen – und der «hybride» Wahlkampf soll die perfekte Mélange sein: Esther Keller, der Star der Partei, soll mit ihrer Bekanntheit dem Grossratswahlkampf den nötigen Schwung verleihen – und die Kandidaten für das Parlament wiederum werben nicht nur sich und die Partei, sondern immer auch noch für die eigene Regierungsrätin.

Gonfi, Kochlöffel und weitere Goodies: Esther Keller und die Liste 10 im hybriden Wahlkampf.

Foto: Anja Sciarra

Man ist in der Parteileitung überzeugt, dass diese Strategie eine fortschrittliche, ausgeklügelte, kurz: intelligente ist. Wie bei der GLP ja immer. Smart City. Smart Schwammstadt. Smart Schrebergarten. Mal ist das erfolgreich, mal weniger.

Mitten in der Präsentation klopft es an der Türe – und Esther Keller betritt den Raum, gut gelaunt. Dass sie das Gesicht der Kampagne ist, scheint sie auch nicht übermässig zu stören, aber ein bisschen «gewöhnungsbedürftig» ist es schon, und Keller verrät, dass auch nicht alles so perfekt funktioniert wie gewünscht: Bei der ersten Ballon-Lieferung war die Illustration fehlerhaft, unvorteilhaft, «das sah aus, als hätte ich einen Hitler-Schnauz». Keller hat recht. Aber bereits kann man darüber schmunzeln.

Es klappt also noch nicht alles bei dieser Partei, die sich so gerne als modern und progressiv und technisch versiert versteht. Mehr in Thinktank-Strategien als mit verkrustet-zentralistischen Führungsweisungen agieren will. Von den Gegnern wird sie manchmal spöttisch als «Excel-Partei» abgetan.

Wer ist GLP-Chef Fitz Müller?

Eine Woche später, es ist immer noch fiebrig heiss in der Stadt, empfangen Meyer und Ordás erneut an der Nauenstrasse. Für Zerschmolzene gibt es Zolli-Cornets – und einen Schwall an Informationen. Man habe «Grosses» zu verkünden, smslet Ordás zuvor.

Nun sagt er: «Das wird der Hammer, alle Medien sollen berichten. Das wird die Aktion des Wahlkampfs.»

Gonfi. Linsensuppe. Porridge. Und die Grossratskandidaten können ihre Flyer verteilen – auf dem sie selbst und Esther Keller an verschiedenen Orten der Stadt auf Selfies zu sehen sind. Selfies? Revolutionär? Noch klappt zumindest nicht alles. Oder kennt irgendjemand den GLP-Präsidenten Fitz Müller?

Serge Meyer oder Fitz Müller? Da lief auf der Selfie-Karte mit Esther Keller und dem Parteipräsidenten zu Beginn etwas nicht nach Plan.

Fotos: BaZ

Kaum ein Medium wird über «die Aktion des Wahlkampfs» berichten. Es ist ein schönes, kleines Beispiel dafür, wie die Grünliberalen funktionieren (und nicht nur in Basel-Stadt).

Eine Partei mit einer beeindruckenden Faszination, ja einer Begeisterung für die politische Arbeit, die aber nicht viel mit einer klassischen Volkspartei und deren Strukturen zu tun hat. Die Basler GLP wirkt mehr wie ein Verein, bestehend aus Menschen, die sich mögen, obschon sie gar nicht mal zwingend dieselben ideologischen Linien vertreten.

In der «Neuen Zürcher Zeitung» ist schon vor zwei Jahren ein bemerkenswertes Porträt erschienen über die Grünliberale Partei Schweiz, über den Aufstieg «dieser jungen, hippen Leute», die um die Partei ein mächtiges Netzwerk geschaffen haben, «das die Schweiz prägt». Es ist, gemäss NZZ, eine «neue Schweiz», die von der «alten Schweiz» noch immer «belächelt» wird, «weil alles nach Zukunft und nicht nach Gegenwart klingt».

Mit Links-rechts-Schemen kann die GLP sowieso nicht mehr viel anfangen. Sie will auch in Basel hip und progressiv sein, in Fachgruppen denken, organisiert wie Thinktanks und nicht wie Generalsekretariate.

Niemand verkörpert diesen Habitus besser als Esther Keller. Sie ist der Prototyp dieser Partei. Es überrascht nicht, ist sie aktuell eine von nur zwei grünliberalen Vertretern in 26 Kantonsregierungen.

Als sie 2020 ziemlich überraschend ihre Ambitionen für den Regierungsrat anmeldete, stand sie in der Kritik. Für was steht sie überhaupt? Sind da mehr als nette Floskeln? Ist sie nicht viel zu unerfahren (nach nur rund einem Jahr im Grossen Rat)?

Es kam anders. Es war wohl genau das Unverbrauchte, das Junge, Attraktive: Es hat verfangen. Vier Jahre später, im stets in der Kritik stehenden Baudepartement, ist dieser Faktor aber nicht mehr ganz so stark.

Das Narrativ wird aber weiterhin verbreitet. Nett will man bleiben, erhaben wirken auch, mit dem Kleingeistigen der anderen Parteien und ihren Grabenkämpfen: Damit will man nichts zu tun haben. Daniel Ordás gibt an diesem Nachmittag für die Partei die Richtlinie vor: «Wir greifen niemanden an in diesem Wahlkampf.»

Das klappt dann so naja, wie sich später zeigen wird.

Die Devise von Wahlkampf-Stratege Daniel Ordás: Die GLP konzentriert sich auf die GLP.

Foto: BaZ

Grünliberale Selbstfindung

Der offizielle Wahlkampfauftakt, eine Woche später, ist dagegen: Business as usual. Im Küchlin sitzen Keller, Meyer, Ordás und Fraktionspräsidentin Claudia Baumgartner an einem massiven Holztisch im Wust von Plakaten. Es folgt: eine Aufzählung, was man erreicht hat in der letzten Legislatur. Und was man gerne erreichen würde bei den Wahlen. Das hat man bei den anderen Parteien in diesen Tagen auch nicht unähnlich gesehen.

Ordás sagt: «Es ist saumässig lässig. Wir wollen origineller und anders sein als alle anderen. Wir haben moderne Ideen, auf die die alten Hasen nicht kommen.» Nachher hört man auch von Mitgliedern, dass sie das als etwas «dick aufgetragen» empfunden haben. Die GLP ist noch nicht auf dem Siegeszug, eher auf dem Selbstfindungstrip.

An einem alten, massiven Holztisch statt auf der Kinoleinwand: Der offizielle Wahlkampfauftakt der GLP war dann doch etwas gar «gewöhnlich». Daniel Ordás, Esther Keller, Serge Meyer und Claudia Baumgartner (v.l.n.r.).

Foto: Pino Covino

Dass dem so ist, zeigt sich jetzt, da der Wahlkampf auch für die Bevölkerung sichtbar wird. Die Nahrungsmittel-Goodies, ergänzt mit einem Kochlöffel (auf den man doch so stolz ist), werden nicht gerade begeistert nachgefragt. Als Meyer sich bereit macht und den ersten Löffel einer Passantin in Riehen überreichen will, sagt diese: «Kochlöffel? Was wollen Sie damit sagen? Frauen an den Herd, oder was?»

Die progressive GLP unter Sexismusverdacht? Schlimmer kanns nicht kommen. Meyer kann deshalb über diese Geschichte schmunzeln. Immerhin haben die Grünliberalen den Humor noch nicht verloren.

Mitten im Wahlkampf, Mitte September: Die GLP mobilisiert ihre Mitglieder wie kaum eine andere Partei. Man mag sich und setzt sich ein.

Foto: Oliver Sterchi

«Diktatur des Wahlkampfs»

Im Verlauf des Wahlkampfs wird der Ton rauer, die Nervosität spürbar. Selbst Esther Keller, die nichts so schnell aus der Ruhe bringt, rollt am Sommerapéro der Handelskammer beider Basel nur mit den Augen, als sie darauf angesprochen wird, dass Wahlkampfleiter Ordás ständig wegen allem alle anrufe …

Ordás, ein Anwalt, ein Berufsbasler auch, überall dabei, hat sich in diesen Wochen tatsächlich mehrheitlich seiner Partei verschrieben. Er ist der Taktgeber der Grünliberalen. Er ist der erfahrenste Wahlkämpfer der Partei. Er weiss das, er zeigt das auch. Aber er hat kein Amt, ist als früherer Sozialdemokrat auch noch nicht lange dabei.

Aber es ist ja häufig so: Konvertiten sind oft die Motiviertesten. Darf er darum als Chef auftreten? Er wirkt mächtiger als der Präsident, manchmal sogar einflussreicher als Keller, das Aushängeschild. Bei keiner anderen Partei wäre so etwas denkbar.

Das zeigt sich an einem späten Freitagnachmittag, Mitte August. Wichtige Präsidiumssitzung in der Zentrale. Zwei Tage später steht die Richterwahl von Simone Lustenberger an. Eigentlich ein Nobrainer. Vakante Sitze werden mit Parteivertretern aufgefüllt, denen das Amt zusteht. Diesmal wäre das die GLP. Doch es gibt einen parteilosen Gegenkandidaten. Das bedeutet: noch ein Wahlkampf, der Zeit und gar nicht so wenig Geld kostet. Ressourcen, die nicht für Esther Keller und die Grossratsaspiranten genutzt werden können.

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Das lässt auch Ordás ungehaltener werden. Sein Ton verschärft sich. Er wirkt nicht zufrieden. Bin ich denn hier drin der Einzige, der weiss, wies geht?, scheint er sich zu fragen. Ein Beispiel: Ordás erklärt, warum die GLP bei den Grossratslisten nicht alphabetisch vorgeht (was viele Parteien tun), sondern machtpolitisch.

Wem mehr Chancen eingeräumt werden (und wer sich mehr engagiert), steht weiter vorne. Baumgartner, die Fraktionspräsidentin, sieht das anders. Es wird kurz laut. Sie fragt: «Wie sollen wir das den Kandidaten verkaufen?» Er antwortet: «Das ist die Diktatur des Wahlkampfs. Wir müssen die Entscheidungen treffen, auch wenn das verständlicherweise nicht allen gefallen wird.»

Die neue Gereiztheit zeigt: An Grabenkämpfen kommt man, genau wie alle «normalen Parteien», auch dann nicht vorbei, wenn man sich eher einen Thinktank-Habitus verpasst.

An dieser Sitzung manifestiert sich dieser Eindruck: Präsident Meyer stört sich an den Elaboraten seines Wahlkampfleiters. Er will nun den Takt vorgeben. Dann staucht er die Parteisekretäre zusammen, als es bei der Powerpoint-Präsentation etwas langsam vorangeht: «So mach jetzt, hopp, los, schnell.» Er, der Unternehmer, greift selber zum Laptop. Ist das Führungsstärke oder Mikromanagement?

Ein Basler Steve Jobs

Um halb neun Uhr morgens steht Serge Meyer trotzdem schon wieder gut gelaunt vor dem Küchlin. Grünliberale Kandidatenschulung. Ein interessantes Konstrukt. Rund 40 Grossratsaspiranten sind gekommen, um zu lernen: Wie führe ich Gespräche auf der Strasse? Wie bringe ich Inhalte auf den Punkt? Und sowieso: Wo nutzt mein Einsatz am meisten?

Eine halbe Stunde später haben die Grünliberalen auf ihren Sesseln in einem Kinosaal Platz genommen. Vorne, auf der Bühne, Serge Meyer, mit Brille, kariertem Hemd, Jeans und Sneakers. Ein Basler Steve Jobs. Er heizt den Leuten ein. «Ihr geht nachher da raus und tragt unser Programm zu den Leuten!» Meyer, der Unternehmer, sagt: «Menschen kaufen von Menschen, die sie mögen.» Die Baslerinnen und Basler sollen also die GLP mögen – und sie kaufen, also die Liste einwerfen.

Es sind die Momente, in denen man das Gefühl hat: Darum kann die Thinktank-Strategie der GLP aufgehen. Es wird eine Wahlanalyse durchgeführt: Wo wohnen die Kandidaten? Und wo die Wähler? Wer sind die überhaupt? Da ist auch schonungslose Ehrlichkeit gefragt: «gutbetuchte Akademiker».

Das ist professionell, nichts wird dem Zufall überlassen. Wie viel Prozentpunkte braucht es wo für einen Sitzgewinn? Antworten werden auf den Zehntel geliefert. Vielleicht ist der Übername «Excel-Partei» gar ein Kompliment.

Der Basler Steve Jobs wechselt ins grüne GLP-Esther-Keller-Gewand.

Foto: Oliver Sterchi

Auch Esther Keller wird von Wahlkampfleiter Daniel Ordás mit Kochlöffel, Käppi, Tasche, T-Shirt und Selfie-Flyer ausgestattet.

Foto: zVg

Was auch zur Wahrheit gehört: Die GLP hat in den letzten Jahren mit ihren Taktierereien viel Erfolg gehabt: 2019 hat man den Bürgerlichen mit einer Unterlistenverbindung einen Nationalratssitz abgeluchst. Und 2023 hat man diesen mit vielen Unterlisten clever verteidigt.

Das gibt Mumm. Kein Wunder, kann auch Ordás nicht widerstehen, um mal wieder in halb öffentlichem Raum eine Spitze auszuteilen. Dieses Mal gegen die FDP und die Nicht-Grossratskandidatur von Eva Biland. Wie war das mit dem Nichtangriffspakt? Wollte man nicht darauf verzichten, eine Partei anzugreifen, nur auf sich schauen?

Kult-Keller?

Dass sich Ordás diese Provokatiönchen nicht verkneifen kann, liegt wohl auch daran, dass der Wahlkampfleiter sich nach dem Ärger und der erfolgreichen Richterwahl wieder besser gelaunt, ja fast euphorischer gibt. Er verkörpert damit, was in der ganzen Partei in diesen Wochen spürbar ist.

Bei einem «Prime News»-Streitgespräch zwischen Biland und Keller besteht das halbe Publikum aus Grünliberalen, die ganz begeistert sind von ihrer «Esther».

GLP-Superstar Esther Keller steht im Zentrum ihrer Partei.

Foto: Pino Covino

Dass Keller der Star, der einzige Star der GLP ist: Das zeigt sich auch beim Sommerfest auf der Schützenmatte. Bevor sie kommt, ist nichts los. Start des Anlasses ist 18 Uhr, aber da sind erst zwei Mitglieder, die langsam Tische decken und den Grill anheizen. Die wichtigen Parteimitglieder sind noch drüben, im Pavillon, beim Abschied des Datenschützers Beat Rudin. Dort gibts schon kühles Bier und «tolle Bratwürste», wie ein Grossrat einem begeistert zuflüstert.

Dann kommt Keller (und viele andere GLPler trudeln ein, nicht nur wegen ihr). Das Schweizer Fernsehen wartet schon auf sie. Und jeder Grünliberale will mit ihr sprechen. Kult-Keller? Kann das gut gehen, alles auf eine Person zu setzen? An der Baudirektorin solls nicht scheitern, sie spielt ihren Part so, als hätte der Wahlkampf gerade erst begonnen und sei es das Leichteste auf der Welt.

Zerreissprobe

Wie ungefestigt die Partei ist, wenn sie sich nicht in Feel-good-Aktionen verlieren kann, zeigt sich hingegen, wenns sachpolitisch unangenehm wird: In Basel-Stadt wird heftig über den Rheintunnel gestritten – und die GLP ist, mal wieder, beeindruckend uneinig.

Das wird sich in einem Beitrag des «Regionaljournals» zeigen. Während Keller für den Rheintunnel kämpft, wird im Beitrag das Auto per se fast schon als Teufelswerk abgetan. Wie knifflig das für die Partei ist, wird sich kurz vor dem ersten Wahlgang noch zeigen. Von einer «Zerreissprobe» wird die Rede sein.

Die «Basler Zeitung» macht publik, dass gewisse Grossräte dem Megaprojekt zustimmen wollen und andere nicht. Die Partei hat zu diesem Zeitpunkt, Anfang Oktober, noch keine Parole gefasst.

Ein weiterer Beleg, wie unabgestimmt die einzelnen Vertreter agieren. Andere würden sagen: vogelfrei.

Regierungsrätin Esther Keller hat Verständnis dafür, dass Parteikollegen wie Johannes Sieber dem Autobahnausbau kritisch gegenüberstehen. Beim Präsidium kommts weniger gut an.

Fotos: Pino Covino, Luzia Hunziker, Keystone

Bestes Beispiel für dieses unkontrollierbare Verhalten ist Grossrat Johannes Sieber. Ein streitbarer, emotionaler Parlamentarier, mit interessanten Ansätzen und guten Ideen, aber auch mit Hang zur Überreaktion. Kein Basler Politiker und kein Journalist ist vor seinen Tiraden gefeit. Ein Artikel der BaZ über die Entschädigungen der 100 Grossräte hält er für ein «journalistisches Miststück», und er droht mit dem Presserat. Drei Tage später ist die Sache vergessen.

Auf den sozialen Medien ist dieser Sieber eine «unguided missile», wie es seine Parteikollegen selber sagen. Wie soll man so eine Partei führen, vielleicht sogar eine Volkspartei werden? Das fragt sich manchmal auch Serge Meyer. Wenn er mal wieder mit Sieber sprechen und ihn an die Nicht-Angriffs-Devise erinnern muss. Er sagt: «Sieber ist fantastisch, aber manchmal ist es zu viel. Das ist Politik. In einem Unternehmen kann der Chef reagieren. Hier nicht.»

Ein neues Narrativ: Die Basler «Zauberformel»

Ordás ärgert sich jedoch, kurz vor den Wahlen, noch immer über das interne Rheintunnel-Fiasko: «In einem Wahlkampf gibt es viele, die sich positionieren wollen. Sich selber, nicht die Partei.»

Rumms.

Überall grünliberale Selfies: Keller gross mit Ordás, Keller klein mit Noch-Grossrat Bollack.

Foto: Anja Sciarra

Es ist seine ganz eigene Art, dass er sich aufregen kann über solche «Dummheiten», die der Konkurrenz helfen, dass er sagen kann, dass die letzten Monate «unentspannt» gewesen seien – nur um dann im gleichen Satz umzuschwenken: Um Keller mache er sich keine Sorgen, die Herausforderer seien zu schwach. «Wir holen zehn Prozent und bringen Esther im ersten Wahlgang rein.»

Wie kommt er nur darauf?

Ordás erklärt: Bei den letzten Wahlen habe es die grüne Welle gegeben, jetzt merkten die Wähler: Das kostet Geld und Komfort. «Also wollen diese Menschen eine Partei, die auch ökonomisch mitdenkt. Gerade weil wegen Krieg und Krisen das eigene Portemonnaie spürbar schmaler geworden ist.» Und er sagt: Bis im Sommer habe die Stimmung vorgeherrscht: «Keller muss weg.» Seither hört und liest man viel, dass das Basler «3:1:3»-System funktioniert habe. Da hat er einen Punkt.

Ordás sagt sogar: «Wir sind die neue SP, keiner kann so viele Mitglieder auf der Strasse mobilisieren wie wir – okay, ausser vielleicht den Genossen.» Da hat er eher keinen Punkt. Aber viel Selbstvertrauen, nur ein paar Stunden vor der Entscheidung.

Im Elend

Am Sonntagnachmittag, 20. Oktober, vier Stunden nach Verkündigung der Zwischenresultate (briefliche Stimmen!), finden sich die Grünliberalen im Consum in der Rheingasse ein. Oder sollten sich einfinden. Minus zwei Sitze im Grossen Rat, Esther Keller als einzige Bisherige, die in den zweiten Wahlgang muss: Das ist das Worst-Case-Szenario.

Die Grünniedergeschlagenen.

Nur eine Handvoll Parteimitglieder sind bisher gekommen, wirken wie ein Häufchen Elend. Der einzige Gedanke: Kommts noch schlimmer?

Später trudelt Daniel Ordás ein. Mit Laptop in der Hand. Er kann sich das schlechte Resultat nicht erklären. Woher, zum Teufel, hat die EVP ihren vierten Sitz? Also vom Teufel sicher nicht ….

Spätabends wird klar: (Nur) einen Sitz verloren, knapp wars, das tröstet, da es verkraftbar ist. Aber die Euphorie der letzten Wochen: komplett weg.

Konsternation bei Serge Meyer (links), Esther Keller und Nationalrätin Katja Christ: Zum Stand der Zwischenresultate am 20. Oktober verliert die GLP zwei Grossratssitze (am Ende sollte es «nur» einer sein), und Esther Keller muss als einzige Regierungsrätin in den zweiten Wahlgang.

Foto: Nicole Pont

Wie sich aufrichten, jetzt, da nochmals fünf Wochen kommen werden, in denen es darum gehen wird, das wichtigste Aushängeschild im Amt zu behalten?

Auch Ordás stellt sich am Abend diese Frage. Noch weiss er es nicht. Etwas bessere Laune hat er, weil durchsickert, dass die Bürgerlichen ihre Kandidatin, Eva Biland, zurückziehen werden. Werden sie sogar Keller unterstützen?

Auch Serge Meyer hat neuen Mut gefasst. Vor allem wegen Ordás. «Der weiss, wie man verhandelt.»

Bundesbähnli

Sicher ist: Die Bürgerlichen können es nicht. Sie sind sich uneins. Und so kommt es, dass die GLP nichts bieten muss für den Rückzug Bilands und schnell klar wird: auch nichts bieten wird.

Einen Tag nach den bürgerlichen Parteien tagt auch die GLP. Im Restaurant Bundesbähnli haben sich die Grünliberalen in ein winziges Stübli gequetscht.

Ordás darf beginnen, weil er gleich wieder wegmuss. Er wird nach einer «kurzen Ansprache» zum Geburtstagsessen mit seiner Frau geschickt, «weil er immer viel zu viel und lange redet», wie Präsident Meyer witzelt. Running Gag. Er wird mit stehenden Ovationen verabschiedet.

Esther Keller wird für den zweiten Wahlgang nominiert.

Foto: Anja Sciarra

Esther Keller hat sich unterdessen eine Suppe bestellt. Geduld ist gefragt, bis sie endlich dran ist. Sie muss wieder nominiert werden, was zwar ausser Frage steht, aber der Akt lässt auf sich warten. Spannend dafür: Die GLP hat das Budget überzogen, 20’000 Franken – und jetzt braucht es nochmals mehr. Die Mitglieder stimmen dem zu.

Interessant wirds auch inhaltlich: Johannes Sieber will wissen, ob man denn jetzt offensiv vorgehen dürfe. «Dürfen wir unsere Standpunkte klar verfechten, online gerade?» Eine berechtigte Frage. Auch andere Mitglieder würden das begrüssen. Eine Diskrepanz zwischen Mitgliedern und Ordás’ Wahlkampf-Plan.

Keller spürt, dass sie etwas anbieten muss, will sie die Motivation ihrer Helfer hochhalten. Sie wird ein «Manual» erstellen, in dem die wichtigsten inhaltlichen Punkte klar aufgelistet werden – vor allem bei den emotionalen Themen. Und davon gibts in ihrem Departement genug. Wohnschutz. Bauinspektorat. Auch Bäume, klar.

Täglich grüsst Esther Keller

Der Wahlkampf ist dann doch eher: mau. Die obligatorischen Streitgespräche zwischen Keller und Ineichen lassen den erhofften Pfupf vermissen. Dafür rappeln sich die Parteimitglieder wieder auf. Gehen täglich flyern. Obwohl für sie selbst nichts mehr zu holen ist. Aber für Esther. Und Esther Keller grüsst täglich: auf Instagram, auf Twitter, an Events, mit Fotos und Videos. Ist dauerpräsent.

Am Donnerstag vor dem Wahlsonntag gibt sie vor den Medien die endlich fertiggestellte Freie Strasse frei. Sie sei gefasst, aber auch angespannt, sagt sie selbst. Auch froh, wenns dann vorbei ist. Und sie macht sich auf beide Szenarien gefasst. Würde bei einer Abwahl die Depression folgen? Nein, aber: «Es würd mi scho mööge», meint sie, als der Schneefall einsetzt. Aber noch sei sie nicht lange von der Privatwirtschaft weg.

Optimistisch, dass es klappen wird, ist sie trotzdem.

Ein Selfie in Bern

Zu Recht: Der zweite Wahlgang muss als sehr erfolgreich bilanziert werden. Rund 10’800 Stimmen mehr bekommt Esther Keller als Anina Ineichen. Ein fulminanter Sieg. Aber sie sagt es richtig, man habe auch sie, «den Menschen», gewählt. Denn der Rheintunnel, für den Keller geworben hat, fällt massiv durch. Das Ausländerstimmrecht, besser gesagt: die Lightversion (eine Idee der GLP): null Chance.

Endlich: Nach der Wahl von Esther Keller wird im Hotel Krafft angestossen.

Foto: Oliver Sterchi

Das zeigt: Die Politik der GLP ist nicht zwingend beliebt, Esther Keller ist es. Und clever. Sofort fordert sie an diesem Sonntag im Gespräch mit «Onlinereports», dass nun Bündnispartner gesucht werden sollten. Infrage kommt dabei nur die Mitte.

Ganz anders sieht das Wahlkampfleiter Daniel Ordás, als man sich eben im Hotel Krafft mit Cüpli zuprostet: «Das kommt aktuell nicht infrage. Und überhaupt, die Mitte wird jetzt wohl mit der EVP zusammengehen.»

Was sich also auch in den Stunden nach Kellers Triumph nicht ändert: die grünliberale Uneinigkeit. Alles beim Alten?

Ein letztes Selfie – aus Bern – für die BaZ: Esther Keller.

Foto: zVg

Nach vier Monaten Wahlkampf in den Knochen ist die Aussicht auf Rückkehr in den Alltag fast surreal. «Vermutlich überlege ich nächste Woche noch, vor welchem Coop wir flyern gehen könnten», sagt Ordás. Und lacht. Parteipräsident Meyer ist am Sonntag einfach einmal: erleichtert. Und am Montag denkt er bereits weiter. Bei Brennpunktthemen wie etwa der Migration müsse auch von der GLP mehr kommen.

Und Esther Keller? Am Tag nach ihrer Wahl ist sie in Bern mit der Gesamtregierung unterwegs. Als wäre nichts gewesen, die Erschöpfung verflogen, lacht sie für ein Selfie in die Kamera.

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