close
close

Wer erhält neue Medikamente vor ihrer Zulassung?

Wer erhält neue Medikamente vor ihrer Zulassung?

Max war noch ein Kleinkind, als seine Eltern bemerkten, dass er sich „anders“ bewegte. Er konnte nicht rennen, war langsamer als andere Kinder in seinem Alter, und er hatte Schwierigkeiten, zu springen.

Bluttests deuteten darauf hin, dass er eine genetische Krankheit haben könnte – eine, die ein wichtiges Muskelprotein betrifft. Max’ Vater Tao Wang, Forscher bei der Climateworks Foundation, und seine Frau wollten es zunächst nicht wahrhaben. Sie brauchten ein paar Monate, bis sie Max zu einem Gentest brachten, der ihre Befürchtungen bestätigte: Er hatte Duchenne-Muskeldystrophie.

Duchenne ist eine seltene Krankheit, die in der Regel junge Männer betrifft. Sie ist fortschreitend – die Betroffenen verlieren mit zunehmendem Alter ihre Muskelfunktion. Es gibt keine Heilung. Viele Betroffene brauchen einen Rollstuhl, noch bevor sie 20 Jahre alt sind. Die meisten werden nicht älter als 30 Jahre.

Dieser Artikel ist zuerst in der Ausgabe 1/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr die TR 1/2024 als Print- oder pdf-Ausgabe bestellen.

Die Diagnose von Max traf Wang und seine Frau „wie ein Tornado“, sagt er. Doch schließlich erwähnte einer seiner Ärzte eine klinische Studie, für die Max infrage käme. Es handelte sich dabei um eine experimentelle Gentherapie, bei der das fehlende Muskelprotein durch eine verkürzte, künstlich hergestellte Version ersetzt werden sollte. Diese könnte den Rückgang der Muskeln verlangsamen oder sogar umkehren. Für Wang war es selbstverständlich, Max für die Studie anzumelden. „Wir waren bereit, alles auszuprobieren, was den Verlauf der Krankheit ändern und uns etwas Hoffnung geben könnte“, sagt er.

Das war vor mehr als zwei Jahren. Heute ist Max ein aktiver Achtjähriger, sagt Wang. Er rennt, springt, steigt mühelos Treppen hinauf und geht sogar gerne wandern. „Er ist ein ganz anderes Kind“, sagt Wang.

Schnellere Zulassung bei schweren Erkrankungen

Die Gentherapie, die er erhielt, wurde von der US Food and Drug Administration (FDA) für eine beschleunigte Zulassung in Betracht gezogen. Beschleunigte Verfahren sind Therapien für schwerwiegende Erkrankungen vorbehalten, für die es noch keine Behandlung gibt. Dafür sind weniger klinische Studiendaten erforderlich als für Standardzulassungen.

Das beschleunigte Verfahren kann gut funktionieren, tut es aber nicht immer. Und in diesem Fall der Duchenne-Therapie sind die Daten nicht besonders überzeugend. Die Behandlung fiel in einer randomisierten klinischen Studie durch – sie wirkte nicht besser als ein Placebo.

Trotzdem drängen viele Duchenne-Betroffene darauf, das Medikament zu bekommen. Auf einer Sitzung des beratenden Ausschusses der FDA im Mai 2023 baten mehrere Eltern von Kindern mit Duchenne die Organisation, das Medikament sofort zuzulassen – Monate, bevor die Ergebnisse einer anderen klinischen Studie vorlagen. Am 22. Juni gab die FDA nach und erteilte eine bedingte Zulassung für vier- und fünfjährige Jungen für SRP-9001 unter dem Handelsnamen Elevidys. Sie wurde mit der Auflage an das Unternehmen erteilt, die laufenden Studien abzuschließen und über die Ergebnisse zu berichten.

Es ist nicht das einzige Medikament, das die FDA trotz schwacher Studien zugelassen hat. Dass die Hürden für neue Medikamente sinken, zeichnet sich als Trend ab. Das hängt damit zusammen, dass die Anzahl an Therapien, die Wissenschaftler als „ultra-neu“ bezeichnen, in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen hat. Viele von ihnen arbeiten mit Gen-Editing, und den Zugang zu diesen Therapien zu regeln, ist schwierig. Anekdoten scheinen Beweise bei Entscheidungen über die Zulassung zu verdrängen. Damit wird es für Patienten immer einfacher, Zugang zu Behandlungen zu erhalten, die ihnen möglicherweise nicht helfen – ihnen sogar schaden könnten.

Wir müssen dringend hinterfragen, wie diese Entscheidungen getroffen werden. Wer sollte Zugang zu experimentellen Therapien haben? Und wer sollte darüber entscheiden dürfen?

Mittlerweile wurde der genetische Code einer Frau durch CRISPR verändert, um ihren Cholesterinspiegel zu senken. Ebenfalls erhielt ein schwer herzkranker Mann ein gentechnisch verändertes Schweineherz transplantiert. Für Menschen mit besonders schweren Krankheiten kann ein Versuch mit einer experimentellen Behandlung besser sein als gar nichts. Und das sei auch der Fall für einige Duchenne-Patienten, sagt Hawken Miller, ein 26-jähriger Betroffener. „Es ist eine tödliche Krankheit“, sagt er. „Manche Leute würden lieber irgendetwas tun, als herumzusitzen und darauf zu warten, dass sie ihnen das Leben nimmt.“

In den USA werden die meisten experimentellen Behandlungen von der FDA zugelassen. Seit den 1960er- und 70er-Jahren müssen die Arzneimittelhersteller der Behörde nachweisen, dass ihre Produkte tatsächlich funktionieren und dass der Nutzen der Einnahme die Risiken überwiegt. „Das hat verhindert, dass Patienten Zugang zu Medikamenten auf spekulativer Basis bekommen haben“, sagt Christopher Robertson, Spezialist für Gesundheitsrecht an der Universität Boston.

Christopher Robertson forscht an der Uni Boston an der Schnittstelle zwischen Recht, Philosophie und Wissenschaft., Boston University School of Law

Christopher Robertson forscht an der Uni Boston an der Schnittstelle zwischen Recht, Philosophie und Wissenschaft. (Foto: Boston University School of Law)

Es ist sinnvoll, hohe Anforderungen an die Evidenz für neue Medikamente zu stellen. Aber die Sicht auf Risiken und Nutzen kann sich mit einer niederschmetternden Diagnose durchaus ändern. So verklagten 1979 Krebspatienten im Endstadium und ihre Ehepartner die Regierung als Gruppe, um Zugang zu einer experimentellen Behandlung zu erhalten. Ein Bezirksgericht entschied zwar, dass einem der Kläger der Kauf des Medikaments gestattet werden sollte, kam aber zu dem Schluss, dass nicht entscheidend sei, ob die Krankheit einer Person heilbar sei oder nicht – jeder müsse vor unwirksamen Medikamenten geschützt werden. Die Entscheidung wurde schließlich vom Obersten Gerichtshof bestätigt. „Selbst für unheilbar Kranke gilt nach dem Gesetz immer noch der Grundsatz der Sicherheit und Wirksamkeit“, sagt Robertson.

Heute gibt es viele Möglichkeiten, Zugang zu experimentellen Medikamenten zu erhalten. Der vielleicht offensichtlichste Weg ist die Teilnahme an einer klinischen Studie. In frühen Studien werden in der Regel niedrige Dosen an gesunde Freiwillige verabreicht, um zu prüfen, ob die neuen Medikamente sicher sind. Anschließend wird die Therapie an Erkrankten auf ihre Wirksamkeit getestet. Dabei sind randomisierte, placebokontrollierte und verblindete Studien der Goldstandard: Eine zufällig aus der Studiengruppe ausgewählte Untergruppe erhält das Medikament, die andere Gruppe das Placebo, und niemand – nicht einmal die Ärzte, die die Medikamente verabreichen – weiß, wer was erhält, bis die Ergebnisse vorliegen. Dies sind die Art von Studien, die man durchführen muss, um festzustellen, ob ein Medikament den Menschen wirklich helfen wird.

In der Regel gibt es strenge Kriterien dafür, wer für eine Studie infrage kommt, die Alter, Geschlecht, Fortschritt der Krankheit und diverse andere Faktoren einbeziehen. Auch die geografische Lage und der Zeitpunkt spielen eine Rolle: Wer ein bestimmtes Medikament ausprobieren möchte, wohnt vielleicht zu weit vom Ort der Studie entfernt oder hat das Zeitfenster für die Aufnahme in die Studie verpasst.

Stattdessen können diese Menschen bei der FDA einen Antrag im Rahmen des erweiterten Zugangsprogramms stellen, das auch als „compassionate use“ oder „Anwendung aus Mitgefühl“ bezeichnet wird. Die FDA bewilligt fast alle derartigen Anträge. Der Hersteller des Medikaments muss dann entscheiden, ob er der Person das Medikament zum Selbstkostenpreis überlässt, es kostenlos anbietet oder ob er den Antrag ganz ablehnt. In Deutschland ist die „Anwendung aus Mitgefühl“ an die kostenlose Abgabe des Medikamentes gebunden, damit für Arzneimittelhersteller kein finanzieller Anreiz besteht.

Beschließe ein Unternehmen, jemandem ein Medikament zu verwehren, könne man ihm diese Entscheidung allerdings nicht wirklich verübeln, sagt Alison Bateman-House, eine Ethikerin, die an der Grossman School of Medicine der New York University den Zugang zu medizinischen Prüfpräparaten untersucht. Schließlich seien die Menschen, die solche Anträge stellen, in der Regel schwer krank. Stirbt jemand nach der Einnahme des Medikaments, sehe das nicht nur schlecht aus, sondern könne auch Investoren davon abhalten, die weitere Entwicklung zu finanzieren. „Wenn in den Medien ein Fall auftaucht, in dem jemandem eine Anwendung aus Mitgefühl gewährt wird und ihm dann etwas Schlimmes zustößt, laufen die Investoren davon“, sagt Bateman-House. „Das ist ein Geschäftsrisiko.“

Max erhielt sein Medikament im Rahmen einer klinischen Studie. Das Medikament wurde vom Pharmaunternehmen Sarepta entwickelt und soll das Protein Dystrophin ersetzen, das bei Kindern mit Duchenne-Muskeldystrophie fehlt. Man nimmt an, dass dieses Protein die Muskelzellen vor Schäden schützt, wenn sich die Muskeln zusammenziehen. Ohne dieses Protein werden die Muskeln beschädigt und beginnen zu degenerieren.

Dystrophin hat eine riesige genetische Sequenz – viel zu lang, als dass sie gentherapeutisch in den Körper eingeschleust werden könnte. Deshalb hat das Team von Sarepta eine kürzere Version entwickelt, die es Mikro-Dystrophin nennt. Die Idee, dem Körper den genetischen Code für die Herstellung einer verkürzten Version von Dystrophin zur Verfügung zu stellen, beruht auf dem Nachweis, dass Menschen, die ähnlich kurze Proteine haben, eine viel mildere Form der Muskeldystrophie haben als diejenigen, deren Körper wenig oder gar kein Dystrophin produzieren. Den Code für das Protein schleusen sie über Viren mit einer einzigen intravenösen Infusion in den Patienten ein. Es wurde für Duchenne-Patienten entwickelt, die noch laufen können.

Sarepta schlug für die Behandlung den Weg der beschleunigten Zulassung ein. Sie ist eine Abkürzung für Unternehmen, die nachweisen können, dass ihr Medikament dringend benötigt wird, sicher ist und durch zwingende vorläufige Beweise zur Wirksamkeit gestützt wird.

Für diese Art der Zulassung müssen die Arzneimittelhersteller nicht nachweisen, dass eine Behandlung den Gesundheitszustand einer Person verbessert hat – sie müssen lediglich eine Verbesserung eines Biomarkers nachweisen, der mit der Krankheit zusammenhängt; im Fall von Sarepta die Konzentration des Mikro-Dystrophin-Proteins in den Muskeln der Patienten.

Und es gibt eine wichtige weitere Bedingung: Das Unternehmen muss gewährleisten, das Medikament weiter zu untersuchen und „bestätigende Studienergebnisse“ zu liefern.

Mehr als zwei Jahre, nachdem Max Wang an der SRP-9001-Studie von Sarepta teilgenommen hat, ist er ein aktiver, fast "normaler" achtjähriger Junge – die Studie musste jedoch als Misserfolg gewertet werden, da die Daten keinen Unterschied zwischen Behandlung und Placebo zeigten., Tao Wang

Mehr als zwei Jahre, nachdem Max Wang an der SRP-9001-Studie von Sarepta teilgenommen hat, ist er ein aktiver, fast „normaler“ achtjähriger Junge – die Studie musste jedoch als Misserfolg gewertet werden, da die Daten keinen Unterschied zwischen Behandlung und Placebo zeigten. (Foto: Tao Wang)

Dieser Prozess könne gut funktionieren. Aber in den letzten Jahren sei es eine „Katastrophe“ gewesen, sagt Diana Zuckerman, Präsidentin des National Center for Health Research, einer gemeinnützigen Organisation, die Forschungsarbeiten zu Gesundheitsthemen bewertet.

Viele nach diesem Verfahren zugelassene Arzneimittel hätten sich später als unwirksam erwiesen. Bei einigen habe sich sogar gezeigt, dass sie die Menschen schlechterstellen. Zwischen 2009 und 2022 wurden 48 Krebsmedikamente im beschleunigten Verfahren zur Behandlung von 66 Krankheiten zugelassen – 15 dieser Zulassungen wurden inzwischen wieder zurückgezogen.

Eins davon war Melfulfen. Das Medikament erhielt im Februar 2021 eine beschleunigte Zulassung für das Multiple Myelom. Nur fünf Monate später gab die FDA eine Warnung heraus: Studienergebnisse deuteten darauf hin, dass Menschen, die das Medikament einnahmen, ein höheres Sterberisiko hatten. Im Oktober 2021 teilte der Hersteller mit, dass Melfulfen vom Markt genommen werden soll.

Fehlende Wirksamkeit – oder sogar eine Gefährdung der Patienten – ist eine Sache. Eine ganz andere ist der wirtschaftliche Aspekt. Neue Behandlungen, insbesondere Gentherapien, sind in der Regel nicht billig. Wir sprechen hier von Hunderttausenden oder sogar Millionen von Dollar. „Niemand sollte für ein Medikament zahlen müssen, dessen Wirksamkeit nicht erwiesen ist“, sagt Zuckerman.

Die Duchenne-Therapie von Sarepta trug in der Zulassungsphase den Namen SRP-9001, und während der neunstündigen virtuellen FDA-Sitzung am 12. Mai präsentierte das Unternehmen dem beratenden Ausschuss aus Wissenschaftlern, Ärzten, Statistikern, Ethikern und Patientenvertretern die bisher gesammelten Daten: Ergebnisse aus drei klinischen Studien bei Jungen mit Duchenne. Nur eine der drei Studien – an der 41 Kinder im Alter von vier bis sieben Jahren teilnahmen – entsprach den erforderlichen Studienanforderungen randomisiert, verblindet und placebokontrolliert.

Und leider verlief diese Studie nicht besonders gut – nach 48 Wochen ging es den Kindern, die das Medikament erhalten hatten, laut Studienprotokollen nicht besser als denen, die mit dem Placebo behandelt wurden. Zudem gibt es einige Sicherheitsbedenken. Während die meisten der Jungen nur leichte Nebenwirkungen wie Erbrechen, Übelkeit und Fieber entwickelten, traten bei neun von insgesamt 85 Studienteilnehmern in allen Studien ernsthafte Komplikationen auf. Ein Junge hatte eine Herzentzündung. Ein anderer entwickelte eine Immunkrankheit, die Muskelfasern schädigt.

Videos von Eltern, deren Kinder das Medikament eingenommen hatten, erzählten jedoch eine andere Geschichte. So zeigten etwa Videos von dem kleinen Studienteilnehmer Emerson Furbee, die vor der Gentherapie aufgenommen wurden, dass er offensichtlich Mühe hatte, eine Treppe hinaufzukommen. Er schwingt langsam ein Bein herum, während er sich am Geländer festhält, und zieht dann das andere Bein hinter sich hoch.

Ein zweites Video, das nach der Behandlung aufgenommen wurde, zeigt ihn, wie er die Treppe einen Fuß nach dem anderen nimmt, mit einer Geschwindigkeit, die man von einem gesunden Vierjährigen erwarten würde. Auf einem dritten Video sieht man ihn fröhlich auf seinem Dreirad strampeln. Sein Vater Brent Furbee berichtete dem Ausschuss, dass Emerson, der jetzt sechs Jahre alt ist, schneller laufen, schneller aufstehen könne und bei Kraft- und Beweglichkeitstests besser abschneide. „Emerson wird immer stärker“, sagte er.

Es war eine von vielen kraftvollen, bewegenden Aussagen – und diese Geschichten scheinen das FDA-Abstimmungsgremium beeinflusst zu haben, trotz vieler Bedenken, die gegen das Medikament erhoben wurden.

Will Roberts (links) nimmt ein Exon-Skipping-Medikament gegen seine Duchenne-Erkrankung. Seine Familie hofft, dass für ihn die neue Genbehandlung noch möglich sein wird., Familie Roberts

Will Roberts (links) nimmt ein Exon-Skipping-Medikament gegen seine Duchenne-Erkrankung. Seine Familie hofft, dass für ihn die neue Genbehandlung noch möglich sein wird. (Foto: Familie Roberts)

Auch Louise Rodino-Klapac, Leiterin der Forschung und Entwicklung bei Sarepta, verteidigt das Medikament: „Die Gesamtheit der Beweise gibt uns großes Vertrauen in die Therapie.“ Und sie hat eine Erklärung dafür, warum die placebokontrollierte Studie insgesamt keinen Vorteil für die mit dem Medikament behandelten Teilnehmer gezeigt hat: Die Gruppen der sechs- bis siebenjährigen Kinder, die das Medikament und das Placebo erhielten, „passten von den Grundvoraussetzungen schlecht zusammen“, sagt sie. Sie sagt auch, dass die Forscher ein statistisch signifikantes Ergebnis sahen, als sie sich nur auf die untersuchten vier- und fünfjährigen Kinder konzentrierten.

„Diese Videos, so anekdotisch sie auch sind, sind ein wesentlicher Beweis für die Wirksamkeit“, sagte Ausschussmitglied Donald B. Kohn, ein Stammzellenbiologe.

„Wenn man sich die Beweishierarchie ansieht, gilt die Anekdote als die niedrigste Stufe der Evidenz“, sagt Bateman-House. „Sie ist sicherlich nicht annähernd so aussagekräftig wie klinische Studien.“ Das sei nicht die Art, wie wir Medikamente zulassen sollten, sagt Zuckerman. Und es sei auch nicht das erste Mal, dass Sarepta ein Medikament auf der Grundlage schwacher Beweise zugelassen bekommen habe.

Die Firma hat bereits die FDA-Zulassung für drei andere Medikamente gegen Duchenne, die alle darauf abzielen, fehlerhafte DNA-Abschnitte, sogenannte Exons, zu überspringen. Sie kodieren für ein Protein, das es den Zellen ermöglichen soll, ein Dystrophin-ähnliches, längeres Protein zu bilden, das die Muskelzellen schützt.

Das erste dieser Exon-Skipping-Medikamente, Exondys 51, erhielt 2016 eine beschleunigte Zulassung, obwohl die klinische Studie nicht placebokontrolliert war und nur 12 Jungen einschloss. „So etwas habe ich noch nie gesehen“, sagt Zuckerman. Ihrer Ansicht nach war das Jahr 2016 ein „Wendepunkt“ für FDA-Zulassungen auf der Grundlage minderwertiger Nachweise – „es war so extrem“, sagt sie.

Seitdem haben drei weitere Exon-Skipping-Medikamente eine beschleunigte Zulassung für Duchenne erhalten – zwei davon von Sarepta. Ein Sprecher des Unternehmens sagte, eine von der Firma finanzierte Analyse habe gezeigt, dass Duchenne-Patienten, die Exondys 51 erhielten, länger ambulant blieben und 5,4 Jahre länger lebten, „Daten, die wir ohne diese erste Zulassung nicht hätten“.

Mike Singer, klinischer Prüfer im FDA-Büro für therapeutische Produkte, betont jedoch: „Der klinische Nutzen ist für keines der vier Produkte bestätigt.“ Das zeigt auch der Krankheitsverlauf des zehnjährigen Will Roberts. Bei ihm wurde Duchenne mit einem Jahr diagnostiziert und er ist einer der Jungen, die ein Exon-Skipping-Medikament einnehmen, Amondys 45 von Sarepta. Für die Behandlung muss eine Krankenschwester zu ihm nach Hause kommen und ihm alle fünf bis zehn Tage eine Spritze geben. Und das ist nicht billig. Seine Eltern haben zwar eine Spezialversicherung, die sie vor den Kosten schützt, aber die Kosten für eine einjährige Behandlung belaufen sich auf etwa 750.000 US-Dollar.

Wills Mutter Keyan Roberts, Lehrerin in Michigan, gibt an, sie könne nicht sagen, ob das Medikament ihm hilft. Letztes Jahr rannte er noch im Garten herum, aber dieses Jahr braucht er einen Rollstuhl, um sich in der Schule fortzubewegen. „Wir haben auf jeden Fall keine Verbesserung seiner Fähigkeiten festgestellt, und es ist schwer zu sagen, ob sein Verfall … etwas weniger steil verläuft“, sagt Roberts.

Sie und ihr Mann Ryan, ein IT-Manager, hofften immer noch auf eine FDA-Zulassung für die Gentherapie SRP-9001. „Wir haben wirklich das Gefühl, dass wir jetzt in einer Situation sind, in der wir sehen, dass (Wills) Mobilität abnimmt, und wir sind besorgt, dass … er nicht geeignet ist, damit behandelt zu werden, wenn es zur Verfügung gestellt wird“, sagte sie in einem Videoanruf ein paar Wochen nach der Sitzung des Beratungsausschusses.

Aber selbst wenn die Zulassung von Elevidys auf ältere Kinder ausgeweitet würde – die Kosten für die einmalige Behandlung belaufen sich auf 3,2 Millionen Dollar.

Ist es überhaupt ethisch vertretbar, Medikamente zu verkaufen, deren Wirkung nicht gesichert ist – zumal zu diesem Preis? „Die Zulassungen haben die Innovation vorangetrieben und eine Menge Aufmerksamkeit auf Duchenne gelenkt“, bejaht Debra Miller, die Gründerin von CureDuchenne. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Erforschung potenzieller Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten zu finanzieren und die von der Krankheit betroffenen Menschen zu unterstützen. Sie hat CureDuchenne gegründet, als bei ihrem fünfjährigen Sohn Hawken Duchenne diagnostiziert wurde. „Der Arzt, der die Diagnose stellte, sagte uns, dass er im Alter von zehn Jahren aufhören würde zu laufen und dass er nicht älter als 18 Jahre werden würde“, sagt sie. „Es gibt keine Behandlung. Es gibt keine Heilung. Es gibt nichts, was Sie tun können. Gehen Sie nach Hause und lieben Sie Ihr Kind.‘“

CureDuchenne finanziert auch Firmen, die Exon-Skipping-Medikamente der nächsten Generation erforschen, die in ersten Versuchen besser zu wirken scheinen als die Medikamente der ersten Generation. „Man muss den ersten Schritt gehen, bevor man den zweiten Schritt gehen kann“, sagt Miller.

Hawken Miller, der Sohn der CureDuchenne-Gründerin Debra, arbeitet in der Initiative mit. Für ihn kam nie eine der experimentellen Therapien infrage., CureDuchenne

Hawken Miller, der Sohn der CureDuchenne-Gründerin Debra, arbeitet in der Initiative mit. Für ihn kam nie eine der experimentellen Therapien infrage. (Bild: CureDuchenne)

Hawken arbeitet jetzt als Content Strategist für CureDuchenne. Er selbst ist nie für eine klinische Studie infrage gekommen. Derzeit wartet er auf die Daten aus einer laufenden klinischen Studie der Phase 3 zu Elevidys. Im Moment sieht es „aus der Sicht der Daten nicht gut aus“, sagt er. „Aber gleichzeitig höre ich viele Anekdoten von Eltern und Patienten, die sagen, dass es ihnen wirklich sehr hilft, und ich möchte ihre Beobachtungen nicht schmälern.“

Ein Medikament, das aufgrund unzureichender Daten zugelassen wird, biete jedoch möglicherweise nicht mehr als falsche Hoffnung zu einem hohen Preis, sagt Zuckerman: „Es ist nicht fair, dass Patienten und ihre Familien sich für ein Medikament, dessen Wirksamkeit nicht einmal bewiesen ist, finanziell ruinieren.“

Der beste Weg, um Zugang zu experimentellen Behandlungen zu erhalten, seien immer noch klinische Studien, sagt Bateman-House. Robertson, der Experte für Gesundheitsrecht, stimmt dem zu und ergänzt, dass Studien „größer, schneller und umfassender“ sein sollten. Scheint ein Medikament zu wirken, könnten die Unternehmen zum Beispiel mehr Freiwillige an der Studie teilnehmen lassen. Menschen, die von schweren Krankheiten betroffen sind, sollten vor unwirksamen und möglicherweise schädlichen Behandlungen geschützt werden – selbst wenn sie diese wünschen.

Die Prüfungsausschüsse bewerten, ob die klinischen Prüfungen ethisch vertretbar sind, bevor sie sie absegnen. Die Teilnehmer können nicht für die Medikamente, die sie in klinischen Studien einnehmen, zur Kasse gebeten werden. Und sie werden während ihrer Teilnahme sorgfältig von medizinischem Fachpersonal überwacht.

Zu Beginn von Versuchen seien die besten Kandidaten für völlig neue experimentelle Therapien möglicherweise diejenigen, die dem Tod näher sind, sagt Robertson: „Es ist durchaus angebracht, Patienten auszuwählen, die weniger zu verlieren haben, und gleichzeitig darauf zu achten, dass Menschen, die keine Optionen mehr haben, nicht ausgenutzt werden.“

Klinische Studien haben einen weiteren großen Vorteil gegenüber übereilten Zulassungen auf anekdotischer Basis. Es ist schwierig, die Wirksamkeit einer einmaligen Behandlung bei einer einzelnen Person zu beurteilen. Klinische Studien liefern jedoch wertvolle Daten, die einer ganzen Patientengruppe zugutekommen. Solche Daten sind besonders wertvoll für Behandlungen, die so neu sind, dass es nur wenige Vergleichsmöglichkeiten gibt.

Hawken Miller würde eine Teilnahme an einer klinischen Studie mit Elevidys in Betracht ziehen. „Ich bin bereit, ein gewisses Risiko auf mich zu nehmen, wenn ich damit anderen Menschen helfen kann“, sagt er. „Ich glaube, dass in der Duchenne-Gemeinschaft jeder bereit ist, an klinischen Studien teilzunehmen, wenn das bedeutet, dass Kinder schneller geheilt werden können.“

Für Wills Vater Ryan Roberts spielen Bedenken inzwischen keine Rolle mehr. „Wir nähern uns wirklich der letzten Chance – den letzten Jahren, in denen er ambulant sein wird“, sagt er. „Wir werden die Behandlung annehmen, weil sie die einzige Chance ist, die wir haben …“

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.

Fast fertig!

Bitte klicke auf den Link in der Bestätigungsmail, um deine Anmeldung abzuschließen.

Du willst noch weitere Infos zum Newsletter?
Jetzt mehr erfahren