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Lügt Trump sich zurück an die Macht?

Lügt Trump sich zurück an die Macht?

Liebe Leserinnen und Leser,

wie erkennt man, dass Donald Trump zu lügen beginnt? Antwort: Wenn er anfängt, die Lippen zu bewegen. Dieses hässliche Bonmot begleitet den früheren und möglicherweise auch künftigen Präsidenten der USA seit Jahrzehnten. In diesen Tagen gewinnt es leider neue Aktualität: Trump lügt wie gedruckt. Was soll das? Und wem nützt das?

Herzlich willkommen zur neuen Ausgabe unseres Newsletters „US-Radar“ vier Wochen vor der Wahl.

Noch immer sind Amerikas Meinungsforscher in extremer Vorsicht vereint. Zu knapp sind bisher alle Umfrageergebnisse in den sieben entscheidenden Swing States, als dass man daraus einen gesicherten Trend fürs nationale Gesamtergebnis ablesen könnte.

Zu jeder Tendenz eine Gegentendenz

Die Demoskopen sind nicht faul, im Gegenteil. Doch je mehr sie sich bemühen um eine Analyse der Stimmungen und Strömungen, desto mehr wächst derzeit ihre Verwirrung, wenn auch auf höherem Niveau. Die gespaltenen Staaten von Amerika zerfallen ihrerseits jeweils noch einmal in schwer vermessbare soziokulturelle Zonen. Diese wiederum sind im Augenblick in Bewegung, teils sogar heftig. Doch zu jeder Tendenz gibt es eine Gegentendenz.

„Den Frauen vertrauen“: Kamala Harris bei einem Wahlkampftermin in Atlanta, Georgia.

„Den Frauen vertrauen“: Kamala Harris bei einem Wahlkampftermin in Atlanta, Georgia.

  • Amerikas Frauen versammeln sich heute mit größerer Geschlossenheit hinter Kamala Harris als im Jahr 2016 hinter Hillary Clinton. Zugleich aber blickt Trump auf einen nie dagewesenen Vorsprung bei den Männern. In Pennsylvania zum Beispiel, dem bevölkerungsreichsten Swing State, wuchs nach einer Marist-Umfrage der geschlechtsspezifische Unterschied (gender gap) mittlerweile auf 22 Prozentpunkte. Wer aber wird davon am Ende profitieren? Trump liegt mit 54 % bei den Männern vor Harris (44) – während Harris mit 55 % bei den Frauen Trump (43) schlägt. Die „New York Times“ glaubt, das Trump-Lager habe seine maskuline Karte vielleicht noch gar nicht ganz ausgespielt. Angesichts solcher Zahlen jedenfalls fällt jede Unterm-Strich-Prognose schwer.
  • In ländlichen Regionen und bei Menschen mit geringer Bildung scheint Trump dieser Tage noch einmal zuzulegen. In den Städten und Vorstädten wiederum, besonders bei Wählerinnen und Wählern mit Collegeabschluss, dreht Harris einer neuen CNN-Analyse zufolge auf, wie es kein Kandidat der Demokraten vor ihr geschafft hat. Auch hier ist der Gesamteffekt der gegenläufigen Entwicklungen schwer ermittelbar.
  • Die sieben Swing States zerfallen in zwei Gruppen. In den drei Great-Lakes-States Pennsylvania, Michigan und Wisconsin im Norden der USA sowie in Nevada läuft es für Harris besser. In North Carolina, Arizona und Georgia dagegen hat Trump immer noch oder neuerdings wieder die Nase vorn.
Zu Gast in Georgia: Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat und ehemalige US-Präsident Donald Trump auf dem Augusta Regional Airport.

Zu Gast in Georgia: Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat und ehemalige US-Präsident Donald Trump auf dem Augusta Regional Airport.

Eine Waffe im Kampf gegen Harris

Trump scheint Mühe zu haben, mit dieser ebenso angespannten wie unübersichtlichen Situation umzugehen. Ungeduldig trachtet er nach etwas Neuem.

Die Harris-Kampagne arbeitet wie ein Uhrwerk. Täglich zeigt sich die Kandidatin dem Volk: mal bürgernah vor Ort, mal in einem populären Podcast für Frauen (“Call her Daddy“), mal im „60 Minutes“-Interview mit dem Sender CBS. Dort übrigens verriet die frühere höchste Strafverfolgerin im Bundesstaat Kalifornien in der Nacht zum Dienstag, dass sie privat eine Pistole besitzt, „eine Glock“, mit der sie „selbstverständlich“ auch schon geschossen habe, auf einer Übungsbahn. Als fundamentalistische Vertreterin einer Verbotspartei wird die unter Republikanern vom Land beliebte amerikanische Waffenlobby sie nicht attackieren können.

Andrews Air Force Base, Maryland bei Washington: Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, geht vom Regierungshubschrauber Marine Two an Bord der Air Force Two.

Andrews Air Force Base, Maryland bei Washington: Kamala Harris, Vizepräsidentin der USA, geht vom Regierungshubschrauber Marine Two an Bord der Air Force Two.

Ahnt Trump, dass die Zeit gegen ihn arbeiten könnte? Er jedenfalls hat gerade ein neues Kapitel aufgeschlagen und sich entschlossen, zum Ende seines Wahlkampfs mehr denn je mit Unwahrheiten zu arbeiten.

Die FEMA-Lüge: Widerlegt, aber wirksam

Trump verbreitet dieser Tage auf seinen Kundgebungen, das Federal Emergency Management (FEMA) der US-Regierung lasse aus Geldmangel amerikanische Flutopfer in North Carolina im Stich. Weil Joe Biden und Kamala Harris bereits Milliarden „an Ausländer verteilt“ hätten, als Auslandshilfe und als Unterstützung illegal Eingereister in den USA, könnten amerikanische Hochwasseropfer mit höchstens 750 Dollar pro Familie rechnen – „dabei ist oft das gesamte Vermögen und das gesamte Leben dieser Menschen zerstört“.

In Wirklichkeit werden die Leistungen der FEMA an Flutopfer nicht durch die von Trump erwähnten Leistungen an Ausländerinnen und Ausländer eingeschränkt oder begrenzt. Zudem werden die 750 Dollar nur als Soforthilfe gezahlt, ungeachtet weiterer Ansprüche.

Die Katastrophenhilfsagentur FEMA stellte sich am Dienstag bereits auf den nächsten Hurrikan ein, diesmal in Tampa, Florida.

Die Katastrophenhilfsagentur FEMA stellte sich am Dienstag bereits auf den nächsten Hurrikan ein, diesmal in Tampa, Florida.

Trumps Lügen jedoch fanden viel Verbreitung. Dabei halfen nicht nur böse Trolle in den Social Networks, sondern auch gutmeinende Journalistinnen und Journalisten in den Mainstream-Medien, die, bevor sie die Lüge zu entkräften suchten, sie erst mal zitierten.

„Lara, ich muss sie jetzt einfach mal stoppen“, hob CNN-Moderatorin Dana Bash an, als Trumps Schwiegertochter Lara Trump dieser Tage in einem Live-Interview loslegte mit der FEMA-Lüge, die Bundesregierung in Washington habe für amerikanische Familien in Not nicht mehr genug Geld, weil sie zu viel an Ausländer verteilt habe.

Bash wusste, dass man das so nicht stehen lassen konnte in ihrer Sendung. Doch einmal mehr ging ein Versuch schief, im Fernsehen mal eben den Trumpismus zu entlarven oder zu widerlegen. Als Bash in strengem Ton klarzustellen versuchte, dass die FEMA-Etats nicht berührt sind, wechselte Lara Trump nur ein wenig die Ebenen und die Themen: „In New York City werden Migranten in Luxushotels untergebracht. Auch dieses Geld könnte man besser an die betroffenen Bürger North Carolinas umleiten.“

Warnhinweis für Land und Leute

Die FEMA-Lüge also ist einerseits längst widerlegt. Andererseits bleibt sie noch immer politisch wirksam im Sinne Trumps. Denn sie half ihm erstens, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und zweitens seine generellen ausländerfeindlichen Impulse zu verstärken.

Lügt sich Trump auf diese Art am Ende noch zum Wahlsieg am 5. November? Die FEMA-Lüge ist jedenfalls ein Warnhinweis. Einmal mehr machen die amerikanischen Medien jetzt Bekanntschaft mit einem Mechanismus, der auf gefährliche Weise die Unklarheiten steigert. Im Fall von Behauptung und Gegenbehauptung neigen viele Menschen reflexhaft zu der Ansicht, die Wahrheit werde wohl irgendwo in der Mitte liegen. Doch das tut sie in diesem Fall nicht.

Bizarre Szene vom vergangenen Wochenende: Elon Musk, Milliardär und Mega-Multiplikator, springt und tanzt auf Trumps Bühne in Butler, Pennsylvania.

Bizarre Szene vom vergangenen Wochenende: Elon Musk, Milliardär und Mega-Multiplikator, springt und tanzt auf Trumps Bühne in Butler, Pennsylvania.

Was, wenn Fernsehsender wie Fox und Newsmax Trumps Lügen wiederholen? Was, wenn die Falschaussagen auf X fröhlich weiterleben, einem Netzwerk, dessen Eigentümer Elon Musk bei einer Veranstaltung der Republikaner in Butler, Pennsylvania, buchstäblich bizarre Luftsprünge machte vor lauter Begeisterung über seine neue Nähe zu dem Alt-Präsidenten?

„Die Demokratie“, orakelte der amerikanische Politikwissenschaftler Ian Bremmer am Wochenende, „ist nicht dafür geschaffen, dieser Kombination aus Geld und Desinformation standzuhalten.“

Lüge oder Wahrheit? Völlig egal!

Bieten sich Politikern auch – und vielleicht auch gerade – im 21. Jahrhundert im Lügen ungeahnte Chancen? Der deutsche Psychologieprofessor Borwin Bandelow, Angstforscher aus Göttingen und Bestsellerautor, sieht darin bereits einen unheilvollen weltweiten Trend – und verweist auf die jüngsten Erfolge von Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich.

„Man darf leider den Anteil von Menschen nicht überschätzen, die daran interessiert sind, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden“, sagt Bandelow. Eher wachse derzeit bei den wenig Gebildeten der Bedarf an einfachen Kompletterklärungen der Welt. Da könne als Politiker profitieren, wer die Realitäten zurechtbiege und auch Verschwörungstheorien anbiete. Im modernen Publikum gebe es mittlerweile viele, denen der Wahrheitsgehalt bestimmter Aussagen „völlig egal“ ist, solange aus ihrer Sicht die grobe Richtung stimmt.

Der Angstforscher Borwin Bandelow.

Warnt vor einem Trend zur Lüge: Angstforscher Borwin Bandelow.

Daher hat es laut Bandelow auch Trump nicht geschadet, dass er die urbane Legende von Haitianern wiedergab, die angeblich in Springfield, Ohio, „die Katzen und Hunde“ amerikanischer Familien gegessen haben. Der wahrheitsliebende, gebildete Teil des Publikums schüttele sich zwar. Doch Trump adressiere seine Botschaften an andere. Bei denen spreche er wiederum Hirnregionen an, in denen nicht etwa komplexe und mühsam erlernte Dinge abgespeichert seien, sondern schlichte Ängste und Ablehnungsmuster aus der Frühzeit der Menschheit. „In diesen Teilen des Publikums heißt es dann: O.k., da hat Trump jetzt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber im Kern setzt er sich ja für das Richtige ein, nämlich dass diese Leute aus unserem Land verschwinden.“

Winner: Liz Cheney setzt das Land über die Partei

Liz Cheney (58), bis 2023 republikanische Kongressabgeordnete, hat ein stark beachtetes Zeichen gesetzt für ein politisches Zusammenrücken in den USA. Unter dem Motto „Country over party“ nahm sie an einer Veranstaltung mit Kamala Harris in Wisconsin teil und rief auch zur Wahl der Demokratin auf.

„Danke, Liz“: Kamala Harris (l.) und die ehemalige republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney bei ihrem gemeinsamen Auftritt am Ripon College in Wisconsin.

„Danke, Liz“: Kamala Harris (l.) und die ehemalige republikanische Kongressabgeordnete Liz Cheney bei ihrem gemeinsamen Auftritt am Ripon College in Wisconsin.

„Ich habe noch nie jemanden von den Demokraten gewählt“, rief Cheney in die Menge, „aber in diesem Jahr gebe ich meine Stimme mit Stolz Kamala Harris.“ Die Zuschauerinnen und Zuschauer reagierten mit langanhalten Rufen „Thank you, Liz“.

Cheney, Tochter des konservativen ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney, wirft dem im November 2020 abgewählten Trump vor, er habe am 6. Januar 2021 versucht, durch den Sturm aufs Kapitol seine Amtszeit an Recht und Gesetz vorbei zu verlängern.

Loser: Joe Biden fängt an zu stören

Joe Biden (81) wird es nicht gern hören – aber nach Meinung von Parteifreunden fängt er an zu stören. Hinter den Kulissen beklagten sich führende Demokraten aus der Harris-Kampagne, sie seien erst allzu kurzfristig informiert worden über einen spontanen Auftritt des noch immer amtierenden Präsidenten in einer Pressekonferenz des Weißen Hauses. Da an diesem Tag unerwartet gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt verkündet werden konnten, mochte Biden offenbar nicht der Versuchung widerstehen, sich mal wieder persönlich zu zeigen.

„Ich kehre ins Rennen zurück“: US-Präsident Joe Biden beliebt zu scherzen – Leute aus der Harris-Kampagne finden das nicht lustig.

„Ich kehre ins Rennen zurück“: US-Präsident Joe Biden beliebt zu scherzen – Leute aus der Harris-Kampagne finden das nicht lustig.

Biden scherzte sogar, er kehre ins Präsidentschaftsrennen zurück. Dem Gelächter im Presseraum des Weißen Hauses folgten offenbar interne Besprechungen, in denen das Harris-Team für die verbleibenden Wochen um strikte Zurückhaltung bat. In Medienberichten hieß es gar, die geplante Reise Bidens nach Deutschland werde aus Sicht der Harris-Leute begrüßt. Der Präsident sei, wenn er wolle, auch frei darin, sich gegebenenfalls noch ein paar Tage länger in Europa aufzuhalten. Daraus wird jetzt allerdings nichts: Wegen des Hurrikans, der auf Florida zusteuert, sagte Biden seinen Deutschland-Besuch am Dienstag kurzfristig ab.

Way Of Life: „Street Food“ einmal anders

Wer rausfährt aus Washington, D.C., immer stur Richtung Westen, kann nach ein, zwei Stunden interessante Dinge erleben. Man befindet sich dann in West Virginia, einem ländlich und republikanisch geprägten Staat, in dem vieles anders ist als in der feinen Hauptstadt. Vieles, vom Publikum bis zum Essen, ist hier eher „down to earth“.

Soeben lockte wieder ein regionaler Kochwettbewerb der besonderen Art Tausende in die Kleinstadt Marlinton. Dort wird alljährlich „Roadkill“ zelebriert: die Zubereitung von Tieren, die man tot am Straßenrand finden kann – zum Beispiel eine Schlange, ein Gürteltier, ein Murmeltier, ein Opossum oder ein Eichhörnchen. Dass das Tier überfahren wurde, ist nicht Bedingung. De facto wird überwiegend frisch Geschlachtetes gegessen, Hirsch zum Beispiel. Die Aktion bringt unter anderem Geld in die Kassen gemeinnütziger Vereine.

Nicht alles, was hier auf den Grill kommt, ist klar definierbar – zu den Spezialitäten gehört auch „Smashed Chicken“: „Roadkill“-Festival in Marlinton, West Virginia.

Nicht alles, was hier auf den Grill kommt, ist klar definierbar – zu den Spezialitäten gehört auch „Smashed Chicken“: „Roadkill“-Festival in Marlinton, West Virginia.

Die makabre Deutung des Begriffs „Street Food“ aber begleitet die Besucher bei jedem Bissen. Ort des Geschehens ist eine nur über Feldwege zugängliche Taverne, in der, wie die „Washington Post“ notiert, „ohne Ironie“ Songs wie „Take Me Home, Country Roads“ von John Denver gesungen werden. Vielleicht will mancher ja auch tatsächlich, falls dies oder das am Ende doch ganz ungewöhnlich schmeckt, schnell wieder nach Hause …

Haben Sie Anregungen oder Feedback? Dann mailen Sie uns gerne an [email protected].

Den nächsten USA-Newsletter bekommen Sie von Christian Fahrenbach aus New York. Bis dahin: Stay cool – and stay sharp“

Ihr Matthias Koch

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