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Die Currywurst wird 75 Jahre

Die Currywurst wird 75 Jahre

Die Currywurst feiert Geburtstag. So kam Deutschland zu seinem kulinarischen Wahrzeichen.

Die Currywurst feiert Geburtstag. So kam Deutschland zu seinem kulinarischen Wahrzeichen.
Foto: Jens Kalaene, dpa

Am U-Bahnhof Gesundbrunnen staut es sich. Der Berliner Untergrund spuckt Passagiere aus, Touristengruppen schlendern, Geschäftsleute drängeln. Da recken viele die Nasen. Der Grund: An der Curry Baude, der Imbissbude von Reina Lehmann, läuft an einer Ecke des Backsteingebäudes der Würstchengrill warm. Leuchtreklame, Markise, Stehtische. Die Currywurst ist der Verkaufsschlager. Wie viele Portionen gehen über den Tresen? „An juten Tagen vierstellig“, sagt Lehmann. Brühwurst ohne Darm, geräucherte Wurst mit. Lehmann ist Fleischermeister, bereitet die Würste seit 1989 selbst zu.

Bis die Soße für ihn perfekt schmeckte, habe er viele Anläufe gebraucht. „Ich habe bestimmt 100 Liter wegschmeißen müssen“, sagt er. Eine würzige Currynote muss sie haben – und trotzdem fruchtig schmecken. Seine Perfektion zahlt sich aus. Viele Jahre später schmeckt die Currywurst hier noch genau gleich. Tochter Alexandra Schröder, die auch am Würstchengrill steht, weiß, was die Kundschaft an der Curry Baude schätzt, und sagt: „An der Rezeptur darf nie etwas verändert werden.“

Reina Lehmann und Tochter Alexandra Schröder vor der Curry Baude am U-Bahnhof Gesundbrunnen.

Reina Lehmann und Tochter Alexandra Schröder vor der Curry Baude am U-Bahnhof Gesundbrunnen.
Foto: Rosaria Kilian

Die Erfindung der Currywurst: Herta Heuwer briet seit 1949 Würste in Charlottenburg

Der Legende nach wurde die Currywurst am 4. September 1949 in Berlin-Charlottenburg erfunden. Herta Heuwer betrieb dort zu der Zeit einen kleinen Imbiss. Die Berlin-Blockade der Sowjets scheiterte im Mai, doch bis September führten die Alliierten die Luftbrücke aus Sicherheitsgründen fort. Schweinefleisch war im Nachkriegsdeutschland schwer zu bekommen, die Qualität der Brühwürste an den Imbissbuden der neu geteilten Stadt, so wird es erzählt, schwankend. Heuwer goss daher eine stark gewürzte Soße über die Wurst, Currypulver und Worcestershiresoße lieferten höchstwahrscheinlich britische Soldaten, die nach dem Krieg in Deutschland stationiert waren.

Der günstige, schmackhafte Happen kam gut an – vor allem bei den arbeitenden Männern und Frauen, die der Wiederaufbau Berlins hungrig machte. Heuwer verkaufte bald nach eigenen Angaben über 10.000 Portionen pro Woche. 1959 ließ sie sich ihre geheime Spezialsoße unter dem Namen „Chillup“ patentieren. Ihre ersten Experimente mit der würzigen Currysoße datierte sie eben an jenen 4. September 1949 zurück, der sich heuer zum 75. Mal jährt.


Die Plakette in Gedenken an Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst, ist heute halb von Büschen verdeckt.


Die Plakette in Gedenken an Herta Heuwer, die Erfinderin der Currywurst, ist heute halb von Büschen verdeckt.

Foto: Rosaria Kilian

Die Currywurst wird zum Westberliner Klassiker, Symbol für den Widerstand und Einfallsreichtum der geteilten Stadt. An der Stelle, an der Heuwer einst ihren Imbiss betrieb (Kantstraße/Ecke Kaiser-Friedrich-Straße, nahe der S-Bahn-Station Charlottenburg) erinnert eine kleine Plakette an sie – die Erfinderin der Currywurst.

Mythenbildung durch Altkanzler und Kultsänger

In der Curry Baude geht es auf den Mittagsbetrieb zu. Fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kassieren, brutzeln, schwitzen. Im Akkord schneiden sie Würste, schaufeln sie auf Pappteller und übergießen sie mit der tiefroten Soße. Mit Currypulver bestäubt wandert die Wurst dann über den Tresen. Mittags bis spät in den Abend stehen die Kunden Schlange. In den vergangenen zehn Jahren sei der Bestand an Currywurst-Buden in Berlin stark zurückgegangen, sagt Lehmann. „Warum? – Na, das ist eine Mordsarbeit.“

Dass die Wurst zum Kulturgut wurde, liegt sicherlich auch an der Mythenbildung durch Altkanzler Gerhard Schröder (Stichwort: „Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters“) und Kultsänger Herbert Grönemeyer (auch im Ruhrgebiet ist die Currywurst schließlich beheimatet). Der Schriftsteller Uwe Timm erfand in „Die Entdeckung der Currywurst“ gar einen Hamburger Imbiss, der das Schnellgericht schon 1947 im Angebot gehabt haben soll. In Berlin sorgen diese Aufbegehren aus dem tiefen Westen und hohen Norden Deutschlands allerhöchstens für müdes Achselzucken.

Geheimzutat der Currywurst: „Berliner Schnauze“

„Die Currywurst gehört zu Berlin“, sagt Lehmann. Über das Rezept herrscht an Berlins Imbissbuden einhelliges Schweigen. Wer etwas auf sich hält, macht die Soße selbst und hält sich über die Rezeptur des dickflüssigen Curryketchups bedeckt. Eine Geheimzutat verrät Linda Konnopke, vierte Generation in Berlins wohl bekanntester Wurst-Dynastie: „Eine ordentliche Portion ‚Berliner Schnauze‘.“

Bei Konnopkes unter der Hochbahn im Stadtviertel Prenzlauer Berg gibt es die Curry nur ohne Darm.

Bei Konnopkes unter der Hochbahn im Stadtviertel Prenzlauer Berg gibt es die Curry nur ohne Darm.
Foto: Rosaria Kilian

Unter der Hochbahn im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg servieren Konnopkes seit 1960 Currywurst. Ausschließlich ohne Darm, denn: „Unsere Familiengeschichte begann in der ehemaligen DDR, wo es kaum Möglichkeiten gab an Rohstoffe zu gelangen, sodass meine Familie die Currywurst ‚ohne Darm‘ zum Leben erweckte“, sagt Konnopke. „Früher gab es die Currywurst ausschließlich im Ganzen mit Brötchen. Oder wie man im Osten sagt: Schrippe.“ Pommes, für viele heute die klassischen Begleiter der Wurst, landeten laut Konnopke erst nach der Wende neben der Wurst.

Currywurst und Champagner sind ein ungewöhnliches Duo. Am Kurfürstendamm werden sie zusammen serviert.

Currywurst und Champagner sind ein ungewöhnliches Duo. Am Kurfürstendamm werden sie zusammen serviert.
Foto: Rosaria Kilian


Die Wand in Bier‘s Kudamm 195 zieren Fotos berühmter Gäste.


Die Wand in Bier‘s Kudamm 195 zieren Fotos berühmter Gäste.

Foto: Rosaria Kilian

Der Wandel in den Essgewohnheiten der Menschen macht auch vor der Currywurst keinen Halt. Bei Bier‘s Kudamm 195 reichen sie passend zur Adresse an der Westberliner Luxusmeile Champagner zur Currywurst. Der Imbiss entwickelte sich zur Anlaufstelle für den ein oder anderen Prominenten, der zu später Stunde von einem Hüngerchen überrascht wurde. Heiner Lauterbach, Rolf Eden und Currywurstkenner Gerhard Schröder hängen in Fotoform an der Wand neben Würstchengrill und Tresen. An den meisten Buden in der Hauptstadt, so auch bei Konnopke im Prenzlauer Berg, gibt es vegetarische oder vegane Alternativen. „Das ist ja mittlerweile nicht mehr wegzudenken“, sagt Linda Konnopke.

Die Currywurst entwickelte sich jüngst im Luxushotel Adlon zum Verkaufsschlager

Was denn nun? Wandel oder Beständigkeit? Jahrzehntelang war die Currywurst die unangefochtene Nummer eins in deutschen Kantinen. Seit 2020 allerdings sind laut einem Ranking des Verpflegungsriesens Apetito andere Gerichte beliebter. Eine Firmensprecherin begründete die sinkende Currywurst-Nachfrage mit dem Trend zur bewussteren Ernährung. Im Berliner Kaufhaus des Westens, selbst fast so kultig wie die Currywurst, gibt es seit August gar keine mehr zu kaufen. Das Luxuskaufhaus schloss den „Wurstkessel“, ein uriges Berliner Lokal. „Schlichtweg nicht mehr zeitgemäß“ sei das fleischlastige Angebot, heißt es von der Kaufhausleitung.

Mit Fritten, Milchbrötchen und Blattgold: 600 Portionen Currywurst pro Monat verkauft das Hotel Adlon so.

Mit Fritten, Milchbrötchen und Blattgold: 600 Portionen Currywurst pro Monat verkauft das Hotel Adlon so.
Foto: Sammlung Kempinski

Das wenige Kilometer entfernte Hotel Adlon teilt diese Diagnose nicht. Hier gibt es sie noch, die Currywurst. Mit Blattgold ist sie bestäubt, dazu reicht das Edelhotel Milchbrötchen und Pommes. 26 Euro kostet die wohl edelste Curry Berlins, der Blick aus nächster Nähe aufs Brandenburger Tor ist inklusive. Ungefähr 600 Portionen Currywurst serviert das Adlon-Kempinski nach eigener Aussage pro Monat, Tendenz steigend. „Wir sind selbst überrascht, dass die Currywurst bei uns so ein Verkaufsschlager ist“, sagt Kempinski-Pressesprecherin Tanja Freytag.

Wer in Berlin eine Currywurst kauft, kauft ein Lebensgefühl. Die Curry Baude am U-Bahnhof Gesundbrunnen öffnet wochentags um sechs Uhr früh, Pendlerinnen und Pendlern trinken morgens hier ihren Kaffee, viele täglich. Die Imbissbude ist seit über 25 Jahren Teil des sozialen Rückgrats des Viertels. „Vor zwei Wochen haben wir hier den 90. Geburtstag einer Stammkundin gefeiert“, erzählt Lehmann. Weiter sagt er: „Viele, die schon als Kinder hier waren, kommen heute mit ihren Kindern.“ Denn auf die Currywurst können sich alle einigen, Jung und Alt, großer und kleiner Geldbeutel, Touristen und Berliner.

Rezept für Currywurst Soße:

Zutaten für sechs Currywurst-Portionen:

  • 500 Gramm passierte Tomaten
  • 1 Schalotte
  • 1,5 Esslöffel Tomatenmark
  • 1,5 Esslöffel brauner Zucker
  • 75 Milliliter Orangensaft
  • 1⁄2 Peperoni
  • 3 Teelöffel edelsüßes Paprikapulver
  • 2 Teelöffel Currypulver (zum Beispiel Madras Curry) – plus Currypulver zum Bestreuen
  • 1 Zimtstange
  • 2 Esslöffel neutrales Pflanzenöl
  • Salz und Pfeffer

Zubereitung:

  • Schalotte und in feine Würfel schneiden, die halbe Peperoni waschen, je nach gewünschter Schärfe entkernen und ebenfalls in feine Würfel schneiden.
  • Pflanzenöl in einem Topf erhitzen und Schalotten- und Peperoniwürfel darin bei mittlerer Hitze kurz andünsten, bis die Schalotten-Würfel glasig sind.
  • Tomatenmark, braunen Zucker, Paprikapulver, Currypulver, eine Prise Salz und etwas schwarzen Pfeffer aus der Mühle hinzufügen. Alles für ungefähr eine Minute gemeinsam andünsten.
  • Im Anschluss mit dem Orangensaft ablöschen und gut miteinander verrühren
  • Nun kommen noch die passierten Tomaten sowie die Zimtstange in den Topf. Die Currysoße muss für 15 bis 20 Minuten auf leichter Hitze ohne Deckel köcheln.
  • Zum Schluss die Zimtstange aus der Soße entfernen und noch einmal nach Belieben mit allen Gewürzen abschmecken.
  • Die Currywurst Soße über eine gebratene, geschnittene Bratwurst verteilen und mit Currypulver bestreuen. Die Soße lässt sich gut vorbereiten, warmhalten und auch mehrere Tage im Kühlschrank aufbewahren.

Quelle: Das Rezept stammt vom Online-Blog „Emmi kocht einfach“.