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Porträt: NRV-Sportdirektor Klaus Lahme ist der Fels im Vereinssport

Porträt: NRV-Sportdirektor Klaus Lahme ist der Fels im Vereinssport

Die verglaste Stahltür von Haus Nummer 37 an der Schönen Aussicht schwingt auf. Schon steht der Besuch an einem ganz normalen Wochentag mittendrin in der lebendigen Herzkammer des Norddeutschen Regatta Vereins. Der NRV markiert mit seinen 2.200 Mitgliedern am Ostufer der Hamburger Außenalster einen Gipfel der hiesigen Segelsportvereins­landschaft.

Der Weg in den lichtdurchfluteten Club­raum mit imposantem Panoramablick aufs Bilderbuchrevier führt an einer fast decken­hohen Schautafel vorbei. Der aufwändig recherchierte Überblick zeigt sämtliche Olympiateilnehmer mit NRV-Mitgliedschaft. Ob mit oder ohne Medaille – es sind 65 Kästchen, auf denen einige Namen wie die der zweimaligen 49er-Bronzemedaillengewinner Erik Heil und Thomas Plößel mehrfach vorkommen.

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Hinter der XL-Vitrine öffnet sich der zentrale Vereinsraum mit geschwungenem Holztresen und Kaminzimmer. Hier findet gerade ein Geschäftstermin der Hamburger Niederlassung eines Automobilkonzerns statt. Weitere Tische sind von jungen Seglern und Seglerinnen bevölkert. Draußen auf der Alster trainieren zwischen ein paar Jollen und Drachen die Frauen vom deutschen Team für den Puig Women’s America’s Cup auf modernen J/70-Booten.

Sämtliches Tun und Treiben hat direkt oder indirekt mit Klaus Lahme zu tun. Sein Büro im zweiten und obersten Stockwerk des nach einem Brandschaden 2010 komplett sanierten und umgebauten 700 Quadratmeter großen Clubhauses mit Terrassen zum Träumen und Räumen zum Arbeiten, Entspannen und Feiern teilt der NRV-Clubmanager und Sportdirektor mit dem NRV-Team. Von hier werden die Geschicke des größten deutschen Segelclubs organisiert und gelenkt. Die Aussicht von Lahmes Arbeitsplatz könnte kaum besser sein.

Wird schon klappen mit dem Trainerjob

24 Jahre ist es her, dass der damalige Vereinspräsident Gunter Persiehl Klaus Lahme als Trainer in den Verein holte. Die beiden hatten sich bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 kennen- und schätzen gelernt. Persiehl war als Regelberater für die Segelnationalmannschaft in Down Under, Lahme als Trainer. Auf dem Rückflug nach Hamburg – die Geschichte kennt jeder NRV-Regattasegler – gründete Gunter Persiehl das NRV Olympic Team. Stark inspiriert von zwei Silber- und einer Bronze-Medaille, die Jochen Schümanns Soling-Crew, „Surffloh“ Amelie Lux und Roland Gäbler mit René Schwall im Tornado holten, formierte Persiehl unter dem Dach des NRV ein Team, in dem Talente besonders gefördert werden sollten.

Lahme kannte damals weder Hamburg noch den NRV näher. Der Sauerländer wurde im nordrhein-westfälischen Menden geboren, lernte das Segeln im Opti auf einem kleinen Vorstaubecken des Sorpesees. „Da gab es einige Legenden vor meiner Zeit wie den 470er-Olympiasieger Frank Hübner“, erinnert Klaus Lahme, „danach kamen nicht mehr so viele.“ Aber er kam. „Ich hatte erst Fußball gespielt, war aber völlig talentbefreit.“ Anders war es beim Segelsport: Der Spross vom kleinen 80- Mitglieder-Club SCA Sorpesee schaffte es als 15-Jähriger zur Opti-Weltmeisterschaft 1984. Weil er aber mit 1,80 Metern und 60 Kilogramm schon zu groß und zu schwer war, kam er in Kingston nicht über eine 30er-Platzierung hinaus. Ausgebremst hat ihn das nicht. Lahme setzte seinen Aufstieg drei Jahre lang in der Europe fort. Er machte Abitur, wurde als aufgehender Stern im Laser Kadersportler und in die Sportkompagnie der Bundeswehr aufgenommen. In Münster studierte er Sport auf Lehramt, weil er schon als Teenager eine Trainer-Laufbahn im Visier hatte. „Man hatte mir deswegen geraten: Studiere was Anständiges, es gibt ja kaum Trainerjobs. Tatsächlich haben damals nur die wenigsten Vereine mit professionellen Trainern gearbeitet“, weiß Lahme noch.

Das Studium, in dem Politik sein Zweitfach ist, beendet er mit dem ersten Staatsexamen, aber ohne Referendariat. „Ich dachte, das wird schon klappen mit dem Trainerjob. Ich bin ganz anständig gesegelt, hatte nebenbei schon Coach-Engagements“, erzählt Lahme. Er sollte recht behalten.

Doch zunächst stand für den inzwischen 1,91 Meter großen Athleten der eigene Leistungssport im Vordergrund. Bald zählt er zu Deutschlands Besten, ist Spitze in Nordrhein-Westfalen und wird gefördert vom Segelklub Bayer Uerdingen, der viel Unterstützung von Admiral’s- Cup-Gewinner Willy Illbruck erhielt. Lahme erzählt: „Sie haben mir in dieser grünen Schrift ‚Piccolo Pinta‘ aufs Boot geklebt. Das sah niedlich aus. Ich segelte mit großem Bayer-Logo im Segel. So konnte ich meine Laser-Kampagne ein bisschen finanzieren.“

Ziel: Bundestrainer

1995 wird der schnelle Laser-Mann mit dem langsamen Nachnamen Vize-Europa­meister, schafft aber die Olympiaqualifikation nicht, stoppt seine Karriere, weil er dies seiner damaligen Lebensgefährtin versprochen hat. Er hält die Abstinenz nicht lange durch – und kommt zurück. 1997 bis 1999 ist Lahme im Laser die Nummer eins in Deutschland, 1998 Weltranglisten-Sechster in Zeiten, in denen die Ausnahmesegler Ben Ainslie und Robert Scheidt die Felder dominieren. Der angestrebte Höhepunkt der Olympiateilnahme aber bleibt Lahme versagt. „Wir mussten für Sydney 2000 vorher bei der WM in die Top Ten fahren. Das war schwer. Keiner hat’s geschafft.“

Lahme beendet seine Olympia-Karriere endgültig, betreut stattdessen in Sydney die 49er-Könner Marcus Baur und Philip Barth, die Fünfte wurden. Der bei den Aktiven hoch angesehene Lahme war 2000 als Trainer auf Honorarbasis bei Olympia, während einige Bundestrainer daheimblieben. Es gab nur vier Trainer-Akkreditierungen. „Für mich war das ein Zeichen, dass ich nun Chancen auf den Job als Bundestrainer habe“, erzählt Lahme 24 Jahre später, „das war immer mein Ziel: Wenn ich mal nicht mehr segle, werde ich Bundestrainer. Es hätte zu dem Zeitpunkt perfekt gepasst.“ Doch es passte nicht allen.

Lahme hörte zu seiner Bewerbung um den Posten lange nichts. Zuvor hatte er – wie alle Mitglieder der Sydney-Mannschaft – den gewünschten Olympia-Bericht beim damaligen Sportdirektor Hans Sendes abgegeben. Der wiederum hatte ihn auch an den Sydney-Teamchef Axel Güpner weitergeleitet. Lahme hatte in seinem Bericht – wie gewohnt sachlich – darauf hingewiesen, dass der Teamchef von allen Aktiven und Coaches in Frage gestellt worden war.

Monate später bekam Lahme einen Anruf von Jochen Schümann. Der war als Aktivensprecher Mitglied im Olympia-Segelausschuss des DSV. Der OSA hatte soeben in seiner Wintersitzung die Weichen für die neue Olympiade gestellt. Schümann steckte Lahme, er könne seine Bundestrainer-Hoffnung wohl begraben, denn der Teamchef habe im OSA verkündet, dass Lahme dem Verband gegenüber illoyal gewesen sei.

Ein Jahr nach Lahmes NRV-Einstieg kam ein Anruf vom DSV

Klaus Lahme unterschrieb im Januar 2001 beim NRV. „Es war eine interessante Wendung in meinem Leben, fühlte sich zuerst wie ein B-Plan an. Ich wollte Bundestrainer werden und wurde Vereinstrainer.“ Er konnte nicht ahnen, was daraus werden würde.

Klaus Lahme arbeitete zunächst zehn Jahre als Trainer in den Bereichen Opti und Laser. Er erinnert sich lebendig: „Der NRV war damals noch ein anderer Verein. Die Opti-Regattagruppe bestand aus sieben Kindern, von denen eines ein paar B-Regatten gefahren hatte. Dann dieses Bootsmaterial … Die Optis waren mit dicker blauer Farbe zugepinselt. Es gab auch Lasersegler, aber die hatten kaum was mit Regatten zu tun. Natürlich gab es bekannte Leute wie Achim Griese und Alex Hagen im Starboot, aber keine Jugendarbeit auf gutem Niveau.“

Ein Jahr nach Lahmes NRV-Einstieg kam ein Anruf vom DSV. Der Verband wollte ihn doch als Laser-Trainer. Klaus Lahme teilte seine Zeit auf: Zu 50 Prozent arbeitete er für den NRV, zu 50 Prozent für den DSV. Auch bei den Spielen 2004 ist er wieder als akkreditierter Trainer dabei. Damals an der Seite von Teamchef Jochen Schümann, der den Job „last minute“ übernommen hatte. Beide konnten die Medaillennullnummer in Athen nicht verhindern, arbeiteten aber gut zusammen.

Danach trainierte auch der aktuelle Ilca-7-Bundestrainer Alex Schlonski im Laser bei Lahme. Schlonski sagt: „Als junger Spund bin ich noch gegen Klaus gesegelt. Da war er schon mein Vorbild. Als Segler war er sehr professionell, sehr logisch, sehr rational. Als ich im Kader mit ihm gearbeitet habe, hat er gerade seine internationale Schiedsrichter-Ausbildung gemacht. Wir haben extrem viel von ihm gelernt.“

NRV Olympic Team mausert zur Institution mit Strahlkraft

Nach den Griechenland-Spielen musste sich Klaus Lahme entscheiden, denn der DSV wollte ihn nun zu 100 Prozent. „Ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Nicht gegen den DSV, sondern für den NRV, der sich inzwischen stark entwickelt hatte. Rückblickend war es genau die richtige Entscheidung“, sagt Lahme heute. An der Hamburger Alster war er zu der Zeit zwar „nur“ Trainer und noch weit entfernt von seinem Management-Job als NRV-Sportdirektor, für den er sogar noch ein Fernstudium absolvierte. Doch mit dem von Persiehl aus der Taufe gehobenen NRV Olympic Team mauserte sich eine Idee zur Institution mit Strahlkraft.

„Ich verdanke Gunter Persiehl viel. Für mich ist er Mentor und Ratgeber zugleich. Er hat nicht nur das NRV Olympic Team gegründet und irre viel für den Club getan. Man hat ‚Piese‘ – völlig zu Recht – auch liebevoll ‚Menschenfänger‘ genannt. Der Mann kann Leute begeistern.“ Persiehl und Lahme tauschen sich bis heute aus, obwohl sich der inzwischen 86 Jahre alte Wegbereiter vor zwölf Jahren von seinen aktiven Aufgaben zurückgezogen hat. „Das ist das Spannende bei ‚Piese‘“, sagt Lahme, „er hat nach den Spielen 2012 alle zu sich nach Hause eingeladen und gesagt: ‚Das war’s! Ich übergebe in jüngere Hände.‘ Das können nicht viele …“

Seit zwölf Jahren leitet ein Komitee mit Klaus Lahme, Olympiateilnehmer Johannes Polgar und Starboot-Europameister Michael Koch das NRV Olympic Team. Aus Deutschlands bekanntestem Club­rennstall, der nicht von Vereinsgeldern, sondern von zusätzlich eingeworbenen Mitteln der Mitglieder getragen wird, entsprangen auch für Olympia 2024 in Marseille wieder Starter in vier von zehn Segeldisziplinen.

Talente aus der ganzen Republik bewerben sich regelmäßig beim NRV Olympic Team, dessen Schirmherr auf Klaus Lahmes Initiative hin Hamburgs Innensenator Andy Grote ist. Sie wollen Teil des Erfolgsmodells sein. Ein Selbstgänger ist es aber weder für Sportler noch für die Macher. „Wir kriegen sehr viele Bewerbungen. Die meisten kommen nicht rein, die Hürden sind hoch“, stellt Klaus Lahme klar. Er hat im vergangenen Jahr mit seinen Mitstreitern und viel persönlichem Engagement mehr als eine halbe Million Euro für das NRV Olympic Team eingeworben.

Die Fäden in der Hand, ohne sich zu verheddern

„Das Erfolgsrezept ist ein bisschen auch die Struktur. Wir haben keine großen Gremien, müssen nicht alles mit dem Vorstand diskutieren, können direkte Entscheidungen treffen“, sagt Lahme. Entsprechend schnell kann er gute Ideen umsetzen. Etwa den NRV-Fitness-Raum und die Finanzierung eines Physio-Trainers für den NRV-iQFoil-Windsurfriesen Sebastian Kördel, der hier auf Kurs Marseille mehrfach die Woche im Club trainierte.

Ob es ein Mathias Theurich und dessen Unternehmen Salzbrenner Würstchen sind, die Athleten im NRV Olympic Team seit 15 Jahren mit viel Leidenschaft beflügeln, oder selbst erfolgreiche Segler wie der dreimalige TP52-Weltmeister Harm Müller-Spreer und seit Kurzem mit langfristigem Engagement auch „Hatari“-Eigner und Steuermann Marcus Brennecke – der NRV hat potente Mitglieder, die in die sportliche Zukunft junger Leistungsträger investieren. „Es ist hier bei Weitem nicht nur das Geld, das du bekommst, um dein Projekt zu realisieren“, weiß Alex Schlonski aus seiner olympischen Starboot-Zeit, „sie kümmern sich im NRV Olympic Team auch um Teambuilding- und Zukunfts­themen. Es gibt Management- und Leader­ship-Seminarreihen oder auch Medien- Workshops. Man lernt viel für den künftigen Beruf.“

Lahme hält die Fäden in der Hand, ohne sich zu verheddern. Er ist mit der sportlichen Dynamik des Vereins gewachsen – und der Verein mit ihm. Klaus Lahme ist ein Hauptgewinn für den NRV, weil der mit seiner Familie in Hamburg-Farmsen lebende Vordenker bei angenehmer Bodenhaftung eine so breite Klaviatur beherrscht, dass er sogar auf der Bühne als Moderator und Präsentator der Aktiven souverän und unterhaltsam agiert. Im täglichen Vereinsleben kommuniziert Klaus Lahme ebenso effektiv mit den Tonangebern im Club wie motivierend mit den Opti-Kids. „Man muss Klaus einfach bewundern: Er bleibt auch in der stärksten Brandung ruhig, fokussiert sich aufs Wesentliche, kann brenzlig auf sachlich runterbringen“, sagt Helga-Cup-Gründer, Inklusiv-Antreiber und Fotograf Sven Jürgensen über den Sportdirigenten.

Das Gesicht des NRV

Zu etwa 40 Prozent seiner Zeit ist Klaus Lahme weiter als Trainer im Einsatz, fährt auch mit Jugend-Gruppen zu Regatten. Daneben kümmert er sich als ausgebildeter Internationaler Schiedsrichter und erfahrener Wettfahrtleiter, der die deutsche Segelgemeinde in Corona-Zeiten mit der Videoserie „Klaus’ Regelecke“ fasziniert und vieles gelehrt hat, um Ausschreibungen und den Wettfahrtbetrieb. Er koordiniert NRV-Engagements bei Großveranstaltungen wie der Kieler Woche, hat den Segelsport im Verein vom jüngsten Opti­kind über Jollen- und Seesegler bis hin zu den Olympioniken und Bundesligisten im Griff. In den ersten beiden Jahren nach der Bundesliga-Gründung war Lahme noch selbst als Taktiker im Einsatz. Inzwischen ist der NRV siebenmaliger Rekordmeister. Lahme sagt lächelnd, er besetze den Liga-Kader „diktatorisch“. Aus seinem Mund klingt das nicht negativ, sondern vernunftgesteuert.

Er kümmert sich auch um die Finanzierung des Bundesliga-Teams. Mit dem engagierten „Supporter-Team“ von etwa 25 Liga-Enthusiasten veranstaltet Lahme einmal im Jahr einen fröhlichen Segel-Event, bei dem die Unterstützer und die Ligasegler auf J/70-Yachten segeln. „Die Supporter steuern, die Bundesligisten sind auf dem Vorschiff. Danach bekommen die Supporter einen Film vom Event. Wir werden seit zehn Jahren großartig unterstützt“, erzählt Lahme von diesem Zweig seiner vielfältigen Aufgaben.

Liga-Erfolgssteuermann Tobias Schadewaldt kennt Lahme als Sportler, Trainer und Manager. Er sagt: „Klaus weiß genau, worauf es im olympischen Segelsport ankommt. Ich bin ihm sehr dankbar für das, was er mir als Sportler in der Karriere mitgegeben hat. Er ist eine ganz tragende Säule für den NRV.“

Seit 2010 gestaltet Klaus Lahme den Sport im NRV als Clubmanager mit breitem Horizont. „Für mich ist Klaus mit das Gesicht des NRV“, sagt 470er-Weltmeisterin Luise Wanser vom NRV Olympic Team. Sie erklärt: „Ich kenne Klaus, seitdem ich im Opti im NRV angefangen habe. Er hat mich immer gefördert. Das Interessanteste an ihm ist, dass er immer überlegt: ‚Wie könnte es gehen?‘ Ich komme mit einem Problem zu ihm, aber er sagt nie: ‚Nee, das machen wir nicht.‘ Stattdessen: ‚Okay, wie könnten wir das machen?‘ Manchmal frage ich mich, wie viele Stunden Klaus’ Arbeitstage haben. Mit 24 kommt er meiner Meinung nach nicht hinterher, so viel, wie er für den Verein und für das NRV Olympic Team macht.“ Luise Wanser ist sich sicher: „Ohne Klaus wäre der Verein nicht da, wo er ist. Und auch das Olympic Team nicht da, wo es steht.“