Techno Zürich: Wie junge DJs die Clubszene verändern

«Aufzulegen macht fucking süchtig. Es ist das geilste Gefühl auf der Welt»

Sie sind Physiotherapeutinnen, Marketing-Fachmänner, wissenschaftliche Mitarbeitende – und legen auf. Während es früher schwierig war, sich als DJ einen Namen zu machen, ist die Szene heute um einiges zugänglicher. Aber ist das gut?

Publiziert heute um 17:44 Uhr

La Fiba bringt an diesem Samstagnachmittag beim Dayrave von Enzi81 mit House- und Techno-Tracks die Menge zum Tanzen.

Foto: Corina Jeanmaire

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Auf dem Waldweg in Richtung des Pfadiheims Regensdorf hört man an diesem verregneten Samstagnachmittag keine Kinder, sondern einen dumpfen Bass. Es läuft Techno.

Hier findet ein sogenannter Dayrave statt. Im grossen Festzelt tanzen inmitten von weissem Rauch einer kleinen Nebelmaschine schon rund 30 Personen. Christina Weiss, die als Nächste das Mischpult übernehmen wird, ist aufgeregt. «Heute improvisiere ich zum ersten Mal an einem öffentlichen Event», sagt die 28-Jährige. Von ihrem Set, das ist die Abfolge von Musiktiteln, die so zusammengemischt werden, dass sie wie ein einziger Song erscheinen, weicht sie selten ab.

Früher Schallplatten, heute YouTube-Tutorials und Instagram

Seit zwei Jahren ist die Zürcherin nebst ihrem Beruf als Physiotherapeutin auch noch DJ. Als La Fiba legt sie unter anderem House und Techno auf. Der selbst gewählte Künstlername ist eine Anlehnung an Fibula, das lateinische Wort fürs Wadenbein – inspiriert von ihrem Physiotherapiestudium. Die Grundlagen des DJing habe ihr ein guter Freund, ebenfalls DJ, beigebracht. Vollzeit könnte sie sich das momentan noch nicht vorstellen, «aber wenn ich mit regelmässigen Events rechnen könnte, wäre das schon toll», sagt sie.

Weiss steht stellvertretend für eine veränderte DJ-Szene. Was früher nur durch Schallplatten, teure Mischpulte und richtige Kontakte möglich war, lässt sich heute durch Youtube-Tutorials, günstiges Equipment und Instagram-Networking realisieren. Die Branche ist zugänglicher als noch vor 20 Jahren – und auch jünger. Zudem setzen sich Kollektive dafür ein, dass sie auch diverser und weiblicher wird.

Techno als Unesco-Weltkulturerbe

Das in Zürich wohl beliebteste DJ-Genre ist Techno. Vor sieben Jahren erklärte das Bundesamt für Kultur die Zürcher Technoszene zum Unesco-Weltkulturerbe. Mit der Street Parade feiert die Limmatstadt die weltweit grösste Technoparty. Der Musikstil ist beliebt und bleibt jung. Deswegen bewegen sich viele DJ-Newcomerinnen und -Newcomer in diesem Genre, wobei sie oft mit Elementen aus anderen, verwandten Genres wie House, Trance und Drum’n’Bass experimentieren.

Der Titel DJ ist nicht geschützt. Verifizierte Zahlen zu DJs in Zürich gibt es daher keine, jedoch lässt sich beobachten, dass sich seit der Pandemie das Auflegen als beliebter und manchmal durchaus lukrativer Nebenjob etabliert hat.

Wie ist es, heute als DJ einzusteigen? Und wie erleben diejenigen, die seit den Anfängen dabei sind, die neue Generation? Wir haben bei vier Künstlerinnen und Künstlern nachgefragt.

Dasstudach

Dasstudach: Der junge DJ hat sein Studio in Urdorf, Dietikon, zusammen mit einem guten Freund eingerichtet.

Foto: Boris Müller

Dass man als junger DJ von Zürich aus die Chance hat, weltweit bekannt zu werden, zeigt Dasstudach. Der Churer Künstler, der in Dietikon wohnt, legt auf der ganzen Welt auf – der 23-Jährige trat an der diesjährigen Street Parade Afterparty auf, spielt in Paris und Berlin.

Eigentlich ist Gian, wie der DJ bürgerlich zum Vornamen heisst, gelernter Marketing-Fachmann. Dann brach er sich während der Pandemie den Finger: «Ich konnte nicht mehr von zu Hause arbeiten und mir wurde langweilig», sagt er. Selbst hörte er zu dieser Zeit viel elektronische Musik. «Ich dachte mir: Das könnte ich eigentlich machen.» Gesagt, getan: Er holt sich ein kleines Mischpult für 200 Franken und bastelt an seinen ersten Sets.

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Er merkte bald, dass er es schnell mag. Dasstudach ist bekannt für seinen selbstproduzierten Hard-Techno-Sound. Die Rhythmen, die im Studio in Dietikon entstehen, sind dreckig, der Bass schmetternd und schnell. Nicht selten erreichen seine Tracks über 150 Beats pro Minute. «Aufzulegen macht fucking süchtig. Es ist das geilste Gefühl auf der Welt», sagt er.

Während der Pandemie hatte er an illegalen Partys seine ersten Auftritte. Durch seinen Freundeskreis wurde sein erster Manager auf ihn aufmerksam und buchte schon bald die ersten internationalen Gigs. Heute erreichen ihn viele Anfragen über Instagram, wo ihm über 17’000 Personen folgen.

Seit letztem Sommer lebt er nur von der Musik. «Es ist nicht so luxuriös, wie sich das die meisten vorstellen. Ich bin froh, wenn ich es durch einen weiteren Monat schaffe», sagt er. Genaue Angaben zu seiner Gage will er nicht machen. «Aber astronomische Zahlen wie 4000 Franken pro Gig sind noch nicht meine Realität.»

Kalabrese

Kalabrese: In seinem Studio im Kreis 3 lagert der Musiker Keyboards, Lautsprecher und Schlagzeuge.

Foto: Boris Müller

Dass die Elektromusik- und DJ-Szene zugänglicher geworden ist, beobachtet auch Kalabrese. Sacha Winkler, wie der Zürcher Musiker bürgerlich heisst, gehört fest zum Nachtleben: Als Mitbegründer des Clubs Zukunft, Produzent und DJ ist der 51-Jährige in der Stadt seit rund 30 Jahren präsent.

«Die Industrie hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten schon verändert», sagt er. «Heute kann man auf der richtigen Playlist landen und jemand, irgendwo auf der Welt, hört deinen Sound und möchte dich buchen. Das war früher natürlich nicht so.»

Winkler selbst fing mit zwölf Jahren an, Schlagzeug zu spielen. Als Jugendlicher versuchte er sich im Hip-Hop. Ende der 90er-Jahre orientierte er sich schliesslich neu und wurde Teil der noch kleinen Elektromusik- und DJ-Szene. «Aufgelegt wurde damals fast nur Techno. Aber rhythmisch und hypnotisch war die Musik. Es groovte ziemlich, verglichen mit dem schnellen Techno heute», sagt er. Die hiesige Technokultur sei damals auch stark von derjenigen in Deutschland, insbesondere von Berlin, beeinflusst gewesen. «Die ganze Szene war enthusiastisch und idealistisch geprägt. Man war damals noch sehr alternativ und weit weg vom Mainstream. Es ging ums Anecken, Anderssein», sagt er. Bis heute sei diese Haltung zu spüren.

Kalabrese in Action: Der 51-Jährige hat den Zürcher Club Zukunft mitgegründet.

Foto: Boris Müller

Seit den frühen 2000ern ist Winkler auch als Produzent tätig, er fängt an, mit einer Liveband aufzutreten. 2007 veröffentlichte er sein bekanntes Album «Rumpelzirkus». Einige Songs wie «Oisi Zuekunft» erinnern ans House-Genre. Die repetitiven Gesangssamples und der Viervierteltakt mit Bass-Drum-Kick versetzen einen mental in eine Disco der frühen 2000er. «Ich kann mich nicht einem Genre zuordnen. Ich bewege mich zwischen House, Techno, Funk, Jazz», sagt Winkler. Das passe auch mehr zum Zeitgeist. «Elektromusik ist momentan weniger dogmatisch als früher.»

«Heute kann jeder nebenberuflich DJ sein und auflegen. Aber sich wirklich der Musik zu verpflichten, selbst Tracks zu produzieren und in die Tiefe zu gehen, das braucht Kapazität», sagt er. Er selbst hat nach dem Ende des Clubs Zukunft vor, sich neuer Musik zu widmen. «Ich freue mich darauf, viele Stunden alleine und mit wunderbaren Musikerinnen und Musikern im Studio zu verbringen. Es gibt noch so viel zu entdecken und auszuprobieren.»

Nive

Nive: Die wissenschaftliche Mitarbeitende, hier zu sehen vor ihrer Plattensammlung, plädiert für mehr Diversität in der DJ-Szene.

Foto: Boris Müller

Tranceartiger Techno mit hartem Bass und experimentellen Elementen. Der Sound von Nive versetzt einen beim Hören in einen quasi-meditativen Zustand. Für Nevesthika Muralitharan, wie die 28-Jährige eigentlich heisst, kann das Auflegen durchaus beruhigend sein. «Ich bin dann einfach voll ‹in the zone›», sagt sie.

Seit knapp vier Jahren legt die Zürcherin als DJ auf. Eigentlich hat sie Gesundheitswissenschaften an der ETH studiert, heute ist sie in der öffentlichen Gesundheit tätig. Als Studentin hörte sie viel elektronische Musik. «Ich war deswegen auch im Ausgang, wollte DJs live hören», sagt sie. Nur: Meistens waren das Männer. Das störte Muralitharan. Sie fängt 2019 an, sich beim Kollektiv F96 zu engagieren. Die Gruppierung möchte Flinta-Personen, also Frauen, Lesben, intersex, non binäre, trans und agender Personen in der Kunst, also auch im DJing fördern. Schon bald legt sie auch selbst auf.

DJ Nive begutachtet in ihrer Wohnung in Zürich ihre Platten.

Foto: Boris Müller

Ihr erster Auftritt war im Kauz an Silvester 2020, bald folgten die nächsten Gigs. Mittlerweile legt sie phasenweise fast jedes Wochenende auf. Auch initiierte sie letztes Jahr die Eventreihe Sooriyan. Mit dieser möchte sie die südasiatische Kreativität und die hiesige Diaspora feiern.

«Ich wünsche mir mehr Personen mit Migrationshintergrund hinter dem Mischpult. Ich weiss, dass es viele, extrem Talentierte gibt, leider werden sie einfach oft nicht gebucht», sagt sie. Dazu komme, dass viele Clubs noch von Männern geführt werden und so hinter den Kulissen keine wirkliche Veränderung in Sachen Diversität passieren, sagt die DJ.

DJ Tatana

DJ Tatana: Die Königin der Street Parade ist auch noch nach 30 Jahren in der Branche tätig.

Foto: Boris Müller

Für die Fans der Street Parade gehört die 47-jährige DJ Tatana genauso zum Programm wie die Love Mobiles. Die Künstlerin, die seit 30 Jahren von der Musik lebt, ist gleich doppelt gekrönt: Sie wird «Königin der Street Parade» und «Königin des Trance» genannt. Für den Grossanlass hat Tatana Sterba, wie die gebürtige Tschechin bürgerlich heisst, bereits eigene Trance-Tracks produziert, auf Wagen aufgelegt und das Hallenstadion an der Afterparty gefüllt.

«Ich war damals die erste Frau, die so schnell so kommerziell wurde», sagt sie. Ihre Musik, die ihre Fans auch als «Tatana-Sound» bezeichnen, ist verträumt und geprägt von sich aufbauenden, harmonischen Klangwolken. Gleichzeitig lässt sich die DJ auch vom Zeitgeist inspirieren: So waren ihre Lieder am Anfang der Nullerjahre stark von Eurodance geprägt, später arbeitete sie mit moderneren Dub- und House-Elementen. Ihre Fanbase ist gross: Noch heute füllt sie Stadien in Mexiko, Thailand, Deutschland.

«Es ist auch sehr schön, zu sehen, dass es heute mehr weibliche DJs gibt», sagt sie. Auch falle ihr auf, dass immer mehr Leute auflegten. Das, sagt sie, habe damit zu tun, dass immer mehr Personen durch soziale Medien zum Auflegen animiert würden. «DJs posten von ihrem Alltag, sie sind plötzlich hautnah. Da fallen für Interessierte gewisse Berührungsängste weg», sagt sie.

Es sei heute einfacher: «Damals musste man Platten auflegen, einen sauberen Übergang zu machen, war ein richtiges Handwerk», sagt sie. «Heute arbeitet man mit dem Laptop, und man sieht auf einen Blick, wie schnell die Lieder sind, welcher Track sich am ehesten eignet.»

Sie könne sich noch gut daran erinnern, wie viel Vorbereitung jedes Set brauchte. «Ich war jede Woche sicher stundenlang im Plattenladen», sagt sie. Sie studierte Neuveröffentlichungen, überlegte sich, was zu ihrem Repertoire am besten passen würde. «Wer DJ werden wollte, musste das mit Leib und Seele machen», sagt sie. «Und dann musste man hoffen, gebucht zu werden, mehrmals im Club auftauchen, im Nachtleben präsent sein. Die sozialen Netzwerke ersetzen das heute.»

Schlechtreden möchte sie diese Entwicklung aber nicht. «Es ist einfach anders. Für mich ist es eine Ehre, auch unter diesen neuen Aspekten des Berufs auflegen zu dürfen und immer noch so viele Fans zu haben», sagt sie.

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Sepinud Poorghadiri hat Anglistik und Philosophie studiert und schreibt für das Ressort Zürich.Mehr Infos

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